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»Ihr habt mit dem Ellcrys gesprochen?«

»Genauer wäre es vielleicht zu sagen, daß der Baum zu mir gesprochen hat. Hätte er sich dazu nicht herbeigelassen, so hätte zwischen uns kein Gespräch stattfinden können.«

»Aber er spricht nur zu den Erwählten«, warf Andor ein und schloß hastig wieder seinen Mund, als er bemerkte, wie sein Vater unwillig die Stirn runzelte.

»Mein Sohn hat recht, Allanon.« Eventine wandte sich wieder an den Druiden. »Der Ellcrys spricht nur zu den Erwählten —und auch zu ihnen nur selten.«

»Er spricht zu denen, die ihm dienen«, entgegnete Allanon. »Unter den Elfen tun dies nur die Erwählten. Aber auch die Druiden haben dem Ellcrys gedient, wenn auch auf andere Weise. Wie dem auch sei, ich bot mich zum Gespräch an, und der Baum beliebte zu mir zu sprechen. Was er mir sagte, läßt den Schluß zu, daß Ihr die Lage zumindest in einer Hinsicht falsch beurteilt.«

Eventine wartete voller Ungeduld, daß der Druide fortfahren würde. Doch er saß schweigend da und blickte den Elfenkönig abwartend an.

»Gut, dann werde ich die Frage stellen.« Der König zwang sich zur Ruhe. »In welcher Hinsicht beurteile ich die Lage falsch?«

»Bevor ich Euch das sage«, antwortete Allanon, sich vorneigend, »sollt Ihr eines verstehen: Ich bin gekommen, meine Hilfe anzubieten, soweit dies in meiner Macht steht, denn das Böse, das in den Bannmauern der Verfemung gefangen ist, bedroht alles Leben in den vier Ländern. Was ich an Hilfe zu bieten habe, stelle ich anheim, doch unter einer Bedingung: Mir muß die Freiheit gewährt sein, so zu handeln, wie ich es für richtig halte. Auch wenn es Euer Mißtrauen herausfordern sollte, Eventine Elessedil. Selbst und gerade dann. Billigt Ihr dieses Verlangen?«

Der König zögerte. Seine blauen Augen musterten das dunkle Gesicht des anderen, suchten dort nach Antworten. Endlich nickte er.

»Ja, ich billige es. Ihr sollt in dieser Sache handeln, wie Ihr es für richtig haltet.«

Der Druide lehnte sich zurück, jede Gefühlsregung sorgfältig verbergend, während er Andor und den König betrachtete.

»Zum einen glaube ich, daß ich bei der Suche nach dem Ort Sichermal hilfreich sein kann. Die Bilder, die mir der Ellcrys von diesem Ort zeigte, als wir miteinander sprachen, waren auch mir, wie ich schon erwähnte, nicht vertraut. Sie waren mir deshalb unbekannt, weil sie die Welt so zeigten, wie sie war, als der Ellcrys geschaffen wurde. Die Großen Kriege jedoch haben die Geographie der alten Welt so grundlegend verändert, daß die Erinnerungsbilder des Ellcrys nicht mehr zutreffen. Immerhin haben wir den Namen Sichermal. Ihr habt mir berichtet, daß in den Geschichtsbüchern der Elfenkönige und des Ordens der Erwählten dieser Name nicht genannt wird. Aber es gibt noch einen anderen Ort, wo man suchen kann. In Paranor, in der Druidenburg, werden Geschichtsbücher aufbewahrt, die sich einzig mit den Wissenschaften und mystischen Phänomenen der alten Welt beschäftigen. Es ist möglich, daß diese Bücher einen Hinweis auf die Erschaffung des Ellcrys und den Heimatort des Blutfeuers enthalten. Das ist vielmehr eine naheliegende Möglichkeit, da ein großer Teil des Wissens, das in diesen alten Geschichtsbüchern gesammelt ist, zur Zeit des Ersten Druidenrats zusammengetragen wurde — von den einzelnen Mitgliedern gemäß der mündlichen Überlieferung seit der Großen Katastrophe. Erinnert Euch, daß der führende Kopf dieses Rats Galaphile war, und Galaphile war ein Elf. Er wird dafür Sorge getragen haben, daß etwas über die Erschaffung des Ellcrys und den Heimatort des Blutfeuer-Brunnens niedergelegt wurde.«

Allanon machte eine Pause.

»Heute nacht, wenn wir zum Ende gekommen sind, reise ich weiter nach Paranor. Die alten Bücher befinden sich an einem geheimen Ort und nur ein Druide vermag sie zu finden; deshalb muß ich mich selbst dorthin begeben. Ich glaube aber, daß in den alten Schriften etwas über den Ort namens Sichermal niedergeschrieben steht. Und daraus, so hege ich die Hoffnung, werden wir ersehen können, wo das Blutfeuer zu finden ist.«

Er faltete die Hände auf dem Tisch, und sein Blick hielt den des Königs wie bannend fest.

»Was die Erwählten angeht, Eventine, so irrt Ihr Euch! Sie sind nicht alle umgebracht worden.«

Einen Augenblick legte sich Totenstille über den Raum. Amberle, dachte Andor überrascht. Er meint Amberle!

»Alle sechs wurden getötet!« begann Eventine und brach unvermittelt ab.

»Es waren sieben Erwählte«, versetzte der Druide ruhig. »Sieben.«

Der König erstarrte. Seine Hände krampften sich so fest um die Tischkante, daß die Knöchel weiß hervortraten. In seinen Augen spiegelten sich Zorn und Ungläubigkeit.

»Amberle«, stieß er hervor und es klang, als stoße er einen Fluch aus.

Der Druide nickte. »Sie ist eine der Erwählten.«

»Nein!« Der König war aufgesprungen. »Nein, Druide!« rief er laut.

Aus dem Korridor hallte das Geräusch eilender Schritte, dann trommelten Fäuste an die Tür des Studierzimmers. Die laute, erregte Stimme des Königs hatte Dardan und Rhoe aufgeschreckt. Eilig liefAndor zur Tür und öffnete sie. Mit Überraschung sah er, daß nicht nur die Leibwächter draußen standen, sondern auch Gael. Alle drei spähten neugierig in das Studierzimmer, doch Andor versperrte ihnen die Sicht. Dann tauchte sein Vater neben ihm auf.

»Ich habe dir gesagt, du sollst nach Hause gehen, Gael«, tadelte Eventine den jungen Elf in strengem Ton. »Geh jetzt.«

Gael verneigte sich automatisch, und sein Gesicht zeigte deutlich, wie sehr ihn die Worte des Königs kränkten. Ohne ein Wort ging er durch den Korridor davon und verschwand. Der König nickte den Leibwachen zu, versicherte ihnen, daß alles in Ordnung war, und sie kehrten auf ihre Posten zurück.

Eine Weile verharrte der König schweigend auf der Schwelle, dann schloß er die Tür. Der durchdringende Blick seiner blauen Augen streifte von seinem Sohn hinüber zu Allanon.

»Woher habt Ihr Kenntnis von Amberle?«

»Als der Ellcrys zu mir sprach, teilte er mir mit, daß sieben erwählt worden waren, darunter ein junges Mädchen. Er sagte mir auch, daß ihr Name Amberle Elessedil lautet.«

Der Druide schwieg, während er aufmerksam das Antlitz des Elfenkönigs musterte. Es war von Bitterkeit gezeichnet. Alle Farbe war aus ihm gewichen.

»Es ist ungewöhnlich, daß der Ellcrys eine junge Frau erwählt«, fuhr Allanon fort. »Soviel ich weiß, waren es insgesamt nicht mehr als fünf oder sechs — und in den letzten fünfhundert Jahren war kein Mädchen mehr unter ihnen.«

Der König schüttelte ärgerlich den Kopf.

»Amberles Erwählung war eine Ehre, die ihr jedoch nichts bedeutete. Sie trat diese Ehre mit Füßen. Sie brachte Schande über ihr Volk und ihre Familie. Sie gilt nicht mehr als Erwählte. Sie ist keine Bürgerin dieses Landes mehr. Sie ist eine Ausgestoßene. Sie selbst hat es nicht anders gewollt.«

Mit einer raschen Bewegung sprang Allanon auf. Sein Gesicht war plötzlich von Härte gezeichnet.

»Sie ist Eure Enkelin, und Ihr sprecht wie ein alter törichter Narr.«

Eventine fuhr zornig hoch bei dieser Zurechtweisung, doch er hüllte sich beherrscht in Schweigen. Der Druide trat auf ihn zu.

»Hört mir zu. Amberle ist eine Erwählte. Es ist wahr, daß sie dem Ellcrys nicht so diente wie die anderen. Es ist wahr, daß sie ihre Pflichten als Erwählte vernachlässigt hat. Es ist wahr, daß sie aus Gründen, die nur ihr selbst bekannt waren, Arborlon und Westland, ihre Heimat, verlassen hat, obwohl sie damit Schande über ihre Familie und besonders über Euch, den König, brachte. Es ist wahr, daß sie selbst glaubt, nicht mehr zu den Erwählten zu gehören. Aber wisse dies: Weder dir noch ihrem Volk steht es zu, ihr das zu nehmen, was der Ellcrys ihr verliehen hat. Auch sie selbst kann es nicht einfach abschütteln. Nur der Ellcrys allein kann nehmen, was er gegeben hat. Und solange der Ellcrys nichts Gegenteiliges sagt, bleibt Amberle eine Erwählte in seinem Dienst eine Erwählte, die das Samenkorn des Ellcrys zum Blutfeuer bringen kann, eine Erwählte, die dem Baum neues Leben und die Wiedergeburt schenken kann.«