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Er legte sich wieder nieder und starrte durch den Schatten der Vorhänge in die dichter werdende Dunkelheit hinaus. Allanon hatte gesagt, daß Amberle lebte. Und inzwischen tief drinnen im unteren Westland war; doch Eventine glaubte nicht, daß dieser Druide es wirklich wußte. Der Gedanke bedrückte ihn. Wenn sie tot war, dann wollte er es nicht wissen, sagte er sich plötzlich. Es war besser so, es nicht zu wissen. Und doch war es eine Lüge. Er mußte es wissen, unbedingt. Bitterkeit stieg in ihm auf. Alles entglitt ihm — seine Familie, sein Volk, sein Land, alles, was er liebte, alles, was seinem Leben Sinn und Bedeutung gegeben hatte. Er sah eine Ungerechtigkeit darin, die er nicht begreifen konnte. Nein, es war mehr als das. Es war eine Ungerechtigkeit, die er nicht akzeptieren konnte. Er wußte, wenn er es tat, würde es sein Ende sein.

Er schloß die Augen, um das Licht nicht sehen zu müssen. Wo war Amberle? Man mußte es wissen, sagte er sich eigensinnig. Er mußte einen Weg finden, sie zu erreichen, ihr zu helfen, wenn seine Hilfe gebraucht wurde. Er mußte einen Weg finden, sie zu ihm zurückzuholen. Schwer atmend lag er da. Noch immer an Amberle denkend, übermannte ihn der Schlaf.

Es war dunkel, als er wieder erwachte. Im ersten Moment war er nicht sicher, was ihn geweckt hatte. Sein Geist war noch umnebelt vom Schlaf, seine Gedanken wirr. Ein Geräusch, dachte er, ein Schrei. In seinen Kissen richtete er sich auf und blickte angestrengt in die Düsternis des Zimmers. Bleiches weißes Mondlicht sickerte durch den Stoff der zugezogenen Vorhänge und erhellte schwach die Linien der verriegelten zweiflügeligen Fenstertür. Ungewiß wartete er.

Dann hörte er wieder ein Geräusch, ein gedämpftes Stöhnen, das beinahe augenblicklich wieder verstummte. Es war von draußen gekommen, aus dem Korridor, wo Dardan und Rhoe Wache standen. Langsam setzte er sich auf und lauschte angestrengt. Doch er hörte nichts mehr; nur Schweigen umgab ihn, tiefes, lastendes Schweigen. Eventine rutschte zum Rand des Bettes und schob vorsichtig ein Bein auf den Boden hinunter.

Die Tür zu seinem Schlafgemach schwang langsam auf. Das Licht der Öllampen aus dem Korridor fiel ins Zimmer. Der Elfenkönig erstarrte.Durch die Öffnung kam Manx, den massigen Körper in Lauerstellung tief am Boden, den zottigen grauen Kopf zu seinem Herrn emporgestreckt, der auf dem Bettrand saß. Die Augen des Wolfshundes glitzerten wie die einer Katze, und seine dunkle Schnauze war feucht von Blut. Doch seine Beine und Pfoten erschreckten den König am meisten; im dämmrigen Licht schien es, als seien sie die knotigen, klauenbewehrten Glieder eines Dämons geworden.

Aus dem Licht der Öllampen glitt Manx in den Schatten, und Eventine blinzelte erstaunt. In diesem Augenblick war er sicher, daß das, was er gesehen hatte, der letzte Fetzen eines Traums gewesen war, daß er sich nur eingebildet hatte, Manx sei nicht Manx, sondern etwas anderes. Der Wolfshund kam langsam auf ihn zu, und der König erkannte, daß er freundlich mit dem Schwanz wedelte. In tiefer Erleichterung seufzte er auf. Es war wirklich nur Manx, sagte er sich.

»Manx, braver Alter…« sagte er und brach ab, als er die blutigen Spuren sah, die der Hund auf dem Fußboden hinterlassen hatte.

Da sprang Manx schon nach seiner Kehle, schnell und lautlos, mit weitaufgerissenem Maul und krallenden Pfoten. Doch Eventine war schneller. Er riß die Decken vom Bett und warf sie dem Hund über. Nachdem er sie fest um das sich wehrende Tier gewickelt hatte, schleuderte er das Bündel mit Wucht auf das Bett und stürzte zur offenen Tür. Mit einem Satz war er draußen, schlug die Tür hinter sich zu, ließ den Riegel einschnappen.

Schweiß strömte in kleinen Bächen an seinem Körper herab. Was ging hier vor? Wie betäubt taumelte er von der Tür zurück und wäre beinahe über den reglosen Körper Rhoes gefallen, der mit aufgeschlitztem Hals auf dem Boden lag. Eventines Gedanken rasten. Manx? Weshalb hätte Manx…? Aber nein, sagte er sich scharf, das war ja nicht Manx. Dieses Ungeheuer, das sich da in seinem Schlafgemach auf ihn gestürzt hatte, war nicht Manx, sondern nur etwas, das wie Manx aussah. Benommen ging er den Korridor hinunter auf der Suche nach Dardan. Er fand ihn nicht weit vom vorderen Portal mit einer Lanze tief in der Brust steckend.

Da flog krachend die Tür seines Schlafgemachs auf, und das Ungeheuer, das wie Manx aussah und doch ganz sicher nicht Manx war, stürzte heraus. In wilder Hast rannte Eventine zum Portal und rüttelte an den Klinken. Sie rührten sich nicht, die Tür war verschlossen. Der alte König drehte sich um und sah, wie das Untier im Flur, das bluttriefende Maul weit geöffnet, langsam auf ihn zu schlich. Furcht packte da Eventine, so entsetzlich, daß sie ihn einen Moment lang völlig zu überwältigen drohte. Er war in seinem eigenen Haus gefangen. Es war niemand da, der ihm helfen konnte, niemand, zu dem er sich flüchten konnte. Er war allein.

Hechelnd klang der Atem des Ungeheuers durch die Stille des Korridors. Ein Dämon, dachte Eventine voller Grauen, ein Dämon, der sich als Manx eingeschlichen hatte, als der treue alte Manx. Ihm fiel plötzlich ein, wie er nach dem Fall des Sarandanon aufgewacht war und Manx gesehen hatte und plötzlich, völlig irrational, den Eindruck gehabt hatte, daß dies gar nicht Manx gewesen war, sondern etwas anderes. Eine Täuschung, hatte er damals gedacht — aber es war keine gewesen. Manx war tot, seit vielen Tagen wahrscheinlich schon, vielleicht auch schon seit Wochen…

Mit einem Schlag dämmerte ihm die gräßliche Wahrheit. Bei all seinen Besprechungen mit Allanon, als sie gemeinsam ihre geheimen Pläne ausgearbeitet hatten, und als sie die Maßnahmen zum Schutz Amberles erörtert hatten, war Manx zugegen gewesen. Oder der Dämon, der wie Manx aussah. Allanon hatte ihn darauf aufmerksam gemacht, daß sich im Lager der Elfen ein Spitzel befand — ein Spitzel, der über all ihre Geheimnisse Bescheid wußte. Der alte König dachte daran, wie oft er diesen zottigen grauen Kopf gestreichelt hatte, und ein eisiger Schauder rann ihm über den Körper.

Der Dämon war keine zwölf Fuß mehr von ihm entfernt. Mit gefletschten Zähnen kroch er in Lauerstellung heran. In diesem Augenblick wußte Eventine, daß er ein toter Mann war. Da geschah etwas in ihm, und es geschah so plötzlich, daß der Elfenkönig alles andere vergaß. Rasender Zorn flammte in ihm auf — Zorn über den Verrat, der an ihm geübt worden war, Zorn über die Opfer dieses Verrats, Zorn über seine eigene Ohnmacht und Hilflosigkeit in diesem Augenblick, da er in seinem eigenen Haus gefangen war.

Sein Körper straffte sich. Neben dem toten Dardan lag das kurze Schwert, das dem Elfenjäger die liebste Waffe gewesen war. Den Blick unverwandt auf den Dämon gerichtet, stahl sich Eventine vorsichtig von der Tür weg. Wenn es ihm gelang, an das Schwert zu kommen…

Mit einem plötzlichen Satz sprang der Dämon nach dem Kopf des Elfenkönigs. Eventine riß die Arme empor, um sein Gesicht zu schützen, und wurde von der Wucht des Aufpralls niedergerissen. Verzweifelt trat er mit den Füßen um sich. Zähne und Klauen schlugen sich in seine Unterarme, doch seine Füße trafen das Untier mit solcher Wucht im Bauch, daß es über ihn hinweg in die dunkle Türnische flog. Hastig wälzte er sich herum, warf sich über Dardan und packte das Schwert. Dann war er schon wieder auf den Beinen und drehte sich um, dem Angreifer entgegenzutreten.

Ungläubiges Staunen lief über sein Gesicht. Aus der dunklen Ecke hinter der Tür kroch der Dämon, aber nicht mehr Manx, sondern etwas anderes jetzt. Noch während er sich ihm schleichenden Schrittes näherte, war er in der Umbildung begriffen, verwandelte sich von Manx in ein schmales, geschmeidiges schwarzes Wesen mit einem haarlosen, muskulösen Körper. Auf vier Beinen, die in Krallenhänden ausliefen, kam es auf ihn zu, und scharfe Zähne blitzten in seinem Maul. Es tänzelte um den König herum, hob sich hin und wieder auf die Hinterbeine, täuschte mit Scheinangriffen, während es haßerfüllt fauchte. Ein Wandler, dachte Eventine und drängte gewaltsam eine neue Welle der Furcht zurück. Ein Dämon, der alles sein konnte, was er sein wollte.