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Eine Weile gelang ihr das. Keines der Waldtiere wagte sich in ihre Nähe; alle blieben sie in der Tiefe des Waldes verborgen, der Senke fern. Die Senke selbst lag eingehüllt in ein Schweigen, so tief, daß das Elfenmädchen es so deutlich hören konnte wie die Geräusche der Nacht. Ein-, zweimal flatterte etwas an ihrem Versteck vorüber, sie hörte den raschen Flügelschlag, der die Stille durchbrach und dann wieder verklang. Die Zeit verrann, und die Lider wurden ihr schwer.

Da beschlich sie plötzlich eine eisige Kälte; es war, als sei alle Wärme aus der Luft um sie herum abgesogen worden. Sie wurde wach und rieb sich fest die Arme. Das Kältegefühl verging, und die Wärme der Sommernacht wurde wieder fühlbar. Unsicher jetzt, blickte sie sich um. Alles war wie zuvor; nichts regte sich in der Dunkelheit, nichts war zu hören. Sie holte tief Atem und schloß die Augen wieder. Da durchfuhr sie von neuem diese eisige Kälte. Diesmal wartete sie, bis sie etwas tat. Sie hielt die Augen fest geschlossen und versuchte, den Ursprung der Kälte ausfindig zu machen. Sie entdeckte, daß sie aus ihrem eigenen Inneren kam. Das verstand sie nicht. Kälte, bittere Kälte in ihrem Inneren, die sie erstarren ließ wie die Berührung des —Todes.

Mit einem Ruck schlug sie die Augen auf. Augenblicklich begriff sie. Es war eine Warnung — eine Warnung, daß etwas sie töten wollte. Wäre sie nicht die gewesen, die sie war, dann hätte sie das Gefühl vielleicht einfach als ein Hirngespinst abgetan. Doch sie war von hoher Sensibilität; solche Gefühle hatten sie schon früher überkommen, und sie wußte, daß sie sie nicht einfach abtun konnte. Die Warnung war real. Nur der Quell, dem sie entsprang, verwirrte sie.

In flüchtiger Unschlüssigkeit neigte sie sich lauschend vor. Sie war in Gefahr, in tödlicher Gefahr. Sie konnte sich vor dieser Gefahr nicht verstecken; sie konnte nicht gegen sie kämpfen; sie konnte nur fliehen.

Ohne ihren schmerzenden Knöchel zu beachten, glitt sie aus dem Schutz der Büsche hervor und spähte in die Finsternis des Waldes. Das Wesen, das ihr nach dem Leben trachtete, war nahe; sie konnte seine Anwesenheit jetzt deutlich spüren. Lautlos schlich es durch die Nacht. Sie dachte plötzlich an Wil und wünschte verzweifelt, er wäre bei ihr. Aber Wil war nicht da. Sie mußte sich selbst retten, und schnell.

Es gab nur einen Weg für sie — hinunter in die Senke. Denn dorthin würde ihr der lauernde Tod vielleicht nicht folgen. Hinkend rannte sie bis zum Rand der tiefen Mulde und blickte hinunter in die bodenlose Schwärze. Angst packte sie. Die Senke war so beängstigend wie das Wesen, das sie verfolgte. Sie zwang sich zur Ruhe und ließ den Blick über die Schwärze hinweg zum Felsturm der Hochwarte schweifen. Dorthin mußte sie fliehen. Dort würde Wil sie suchen.

Sie fand den Weg, der in die Tiefe führte, und begann den langen Abstieg. Innerhalb von Augenblicken war sie von undurchdringlicher Dunkelheit umfangen; das Licht der Sterne und des Mondes durchdrang nicht die Finsternis der Bäume. Ihr kindliches Gesicht wurde hart in eiserner Entschlossenheit, und vorsichtig tastete sie sich weiter. So leise wie es ihr möglich war, bewegte sie sich, und nur das feine Scharren ihrer Stiefel auf Erde und Fels war in der Stille zu vernehmen.

Endlich hatte sie den Grund der Senke erreicht. Sie machte eine Pause und hockte sich unter einem Baum nieder, um vorsichtig ihren schmerzenden Knöchel zu massieren. Er war stark angeschwollen und hätte dringend der Schonung bedurft. Ihr Gesicht war schweißnaß, als sie aufwärts in die Düsternis spähte und lauschte. Sie hörte nichts. Dennoch, sagte sie sich. Was auch immer für ein Wesen das sein mochte, das ihr nach dem Leben trachtete, es war noch immer dort oben und suchte nach ihr. Sie mußte sich tiefer in die Senke hineinwagen. Ihre Augen hatten sich schon an die Finsternis gewöhnt, vage konnte sie die Umrisse von Bäumen ausmachen. Es war Zeit weiterzugehen.

Sie rappelte sich mühsam auf und lief hinkend in die Dunkelheit hinein, bemüht, den verletzten Knöchel möglichst wenig zu belasten. Von Baum zu Baum tastete sie sich, und unter jedem rastete sie einen Augenblick, um ängstlich in das tiefe Schweigen hinein zu lauschen. Die Schmerzen wurden heftiger, steigerten sich zu einem unablässigen Pochen, das mit jedem Schritt stärker zu werden schien. Die Muskeln ihres gesunden Beines fingen an, sich zu verkrampfen; schon begann sie zu ermüden.

Schließlich konnte sie nicht mehr weiter. Keuchend ließ sie sich an einem Gebüsch zur Erde nieder und streckte sich auf der kühlenden Erde aus. Sorgsam sammelte sie sich und versuchte nochmals, den Quell der Warnung zu entdecken. Einen Moment lang geschah gar nichts. Dann durchflutete sie wieder diese schreckliche, beißende Kälte. Ihr Atem stockte. Das Wesen, das ihr ans Leben wollte, befand sich in der Senke.

Wieder raffte sie sich auf und floh weiter, hinkte blind durch die schweigende Finsternis. Irgendwann einmal schoß ihr der Gedanke durch den Kopf, daß sie vielleicht im Kreis lief, doch sie verdrängte diese Vorstellung. Immer wieder stolperte und fiel sie. Mehrmals stürzte sie so heftig, daß sie nahe daran war, das Bewußtsein zu verlieren. Jedesmal richtete sie sich nach Luft schnappend wieder auf, stand auf, zwang sich weiterzulaufen. Jegliches Zeitgefühl ging ihr verloren. Die Stille und die Schwärze um sie herum schienen sich immer mehr zu vertiefen. Schließlich konnte sie einfach nicht mehr. Rasselnd klang ihr ihr eigener Atem in den Ohren, als sie auf die Knie fiel. Weinend kroch sie weiter. Fels und dürres Holz zerschrammten ihr die Hände und die Knie, während sie sich durch das Unterholz schlug. Aber sie gab nicht auf. Niemals, schwor sie sich, würde sie aufgeben. Sie richtete ihre Gedanken auf Wil. Sie sah den Ausdruck, der über sein Gesicht gehuscht war, als sie ihm gesagt hatte, daß er ihr am Herzen lag. Sie hätte es nicht sagen sollen, das wußte sie. Aber es hatte sie in diesem Moment so heftig gedrängt, es ihm zu sagen. Es erstaunte sie, daß es ihr ein solches Bedürfnis gewesen war, es ihm zu sagen. Und die staunende Verwunderung in seinen Augen …

Weinend brach sie zusammen. Wil! Sie flüsterte seinen Namen wie eine Zauberformel, um das Böse abzuwehren, das in der Finsternis auf sie lauerte. Dann richtete sie sich wieder auf und kroch weiter. Ihre Gedanken gerieten ins Wandern, und ihr war, als spüre sie andere Wesen in der Dunkelheit rundum, die mit ihr durch die Nacht wanderten. Kleine Geschöpfe, dachte sie. Aber das Mörderwesen, wo steckte es? Wie nahe war es ihr?

Sie kroch und kroch immer weiter, bis ihre Kräfte völlig erschöpft waren. Da streckte sie sich auf dem Waldboden aus. Sie war zu Tode erschöpft. Sie hatte keine Reserven mehr. Sie schloß die Augen und wartete auf den Tod. Einen Augenblick später war sie eingeschlafen.

Sie schlief noch immer, als die knorrigen hölzernen Finger von einem Dutzend rauher Hände sie hochhoben und forttrugen.

41

Wil und Eretria ritten den felsigen Pfad hinunter, der vom Heulekamm hinabführte, und der heulende Wind ritt mit ihnen. Tief über die Hälse ihrer Pferde geneigt flogen sie in die Schwärze der unteren Wälder hinunter, und die seidenen Gewänder der Fahrensleute flatterten um ihre Körper, während sie angestrengt in die Düsternis spähten. Rasch schlossen sich die Bäume wieder um sie, und der Nachthimmel verschwand. Ohne an ihre Sicherheit zu denken, jagten sie weiter, im Vertrauen auf die Zuverlässigkeit ihrer Pferde und auf das Glück. Sie hüllten sich beide in tiefes Schweigen. In dem Augenblick, als Wil klar wurde, daß der Raffer so lange suchen würde, bis er den Pfad fand, den er und Amberle eingeschlagen hatten, nachdem sie sich von den Fahrensleuten getrennt hatten, kannte er nur noch einen einzigen Gedanken — daß am Ende dieses Pfades Amberle wartete, allein, verletzt, schutzlos. Wenn er sie nicht vor dem Raffer erreichte, würde sie sterben, und das wäre dann seine Schuld, weil es seine Entscheidung gewesen war, sie allein zurückzulassen. Bilder der zerfetzten und verrenkten Körper, die sie auf dem Pfad gefunden hatten, ihm durch den Kopf. In diesem Augenblick vergaß er alles, außer der Notwendigkeit, rechtzeitig zu Amberle zu gelangen. Mit einem Sprung war er auf seinem Pferd, zog es herum und galoppierte davon. Eretria setzte ihm augenblicklich nach. Sie hätte sich auch anders entscheiden können. Jetzt, da Cephelo tot war, brauchte sie den Schutz des Talbewohners nicht mehr. Sie gehörte niemandem mehr; sie war endlich frei und ihre eigene Herrin. Sie hätte ihr Pferd wenden und auf dem schnellsten Weg aus dem Tal hinaus in Sicherheit reiten können, fort von dem grausamen Mörderwesen, das Cephelo und die anderen getötet hatte. Doch Eretria zog diese Möglichkeit nicht einmal in Betracht. Sie dachte nur an Wil, der da ohne sie davonglitt, sie wieder einmal zurückließ. Stolz, Eigensinn und die merkwürdige Zuneigung, die sie für Wil empfand, flammten in ihr auf. Nicht noch einmal durfte er ihr das antun. Ohne zu zögern, hetzte sie ihm nach. So begann ihre wilde Jagd zur Rettung Amberles. Wie ein Besessener trieb Wil Ohmsford sein Pferd an, tauchte in Finsternis und Nebel, als er vom Heulekamm herab in den dichten Wald hineinstürmte. Kaum konnte er die dunklen Formen der Bäume am Wegrand ausmachen, an denen er vorüberflog. Doch er zügelte sein Pferd nicht; er konnte es nicht. Er hörte den Hufschlag und das Schnauben eines zweiten Pferdes, das ihm nachsetzte, und erkannte, daß Eretria ihm gefolgt war. Er stieß einen kurzen Fluch aus; hatte er nicht schon genug Sorgen? Doch er hatte jetzt keine Zeit, sich mit dem Mädchen zu befassen. Er vertrieb sie aus seinen Gedanken und konzentrierte seine Anstrengungen darauf, die Abzweigung zu finden, die nach Süden führte.