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»Ich will dir nur begreiflich machen, daß ich auf dich angewiesen bin. Du kannst es nennen, wie du willst — ich brauche deine Kraft und deine Stärke, deine Überzeugung, deine Entschlossenheit. Aber weder dies noch deine Gefühle für mich dürfen dein Urteil beeinflussen. Sonst sind wir beide verloren.«

»Entschlossenheit ist so ziemlich die einzige Waffe, über die ich noch verfüge«, erwiderte er leise und sah ihr in die Augen. »Im übrigen finde ich gar nicht, daß es dir an Entschlossenheit mangelt.«

»Doch, Wil. Allanon wußte das, als er dich auswählte, um mich zu beschützen. Ich glaube, er wußte, wie wichtig deine Entschlossenheit für unser Überleben werden würde. Und ohne sie, Wil, wären wir längst tot.« Sie hielt einen Moment inne, und als sie weitersprach, war ihre Stimme sehr leise. »Du irrst dich, wenn du sagst, daß es mir nicht an Entschlossenheit fehlt. Ich habe sie nie in ausreichendem Maße besessen.«

»Das glaube ich dir nicht.«

»Du kennst mich nicht so gut, wie du glaubst, Wil.«

Er musterte forschend ihr Gesicht.

»Was meinst du damit?«

»Ich meine, daß es gewisse Dinge gibt…« Sie brach ab. »Ich meine, daß ich nicht so stark bin, wie ich gern sein würde — nicht so mutig, nicht einmal so zuverlässig wie du. Weißt du noch, Wil, als wir in Havenstead aufbrachen? Damals hast du nicht sonderlich viel von mir gehalten. Und ich habe auch nicht viel von dir gehalten.«

»Amberle, du hattest Angst. Das ist doch nicht —«

»O ja, da hast du recht, ich hatte große Angst«, unterbrach sie ihn rasch. »Ich habe immer noch Angst. Und gerade die Tatsache, daß ich Angst habe, ist die Ursache für alles, was geschehen ist.«

An der Zellentür brummte Eretria zornig vor sich hin, lehnte sich zurück und begutachtete aus zusammengekniffenen Augen das widerspenstige Schloß. Einmal sah sie kurz zu Wil hinüber, dann machte sie sich wieder an die Arbeit.

»Du willst mir doch etwas ganz Bestimmtes sagen, Amberle. Was ist es?« fragte Wil leise.

Amberle schüttelte langsam den Kopf.

»Ich bemühe mich, den Mut aufzubringen, dir das eine zu sagen, das ich dir bis jetzt einfach nicht sagen konnte.« Sie starrte in die öde Düsternis der Zelle. »Ich vermute, es drängt mich gerade jetzt, es dir zu sagen, weil ich nicht weiß, ob sich noch eine andere Gelegenheit überhaupt bieten wird.«

»Dann sag es mir doch«, ermunterte er sie.

Sie hob das kindliche Gesicht zu ihm auf.

»Ich habe Arborlon verlassen und meine Pflichten als Erwählte im Dienste des Ellcrys im Stich gelassen, weil ich mit der Zeit eine solche Angst vor dem Ellcrys bekam, daß ich es nicht mehr ertragen konnte, auch nur in seiner Nähe zu sein. Das klingt töricht, ich weiß, aber hör mich bitte bis zum Ende an. Ich habe dies nie jemandem erzählt. Ich glaube, meine Mutter hat es gemerkt und verstanden, aber sonst niemand. Ich kann das auch den anderen nicht zum Vorwurf machen. Ich hätte mich ja vielleicht erklären können, aber ich zog es vor, das nicht zu tun. Ich war einfach der Meinung, ich könnte mit niemandem darüber sprechen.«

Sie machte eine kurze Pause.

»Ich hatte einen schweren Stand, nachdem ich von dem Ellcrys erwählt worden war. Ich wußte natürlich um die Einzigartigkeit meiner Erwählung. Ich wußte, daß ich seit fünfhundert Jahren die erste Frau war, die der Baum erkoren hatte, die erste Frau seit den Tagen des Zweiten Krieges der Rassen. Ich nahm meine Erwählung einfach an, obwohl es viele gab, die sie in Frage stellten. Ganz offen. Doch ich war die Enkelin von Eventine Elessedil; so sonderbar fand ich es gar nicht, daß ich erwählt worden war. Und meine Familie — ganz besonders mein Großvater — war so stolz.

Aber ich entdeckte bald, daß meine Erwählung nicht nur im Hinblick darauf, daß ich eine Frau war, etwas Besonderes war. Vom ersten Tag meines Dienstes an nahm ich eine Ausnahmestellung unter meinen Miterwählten ein. Der Ellcrys, das war wohlbekannt, pflegte nur sehr selten zu jemandem zu sprechen. Es war praktisch noch nie vorgekommen, außer unter ganz besonderen Umständen natürlich, daß er nach dem Zeitpunkt ihrer Berufung mit den Erwählten gesprochen hatte. Mit mir aber sprach er vom ersten Tag an — nicht einmal oder zweimal, sondern jeden Tag; nicht flüchtig, nicht obenhin, sondern ausführlich und mit Absicht. Immer war ich allein; die anderen waren nie dabei. Er pflegte mir zu sagen, wann ich kommen sollte, und ich folgte dem Befehl natürlich. Ich fühlte mich tief geehrt; ich nahm eine Sonderstellung ein, ich lag ihm mehr am Herzen als jeder andere zuvor, und das machte mich sehr stolz.«

Sie schüttelte den Kopf bei der Erinnerung.

»Anfangs war es wunderbar. Der Ellcrys erzählte mir Dinge, die sonst niemand wußte, Geheimnisse über die Erde und das Leben auf ihr, die bei den Rassen seit Jahrhunderten in Vergessenheit geraten waren. Er erzählte mir von den Großen Kriegen, von den Rassenkriegen, von der Geburt der Vier Länder und ihrer Einwohner, von allem, was seit Beginn der neuen Welt sich ereignet hatte. Er schilderte mir, wie die alte Welt gewesen war, obwohl sein Gedächtnis manchmal versagte, wenn er allzuweit zurückgriff. Manches von dem, was er mir berichtete, verstand ich nicht. Aber ich verstand vieles. Ich begriff, was er mir über das Wachstum lebendiger Wesen sagte, über die Pflege von Pflanzen und Tieren. Das war sein Geschenk an mich, die Fähigkeit, die Dinge zum Wachsen zu bringen. Es war ein wunderschönes Geschenk. Und die Gespräche waren zauberisch — allein die Möglichkeit, von all diesen wundersamen Dingen zu hören.

So war es am Anfang. Da hatte ich meinen Dienst gerade erst aufgenommen, und die Gespräche waren so neu und aufregend, daß ich das, was geschah, fraglos hinnahm. Bald aber entwickelte sich etwas sehr Unangenehmes. Das wird sich vielleicht merkwürdig anhören, Wil, aber ich fing an, mich in den Baum zu verlieren. Ich verlor allmählich alles Gefühl dafür, wer ich war. Ich war nicht mehr ich; ich war ein Teil des Ellcrys. Ich weiß bis heute nicht, ob das von ihm gewollt war, oder ob es nur das natürliche Ergebnis unserer nahen Beziehung war. Damals hielt ich es für gewollt. Ich bekam Angst vor dem, was mir da geschah — und dann wurde ich sehr zornig. Wurde von mir als Erwählte erwartet, auf meine eigene Persönlichkeit, meine eigene Identität zu verzichten, um die Bedürfnisse des Baumes befriedigen zu können? Ich hatte den Eindruck, daß der Ellcrys mit mir spielte; daß er mich benutzte. Aber ich täuschte mich.

Die anderen Erwählten begannen die Veränderung an mir zu sehen. Allmählich kam ihnen, glaube ich, der Verdacht, daß an meiner Beziehung zu dem Ellcrys etwas anders und besonders war. Ich spürte, wie sie mich mieden; ich spürte, wie sie mich beobachteten. Und die ganze Zeit verlor ich mich immer mehr an den Ellcrys — jeden Tag war wieder ein Stück von mir entschwunden. Ich war entschlossen, dem ein Ende zu machen. Ich fing an, den Baum zu meiden, wie die anderen Erwählten mich mieden.

Ich weigerte mich, zu ihm zu gehen, wenn er darum bat; ich sandte einen anderen an meiner Statt. Als er mich fragte, was nicht in Ordnung sei, erklärte ich es ihm nicht. Ich hatte Angst vor ihm; ich schämte mich; ich war voller Zorn auf die ganze Situation.«

Ihr Mund wurde schmal und bitter.

»Schließlich kam ich zu dem Schluß, das wahre Problem läge darin, daß ich nicht dafür geschaffen war, eine Erwählte zu sein. Ich schien mir nicht in der Lage, mit der Verantwortung fertigzuwerden oder zu begreifen, was von mir erwartet wurde. Der Ellcrys hatte für mich etwas getan, was er für keinen anderen Erwählten getan hatte — etwas Wunderbares, Herrliches — ich konnte es nicht annehmen. Ich fand es unrecht, wie ich reagierte; ich war der Meinung, daß keiner der anderen so reagiert hätte. Und ich kam zu dem Schluß, daß meine Berufung zur Erwählten ein Irrtum gewesen war.

Da ging ich, Wil, kaum einen Monat nach meiner Erwählung. Ich sagte meiner Mutter und meinem Großvater, daß ich fortgehen würde, daß ich dem Ellcrys nicht länger dienen könne. Ich sagte ihnen nicht, warum. Das brachte ich nicht über mich. Als Erwählte zu versagen, war schlimm genug. Aber zu versagen, weil der Baum Forderungen an mich stellte, die jeder andere mit Freuden erfüllt hätte — nein. Vor mir selber konnte ich zugeben, was zwischen dem Ellcrys und mir geschehen war, aber keinem anderen konnte ich es bekennen. Meine Mutter schien zu verstehen. Mein Großvater nicht. Es gab harte Worte zwischen uns, die Bitterkeit in uns beiden zurückließ. Mit Schimpf und Schande beladen in meinen eigenen Augen und in den Augen der anderen ging ich aus Arborlon fort, fest entschlossen, nie wieder zurückzukehren. Ich leistete den Elfeneid zum Dienst in fremdem Land; ich wollte mich in einem der anderen Länder niederlassen und die Leute dort das lehren, was ich über die Pflege und Erhaltung der Erde und des Lebens wußte. Ich wanderte, bis ich Havenstead fand. Das Dorf wurde mein Zuhause.«