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»Fort, aus der Senke heraus?« erläuterte Wil.

Wisp schüttelte den Kopf. »Keiner geht fort. Niemals. Holzfiguren.« Er winkte Eretria zu. »Das hübsche Ding ist für Wisp. Paß gut auf das hübsche Ding auf. Dann schwatzen wir noch ein bißchen. Später.«

Er machte kehrt und sprang die Treppe hinauf. Die Gefangenen blickten ihm nach, bis die Finsternis ihn verschluckte. Die Glocke hoch im Turm schlug ein zweites Mal.

Wil sprach als erster.

»Wisp könnte sich täuschen. Mallenroh will die Elfensteine unbedingt haben. Ich glaube, sie würde uns fortlassen, wenn ich bereit wäre, sie ihr zu geben.«

Dicht zusammengedrängt kauerten sie vor der Tür ihrer Zelle und spähten voller Unbehagen in die Finsternis des Korridors auf der anderen Seite.

»Nein, Wisp täuscht sich nicht.« Amberle schüttelte bedächtig den Kopf. »Hebel hat uns doch erzählt, daß niemand sich in die Senke hineinwagt. Er hat gesagt, daß noch nie jemand wieder zurückgekommen ist.«

»Das Elfenmädchen hat recht«, stimmte Eretria zu. »Niemals wird diese Hexe uns fortlassen. Sie wird uns alle in Holzfiguren verwandeln.«

»Nun, dann müssen wir uns einen anderen Plan einfallen lassen.«

Wil umfaßte die Eisenstangen der Zelle, um ihre Stärke zu prüfen. Eretria stand auf und blickte vorsichtig zur düsteren Treppe hin.

»Ich habe einen anderen Plan, Heiler«, sagte sie leise.

Sie griff in ihren rechten Stiefel, teilte die Lederfalten an der Innenseite und zog eine dünne Metallstange mit einem merkwürdig geformten Haken am Ende heraus. Dann griff sie in den linken Stiefel und nahm den Dolch heraus, den Wil schon vorher gesehen hatte, als Hebel sie am Rand zur Senke überrascht hatte. Mit einem triumphierenden Lächeln hielt sie den Dolch hoch und ließ ihn dann wieder in den Stiefel gleiten.

»Wie konnte Mallenroh den denn übersehen?« fragte Wil erstaunt.

Das Mädchen zuckte die Schultern.

»Sie hat sich gar nicht die Mühe gemacht, ihren Holzmännern zu befehlen, mich zu durchsuchen. Sie war viel zu sehr damit beschäftigt, uns fühlen zu lassen, wie ohnmächtig wir sind.«

Sie trat zur Zellentür und prüfte aufmerksam das Schloß.

»Was machst du da?« Wil trat zu ihr.

»Ich sorge dafür, daß wir hier rauskommen«, erklärte sie, während sie angestrengt ins Schlüsselloch starrte. Dann blickte sie zu ihm auf und hob den kleinen Metallschaft hoch. »Ein Dietrich. Es gibt bei den Fahrensleuten weder Mann noch Frau ohne ein solches Ding. Weil allzu viele schlecht beratene Bürger immer wieder versuchen, uns einzusperren. Sie trauen uns wahrscheinlich nicht.«

Sie zwinkerte Amberle zu; die runzelte die Stirn.

»Manche von diesen Leuten haben wahrscheinlich guten Grund, euch nicht zu trauen«, meinte sie.

»Wahrscheinlich.« Eretria blies Staub von dem Schloß, »jeder von uns schwindelt ab und zu mal — nicht wahr, Schwester Amberle?«

»Augenblick mal.« Wil kniete neben ihr nieder, ohne das Gespräch zu beachten. »Angenommen, du bringst das Schloß auf, Eretria, was tun wir dann?«

Sie sah ihn an, als sei er nicht ganz bei Sinnen.

»Wir fliehen, Heiler — so schnell und so weit es geht.«

Wil schüttelte den Kopf.

»Das geht nicht. Wir müssen bleiben.«

»Wir müssen bleiben?« wiederholte sie ungläubig.

»Eine Zeitlang zumindest.« Wil warf einen flüchtigen Blick auf Amberle, dann faßte er seinen Entschluß. »Eretria, ich glaube, jetzt ist der Moment gekommen, daß wir den Schwindel, von dem du eben gesprochen hast, mal aus der Welt schaffen sollten. Hör mir jetzt gut zu.«

Er winkte Amberle, sich zu ihnen zu gesellen, und dann klärte er Eretria in aller Eile darüber auf, wer Amberle war, wer er selbst war, was sie in den Wildewald geführt hatte und was sie in Wirklichkeit suchten. Er ließ nichts aus in seinem Bericht, denn es war jetzt notwendig, daß Eretria die lebenswichtige Bedeutung ihrer Suche nach dem Blutfeuer begriff. Sie befanden sich in diesem Turm in großer Gefahr, doch selbst wenn es ihnen gelingen sollte, sich zu befreien, wurde die Gefahr nicht geringer werden, die sie bedrohte. Wenn ihm selbst irgend etwas zustoßen sollte, sagte er, dann sollte Eretria alles tun, was in ihrer Macht stand, um Amberle bei der Flucht aus der Senke zu helfen.

Als er geendet hatte, starrte Eretria ihn sprachlos an. Dann wandte sie sich Amberle zu.

»Ist das alles wahr, Elfenmädchen? Ich glaube, dir traue ich eher.«

Amberle nickte. »Es ist alles wahr.«

»Und ihr seid entschlossen, hier zu bleiben, bis ihr dieses Blutfeuer gefunden habt?«

Amberle nickte wieder.

Eretria schüttelte voller Zweifel den Kopf.

»Kann ich das Samenkorn mal sehen, das du bei dir hast?«

Unter ihrem Kittel zog Amberle das Samenkorn des Ellcrys hervor, das sorgfältig in weißes Leinen eingeschlagen war. Sie packte es aus und hielt es der staunenden Eretria hin. Silberweiß und vollkommen geformt lag es auf ihren Händen. Die Zweifel in Eretrias Augen erloschen, und sie wandte sich wieder Wil zu.

»Wo du hingehst, da gehe auch ich hin, Wil Ohmsford. Wenn du sagst, daß wir bleiben müssen, dann ist die Sache erledigt. Aber aus dieser Zelle hier müssen wir trotzdem raus.«

»Also gut«, stimmte Wil zu. »Dann suchen wir Wisp.«

»Wisp?«

»Wir brauchen ihn. Er weiß, wo Mallenroh die Elfensteine versteckt hat, und er kennt Sichermal, er kennt sich aus in seinen unterirdischen Gängen und weiß um all seine Geheimnisse. Er kennt die Senke. Wenn wir Wisp als Führer haben, dann könnte es uns gelingen, unsere Mission zu erfüllen und lebend von hier zu entkommen.«

Eretria nickte.

»Aber erst einmal müssen wir von hier entkommen. Ich brauche bestimmt eine ganze Weile, um dahinterzukommen, wie das Schloß da funktioniert. Seid so leise wie möglich. Beobachtet die Treppe.«

Vorsichtig schob sie das Metallrohr mit dem Haken in das Schlüsselloch und begann, es behutsam hin und her zu drehen.

Wil und Amberle rückten zur anderen Seite des Gitters hinüber, von wo aus sie den dunklen Korridor besser beobachten konnten, der vom Turm aus die Treppe herunterführte. Die Minuten verrannen, und noch immer war es Eretria nicht gelungen, die Zellentür zu öffnen. Schwaches Kratzen und Knirschen war in der tiefen Stille zu hören, während der Dietrich im Schloß hin und her bewegt wurde. Eretria schimpfte leise vor sich hin, als ihre Versuche, das Schloß zu öffnen, immer wieder fehlschlugen. Amberle kauerte sich neben Wil, ihre Hand locker auf seinem Knie.

»Und was tun wir, wenn sie es nicht schafft?« flüsterte sie nach einer Weile.

Wil hielt die Augen auf den Korridor gerichtet.

»Sie schafft es schon.«

Amberle zweifelte. »Aber wenn sie es nicht schafft — was dann?«

Er schüttelte den Kopf.

»Du solltest Mallenroh die Elfensteine nicht geben«, erklärte Amberle leise.

»Das haben wir doch schon besprochen. Ich muß dich hier herausbringen.«

»Wenn sie die Steine erst hat, dann wird sie uns vernichten.«

»Nein, nicht, wenn ich es richtig anpacke.«

»Jetzt hör mir doch mal zu!« Ihre Stimme war zornig. »Mallenroh hat keine Achtung vor menschlichem Leben. In ihren Augen sind die Menschen nutzlose Wesen, soweit sie ihr nicht dienen. Hebel begriff das nicht, als er ihr damals vor langer Zeit am Rand der Senke das erste Mal begegnete. Er sah nur ihre Schönheit und die magischen Kräfte, mit denen sie sich umgab, die Träume, die sie mit ihren Worten spann, den Eindruck, den sie hinterließ — nur Blendwerk. Er sah nicht das Böse, das darunter lag — oder er sah es jedenfalls erst viel zu spät.«

»Aber ich bin nicht Hebel.«

Sie holte tief Atem.

»Nein. Aber es beruhigt mich, daß deine Sorge um mich und um die Mission, die ich zu erfüllen habe, jetzt dein Urteil beeinflußt. Du besitzt eine solche Entschlossenheit, Wil. Du meinst, daß du jedes Hindernis überwinden kannst, ganz gleich wie mächtig es ist. Ich neide dir deine Entschlossenheit — mir fehlt sie vollkommen.«

Sie nahm seine Hände in die ihren.