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»Die Elfensteine sollen dein Geschenk an mich sein«, flüsterte sie. »Mein Geschenk an dich wird dein eigenes Leben und das Leben der Frauen sein. Nimm mein Geschenk an. Gedenke des alten Mannes. Denke an ihn, ehe du wählst.«

Sie hielt inne, als die Pforte zum Turm sich öffnete, und ein kleines Grüppchen von Holzmännchen hereinkam. Auf leise klappernden hölzernen Beinen traten sie zu Mallenroh und blieben dicht gedrängt vor ihr stehen. Einen Moment lang neigte sie sich zu ihnen hinunter, dann richtete sie sich auf und blickte aus kalten Augen auf Wil.

»Ihr habt einen Dämon in die Senke gelockt«, schrie sie ihn an. »Einen Dämon — nach all diesen Jahren! Er muß gefunden und vernichtet werden. Wisp — sein Geschenk!«

Der kleine Irrwisch schoß zu Wil hin und nahm dem Ohnmächtigen den Beutel und die Elfensteine aus den Händen. Das alte Gesicht blickte flüchtig zu dem Talbewohner auf, dann versteckte er sich in den Falten von Mallenrohs Umhang. Die Hexe hob die Hand, und Wil spürte, wie er plötzlich ganz schwach wurde.

»Denke daran, was du gesehen hast, Elf.« Ihre Stimme schien jetzt fern und kühl. »Ich besitze die Macht über Leben und Tod. Wähle klug.«

Sie ging an ihm vorüber und verschwand durch die offene Tür. Seine Kräfte ließen ihn im Stich, sein Blick trübte sich. Neben ihm brach Eretria zusammen.

Dann stürzte auch er. Das letzte, woran er sich erinnerte, war die Berührung der hölzernen Finger, die sich um seinen Körper schlossen.

44

»Wil!«

Der Klang seines Namens hing wie ein irrendes Echo im schwarzen Nebel, der ihn einhüllte. Die Stimme schien aus weiter Ferne zu kommen, um durch die Dunkelheit herabzuschweben und in seinen Schlaf einzudringen. Träge regte er sich, hatte das Gefühl, als sei er gebunden und mit Gewichten beschwert. Mit einer Kraftanstrengung tauchte er aus sich selbst heraus.

»Wil, ist dir auch nichts passiert?«

Die Stimme gehörte Amberle. Er blinzelte in dem Bemühen zu erwachen.

»Wil?«

Sie barg seinen Kopf auf ihrem Schoß, und ihr Gesicht neigte sich über das seine. Das lange kastanienbraune Haar floß über ihn wie ein Schleier.

»Amberle?« fragte er schläfrig und setzte sich auf. Dann streckte er stumm die Arme nach ihr aus und drückte sie fest an sich.

»Ich dachte, ich hätte dich verloren«, stieß er hervor.

»Und ich dachte, ich hätte dich verloren.« Sie lachte leise, während sie ihn umschlungen hielt. »Du hast stundenlang geschlafen, bist nicht ein einziges Mal erwacht, seit sie dich hier hereingebracht haben.«

Wil nickte, den Kopf an ihrer Schulter, und wurde plötzlich des betäubenden Duftes von Räucherwerk gewahr, der in der Luft hing. Sogleich wurde ihm klar, daß es dieser berauschende Duft war, der ihn so müde und ermattet machte. Sacht ließ er Amberle los und sah sich um.

Sie befanden sich in einer fensterlosen Zelle. An einer Kette hing von der Decke ein leuchtender Glaszylinder herab, wieder eines dieser Lichter, die ohne Öl oder Pech brannten und keinen Rauch absonderten. Die eine Wand der Zelle bestand ganz aus senkrechten alten Stangen, die im steinernen Boden und der Decke verankert waren. Die einzige Tür der Zelle befand sich in dieser eisernen Wand. Man hatte ihnen einen Krug mit Wasser, eine Eisenschüssel, Handtücher, Decken und drei Strohsäcke in die Zelle gebracht. Auf einer dieser Matratzen lag Eretria. Ihr Atem ging tief und regelmäßig. Jenseits der eisernen Gitterwand befand sich ein Gang, der zu einer Treppe führte und sich dann in Schwärze verlor.

Amberle folgte seinem Blick, der zu Eretria wanderte.

»Ich glaube, ihr ist nichts geschehen — sie schläft nur. Bis jetzt hab’ ich es nicht geschafft, einen von euch beiden zu wecken.«

»Mallenroh«, flüsterte er, als ihm alles wieder einfiel. »Hat sie dir etwas angetan?«

Amberle schüttelte den Kopf.

»Sie hat kaum ein Wort mit mir gesprochen. Anfangs wußte ich nicht einmal, wer mich da gefangengenommen hatte. Die Holzmännchen brachten mich hierher, und ich schlief eine ganze Weile. Dann kam sie zu mir. Sie erzählte mir, daß andere nach mir suchten, daß sie zu ihr gebracht werden würden, genau wie ich zu ihr gebracht worden war. Danach ging sie.« Die meergrünen Augen suchten die seinen. »Sie macht mir Angst, Wil — sie ist schön, aber so kalt.«

»Sie ist ein Ungeheuer. Wie hat sie dich denn überhaupt gefunden?«

Amberle wurde bleich bei der Erinnerung.

»Irgend etwas bedrohte mich, und da bin ich in die Senke hinuntergelaufen. Ich habe es nicht gesehen, aber ich spürte es —es war etwas Böses, das nach mir suchte.« Sie hielt einen Moment inne. »Ich lief und lief, solange ich konnte, und dann kroch ich. Am Ende bin ich zusammengebrochen. Die Holzmännchen müssen mich gefunden und zu ihr gebracht haben. Wil, war es Mallenroh, die ich spürte?«

Wil schüttelte den Kopf.

»Nein. Es war der Raffer.«

Ratlos starrte sie Wil einen Moment lang an, dann blickte sie zur Seite.

»Und jetzt ist er hier in der Senke, nicht wahr?«

»Ja«, bestätigte Wil. »Die Hexe weiß von ihm. Sie sucht ihn.« Er lächelte grimmig. »Vielleicht werden sie einander gegenseitig vernichten.«

Sie erwiderte das Lächeln nicht.

»Wie hast du mich gefunden?«

Er erzählte ihr alles, was geschehen war, seit er sie oben am Rand der Senke zurückgelassen hatte — er berichtete von dem Zusammentreffen mit Eretria, vom Tod Cephelos und der anderen Fahrensleute, vom Wiederauffinden der Elfensteine, der Flucht zurück durch den Wildewald, der Begegnung mit Hebel und Drifter, der Wanderung in die Senke, der Entdeckung der Holzmännchen und der Begegnung mit Mallenroh. Am Ende erzählte er noch, was die Hexe mit Hebel angestellt hatte.

»Der arme alte Mann«, flüsterte sie, und in ihren Augen standen Tränen. »Er wollte ihr doch nichts Böses. Warum hat sie ihm das angetan?«

»Wir alle sind ihr völlig gleichgültig«, erwiderte Wil. »Sie ist nur an den Elfensteinen interessiert. Sie will sie unbedingt haben, Amberle. Hebel sollte uns anderen nur ein Beispiel sein — besonders mir.«

»Aber du wirst sie ihr doch nicht geben, nicht wahr?«

Er sah sie unsicher an.

»Wenn ich dadurch unser Leben retten kann, dann gebe ich sie ihr. Wir müssen hier fort.«

Das Elfenmädchen schüttelte langsam den Kopf.

»Ich glaube nicht, daß sie uns fortlassen wird, Wil — auch nicht wenn du ihr das gibst, was sie haben will. Nachdem, was du mir von Hebel erzählt hast, glaube ich nicht mehr daran.«

Er schwieg bedrückt einen Moment.

»Ich weiß. Aber vielleicht können wir mit ihr feilschen. Sie würde bestimmt alles tun, um in den Besitz der Steine zu kommen …« Plötzlich brach er ab und lauschte. »Pscht, da kommt jemand.«

Stumm spähten sie durch das Eisengitter vor der Zelle in die Finsternis des Korridors hinaus. Von der Treppe her kam ein leichtes Scharren. Dann tauchte eine Gestalt im Lichtschein auf. Es war Wisp.

»Etwas zu essen«, verkündete er strahlend und hielt ihnen eine Platte mit Brot und Früchten hin. Eilig trippelte er zu ihrer Zelle und schob diePlatte durch eine schmale Öffnung am unteren Ende der Gittertür.

»Gutes Essen«, sagte er und wandte sich schnell ab, um wieder zu gehen.

»Wisp!« rief Wil ihm nach. Der kleine Irrwisch drehte sich um und sah den Talbewohner fragend an. »Kannst du nicht ein bißchen bleiben und mit uns sprechen?« fragte Wil.

Das alte Gesicht verzog sich zu einem Lächeln.

»Ja, Wisp spricht gern mit euch.«

Wil warf einen Blick auf Amberle.

»Was macht dein Knöchel — kannst du laufen?«

Sie nickte. »Es ist viel besser«, antwortete sie.

Er nahm sie bei der Hand und führte sie zu der Platte mit dem Essen. Schweigend setzten sie sich nieder. Wisp hockte sich auf die unterste Stufe der Treppe und neigte seinen Kopf zur Seite. Wil nahm sich ein Stück Brot, kaute und nickte beifällig.