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Tränen schimmerten jetzt in ihren Augen.

»Aber ich habe mich getäuscht. Das kann ich jetzt sagen — ich muß es jetzt sagen. Ich bin vor einer Verantwortung davongelaufen, die mir bestimmt war. Ich bin vor meinen Ängsten davongelaufen. Ich enttäuschte alle, und letzten Endes ließ ich meine Miterwählten zurück, ohne mich zu sterben.«

»Du beurteilst dich zu hart«, widersprach Wil.

»Meinst du?« Sie verzog den Mund. »Ich fürchte, ich beurteile mich selbst nicht hart genug. Wäre ich in Arborlon geblieben, dann hätte der Ellcrys vielleicht früher von seinem nahenden Tod gesprochen. Ich war es, mit der er schon zuvor gesprochen hatte — mit keinem der anderen. Die anderen wußten nicht einmal, was sich abgespielt hatte. Zu mir hätte der Ellcrys vielleicht gesprochen, so rechtzeitig vielleicht, daß das Blutfeuer hätte gefunden und das Samenkorn gepflanzt werden können, ehe die Mauer der Verfemung ins Wanken geriet und die Dämonen sich befreien konnten. Begreifst du, Wil? Wenn das zutrifft, dann habe ich alle die Elfen, die jetzt tot sind, auf dem Gewissen.«

»Es ist genauso möglich«, entgegnete Wil, »daß die Warnung des Ellcrys auch dann nicht einen Tag früher gekommen wäre, wenn du Arborlon nicht verlassen hättest, sondern geblieben wärst. Dann wärst du jetzt tot wie die anderen und den noch lebenden Elfen keine Hilfe.«

»Und damit soll ich meine Handlungen rechtfertigen?«

Er schüttelte den Kopf. »Nein, aber du sollst jetzt nicht zurückblicken und Mutmaßungen darüber anstellen, was hätte sein können. Vielleicht war alles so gewollt, wie es sich entwickelt hat. Das kannst du doch gar nicht wissen.« Seine Stimme wurde härter. »Jetzt hör du mir mal einen Moment zu. Nimm an, der Ellcrys hätte sich einen anderen deiner Miterwählten zu diesen täglichen Gesprächen auserkoren. Hätte dieser Erwählte anders als du auf das Erlebnis reagiert? Wäre ein anderer den Gefühlen gegenüber immun gewesen, die dich bedrängten? Das glaube ich nicht, Amberle. Ich kenne dich. Ich kenne dich vielleicht besser als jeder andere, nach dem, was wir alles gemeinsam durchgemacht haben.Du besitzt Charakterstärke, du hast den Mut deiner Überzeugung und du besitzt Entschlossenheit, auch wenn du es anders behauptest.«

Er schob seine Hand unter ihr Kinn.

»Ich kenne niemanden — niemanden, Amberle —, der diese lange Reise und all die Gefahren und Unbilden besser gemeistert hätte als du. Ich denke, es ist Zeit, daß ich dir einmal sage, was du mir so gerne sagst. Glaub an dich selbst. Hör auf zu zweifeln. Hör auf Mutmaßungen anzustellen. Glaube einfach. Habe ein bißchen Vertrauen in dich selbst, Amberle, du verdienst dieses Vertrauen.«

Sie weinte jetzt ganz offen.

»Ich habe dich so gern.«

»Und ich dich.« Er küßte ihre Stirn. »Sehr, sehr.«

Sie lehnte ihren Kopf an seine Schulter, und er umschlang sie. Als sie zu ihm aufblickte, waren die Tränen versiegt.

»Jetzt mußt du mir etwas versprechen«, bat sie ihn.

»Ja, gut.«

»Versprich mir, dafür zu sorgen, daß ich bis zum Ende durchhalte — daß ich nicht wanke, daß ich nicht vom eingeschlagenen Weg abweiche, daß ich nicht davor zurückschrecke, das zu tun, was mich hierhergeführt hat. Sei meine Kraft und mein Gewissen. Versprich mir das.«

Er lächelte sanft. »Ich verspreche es dir.«

»Ich habe immer noch Angst«, gestand sie leise.

An der Zellentür sprang Eretria auf.

»Heiler!«

Wil sprang auf, und Amberle folgte ihm. Zusammen liefen sie zu Eretria hinüber. Ihre schwarzen Augen funkelten. Wortlos zog sie das Metallrohr aus dem Schlüsselloch und steckte es wieder in ihren Stiefel. Augenzwinkernd umfaßte sie dann die Eisenstangen der Zellentür und zog. Lautlos öffnete sie die Tür.

Wil Ohmsford lächelte triumphierend. Jetzt mußten sie nur noch Wisp finden.

45

Sie fanden ihn beinahe augenblicklich. Gerade waren sie von der Zelle zum Fuß der Treppe gelaufen und spähten blinzelnd aufwärts in die Finsternis des Korridors, als sie Schritte nahen hörten. Rasch bedeutete Wil Eretria, an die Wand zurückzuweichen, während er Amberle mit sich auf die andere Seite zog. An den kalten Stein gepreßt warteten sie, während die Schritte näherkamen, leichte, vertraute Dribbelschritte, die Wil sogleich erkannte. Wenig später tauchte Wisps Altmännergesicht aus der Dunkelheit des Korridors. »Hübsches Ding, hallo, hallo. Willst du mit Wisp schwatzen?« Mit festem Griff packte Wil ihn am Schlafittchen. Wisp schrie auf vor Schreck und strampelte wie ein Wahnsinniger, um sich zu befreien, als Wil ihn vom Boden hochhob. »Sei ganz still!« flüsterte Wil warnend und drehte den kleinen Burschen herum, so daß dieser sehen konnte, wer ihn gepackt hielt. Wisp riß die Augen auf. »Nein, nein, ihr könnt nicht fort.« »Sei still!« Wil schüttelte ihn, bis er keinen Laut mehr von sich gab. »Noch ein Wort und ich dreh’ dir den Kragen um, Wisp.« Wisp nickte voll ängstlichen Eifers, während sein behaarter kleiner Körper sich in Wils Händen wand. Wil ging in die Knie und setzte seinen Gefangenen auf den Boden, hielt ihn aber weiterhin am Kragen fest. »Jetzt hör mal genau zu, Wisp«, sagte Wil. »Ich möchte die Elfensteine zurückhaben, und du wirst mir zeigen, was die Hexe mit ihnen gemacht hat. Verstehst du?«

Wisp schüttelte heftig den Kopf.

»Wisp dient der Dame. Ihr könnt nicht fort!«

»In einer Schachtel sind sie, hast du gesagt.« Wil ging auf seinen Einwurf gar nicht ein. »Bring mich da hin, wo sie die Schachtel aufbewahrt.«

»Wisp dient der Dame! Wisp dient der Dame!« wiederholte der kleine Bursche voller Verzweiflung. »Ihr müßt bleiben! Geht zurück!«

Wil war ratlos. Da trat Eretria heran und neigte ihr dunkles Gesicht zu Wisp hinunter. Blitzend fuhr der Dolch aus ihrem Stiefel, und sie legte ihn dem kleinen Burschen an den Hals.

»Jetzt hör mal her, du kleiner Irrwisch«, sagte sie. »Wenn du uns nicht sofort zu den Elfensteinen bringst, dann schneide ich dir den Hals von einem Ohr zum anderen durch. Dann kannst du gar niemanden mehr dienen.«

Wisps Gesicht verzerrte sich vor Entsetzen.

»Tu Wisp nichts, du Hübsche. Wisp mag dich, du hübsches Ding. Er mag dich. Tu ihm nichts.«

»Wo sind die Elfensteine?« fragte sie, während sie dem kleinen Elf die Klinge noch fester an die Kehle drückte.

Plötzlich begann die Turmglocke zu schlagen — einmal, zweimal, dreimal, dann ein viertes Mal. Wisp ließ einen erschreckten Aufschrei hören und begann unter Wils Hand wieder heftig zu strampeln. Wil schüttelte ihn ärgerlich.

»Was ist los, Wisp? Was gibt’s?«

Hilflos sank der Kleine in sich zusammen. »Morag kommt«, wimmerte er.

»Morag?« Ein plötzliches Gefühl völliger Verzweiflung stieg in Wil auf. Was führte Morag plötzlich in die finstere Residenz ihrer Schwester? Hastig blickte er die anderen an, doch ihre Augen spiegelten nur die Verwirrung, die er selbst verspürte.

»Wisp dient der Dame«, wimmerte Wisp und begann zu weinen.

Eilig sah Wil sich um.

»Wir brauchen etwas, um ihm die Hände zu binden.«

Eretria riß sich die lange Schärpe herunter, die sie um die Taille trug, und band damit dem kleinen Burschen die Hände auf den Rücken. Wil nahm die lose herabhängenden Enden und wickelte sie sich um eine Hand.