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»Was tut Ihr denn hier? Wo ist das Elfenmädchen? Hat das Ungeheuer sie etwa erwischt?«

Wil fuhr zusammen. »Ihr wißt vom Raffer?«

»Raffer? Wenn das Ding so heißt, ja, dann weiß ich davon. Es kam heute zu meiner Hütte — kurz nachdem Ihr aufgebrochen seid. Mir scheint, es hat Euch gesucht, aber das wußte ich natürlich zu dem Zeitpunkt nicht mit Sicherheit. Richtig gesehen hab’ ich das Biest gar nicht — nur ganz flüchtig. Ich glaube, wenn ich’s aus der Nähe gesehen hätte, dann wär’ ich jetzt tot.«

»Das glaube ich auch«, stimmte Wil zu. »Cephelo und die anderen hat es erwischt. Am Heulekamm.«

Hebel nickte ernst. »Mit Cephelo mußte es ja früher oder später ein schlimmes Ende nehmen.« Er warf einen Blick auf Eretria. »Tut mit leid, Mädchen, aber das ist nun mal so.« Dann wandte er sich wieder Wil zu. »Also, wo ist das kleine Elfenmädchen?«

»Ich weiß es nicht«, antwortete Wil. »Ich mußte umkehren —« Er zögerte. »Ich mußte noch einmal umkehren, weil ich etwas bei Cephelo im Wagen vergessen hatte. Amberle hatte sich den Knöchel verstaucht, deshalb ließ ich sie hier zurück. Unterwegs traf ich Eretria, und nachdem wir gesehen hatten, was Cephelo und den anderen zugestoßen war, ritten wir so schnell wir konnten hierher zurück. Aber jetzt ist Amberle fort, und ich weiß nicht, was ihr zugestoßen ist. Ich weiß nicht einmal, ob der Raffer schon hier war, oder ob er uns noch sucht.«

»Er war hier«, behauptete Hebel. »Drifter und ich haben ihn verfolgt, während er Euch verfolgt hat. Aber an der Gabelung haben wir seine Spur verloren, weil der Raffer nach Osten gegangen ist, zum Heulekamm hinauf, während Drifter und ich nach Süden gingen, um Euch einzuholen. Aber ein Stück weiter südlich fanden wir dann die Spur des Ungeheuers wieder. Es muß quer durch die Wildnis gelaufen sein. Und wenn es das schafft, dann ist es gefährlich, Elf.«

»Fragt Cephelo, wie gefährlich es ist«, murmelte Eretria, während sie ängstlich in die Finsternis des Waldes spähte. »Heiler, können wir nicht fort von hier?«

»Erst wenn wir wissen, was Amberle zugestoßen ist«, gab Wil zurück.

Hebel tippte ihm auf den Arm.

»Zeigt mir, wo ihr das Mädchen zurückgelassen habt.«

Wil ging zu dem Gebüsch. Eretria, der alte Mann und der Hund folgten ihm. Er wies auf die Lücke, die in die Mitte der Büsche führte. Hebel bückte sich, spähte hinein und pfiff Drifter heran. Leise sprach er auf den Hund ein, und das Tier schob sich schnüffelnd durch das Gebüsch, um dann kehrt zu machen und zum Rand der Senke hinüberzutrotten.

»Er hat die Witterung«, brummte Hebel befriedigt. Drifter blieb stehen und knurrte leise. »Sie ist unten in der Senke, Elf. Und der Raffer ist auch dort unten. Wahrscheinlich immer noch auf ihrer Spur. Das hätt’ ich mir ja gleich denken können.«

»Dann müssen wir sie sofort finden.«

Wil stürzte vorwärts. Hebel faßte ihn am Arm.

»Nicht so hastig, Elf. Das da unten ist die Senke, Ihr wißt doch! Da unten ist nichts außer den Hexenschwestern und den Wesen, die ihnen dienen. Alles, was sich sonst in die Senke wagt, wird sogleich gefangen — das weiß ich, weil Mallenroh es mir damals vor langer Zeit erzählt hat.« Er schüttelte den Kopf. »Das Mädchen und das Ungeheuer, das ihm auf der Spur ist, leisten längst einer der Schwestern Gesellschaft — oder aber sie sind tot.«

Wil wurde kreidebleich. »Würden die Hexen sie denn töten, Hebel?«

Der alte Mann schien zu überlegen.

»Oh, das Mädchen nicht, denke ich — jedenfalls nicht gleich. Aber das Ungeheuer ganz gewiß. Und glaubt nicht, daß sie es nicht vermögen, Elf.«

»Ich weiß überhaupt nicht mehr, was ich denken soll«, sagte Wil langsam. Er starrte in die Schwärze der Senke hinunter. »Aber dies eine weiß ich — ich gehe da hinunter, und ich werde Amberle finden. Und zwar sofort.«

Er wollte etwas zu Eretria sagen, doch die kam ihm zuvor.

»Spar dir die Worte, Heiler. Ich komme mit.«

Ihr Ton ließ keine Widerrede zu. Wil blickte zu Hebel.

»Ich komme auch mit, Elf«,verkündete der Alte.

»Aber Ihr habt doch selbst gesagt, daß niemand sich in die Senke hinunterwagen sollte«, bemerkte Wil. »Ich versteh’ nicht einmal, warum Ihr überhaupt hierhergekommen seid.«

Hebel zuckte die Schultern.

»Weil es ganz gleichgültig ist, wo ich bin, Elf, schon seit langem. Ich bin ein alter Mann; ich habe in diesem Leben die Dinge getan, die ich tun wollte, war da, wo ich sein wollte, habe gesehen, was ich sehen wollte. Ich habe keine Erwartungen mehr — mich reizt nichts mehr, außer vielleicht diesem einen. Ich möchte sehen, was da unten in der Senke vorgeht.«

Er schüttelte wehmütig den Kopf.

»Jahrelang habe ich immer wieder darüber nachgedacht, habe immer gesagt, daß ich’s eines Tages noch sehen werde — so ähnlich, wißt Ihr, als ob man vor einem tiefen Brunnen steht; und überlegt dauernd, was da unten wohl auf dem Grund ist.« Er rieb sich das bärtige Kinn. »Aber ein vernünftiger Mann verschwendet natürlich nicht mit so was seine Zeit, und als ich jünger war, war ich auch ein vernünftiger Mann, wenn es auch sicher welche gab, die anderer Meinung waren. Aber jetzt bin ich es müde, vernünftig zu sein, jetzt bin ich es müde, immer nur darüber nachzugrübeln, anstatt wirklich runter zu gehen und zu schauen, was da wirklich ist. Ihr habt mir den letzten Anstoß dazu gegeben. Zuerst, als Ihr mir erzählt habt, was Ihr vorhabt, wollte ich Euch davon abbringen — gerade so, wie ich mich selbst immer davon abgebracht habe. Ich war überzeugt, daß Ihr rasch das Interesse verlieren würdet, wenn Ihr hörtet, was ich zu erzählen hatte. Aber ich habe mich getäuscht. Ich hab’ gesehen, daß das, was Ihr sucht, Euch so wichtig ist, daß nicht einmal die Furcht Euch von Eurem Unterfangen abbringen konnte. Weshalb also, dachte ich mir, sollte ich mich so von der Furcht beherrschen lassen? Als dann dieses Ungeheuer, dieser Raffer, mich beinahe erwischt hätte, und mir klar wurde, wie nahe ich dem Tod gewesen war, da hatte ich plötzlich die Angst verloren. Da war mir nur noch wichtig zu sehen, was da unten in der Senke wartet. Deshalb bin ich Euch gefolgt. Ich fand, wir sollten zusammen hinuntergehen.«

Wil verstand. »Wir wollen hoffen, daß wir beide das finden, was wir suchen.«

»Nun ja, vielleicht kann ich Euch ein bißchen helfen.« Der alte Mann zuckte die Schultern. »Auf dieser Seite der Senke hier liegt Mallenrohs Reich. Sie erinnert sich vielleicht an mich, Elf.«

Einen Moment lang schienen seine Gedanken abzuschweifen, dann sah er Wil wieder an. »Fürs erste kann Drifter uns ja führen.«

Er pfiff nach dem Hund. »Führ’ uns runter, Drifter. Na los, alter Bursche.«

Drifter verschwand über dem Rand der Senke. Eretria nahm den Pferden die Sättel und das Geschirr ab und gab beiden einen harten Klaps, so daß sie davongaloppierten, zurück in den Wald. Dann gesellte sie sich zu Wil und dem alten Mann. Im Gänsemarsch traten sie den Abstieg in die Senke an.

»Sehr lange brauchen wir uns ohnehin nicht auf Drifter zu verlassen«, erklärte Hebel. »Mallenroh wird uns schnell genug finden.«

Wenn dem so war, ging es Wil durch den Kopf, dann konnte er nur hoffen, daß sie auch Amberle gefunden hatte.

In der Finsternis des Waldes in der Senke erwachte Amberle. Das leichte Schwanken und Rütteln des Getragenwerdens weckte sie, und für einen Augenblick geriet sie in Panik. Krumme Finger hielten sie, fest um ihre Arme und Beine, ihren Körper, selbst ihren Hals und ihren Kopf gelegt. Die Finger waren so rauh, daß sie sich anfühlten, als wären sie aus Holz geschnitzt. Im ersten Moment hatte sie nur das Bedürfnis, sich von dieser Umklammerung zu befreien, doch sie widerstand dem Impuls und zwang sich, ruhig zu bleiben. Das Wesen, dem sie da in die Finger geraten war, wußte noch nicht, daß sie erwacht war. Darin lag ihr einziger Vorteil. Im Augenblick zumindest konnte sie weiterhin so tun als schliefe sie, um möglichst genau in Erfahrung zu bringen, was da vorging.

Sie hatte keine Ahnung, wie lange sie geschlafen hatte. Es konnten Minuten gewesen sein oder Stunden, vielleicht war es auch noch länger gewesen. Sie glaubte jedoch, daß dies noch dieselbe Nacht war. Und sie glaubte auch, daß das Wesen, dem sie jetzt in die Hände gefallen war, ganz gleich, was es für ein Ding war, nicht das war, das sie bis in die Senke hinunter verfolgt hatte. Hätte jenes Ungeheuer sie gefunden, so hätte es sie einfach getötet. Dies Wesen hier mußte daher ein anderes sein. Der alte Mann, Hebel, hatte ihr und Wil erzählt, die Senke sei das Reich der Hexenschwestern. Vielleicht war sie einer von ihr in die Fänge geraten.