Выбрать главу

»Jetzt hör mir zu, Wisp.« Er zog dem jammernden Elf den Kopf zurück, bis ihre Blicke sich trafen. »Hör mir zu!«

Wisp hörte zu.

»Du bringst uns jetzt in das Gemach, wo die Dame die Elfensteine aufbewahrt hat. Wenn du versuchen solltest davonzulaufen, oder jemanden zu warnen, dann weißt du wohl, was dir dann passiert?«

Er wartete geduldig, bis Wisp nickte.

»Dann sei also nicht so dumm, so etwas zu versuchen. So, und jetzt bring uns zu den Elfensteinen.«

Wisp wollte etwas entgegnen, doch gleich drohte Eretria wieder mit dem Dolch. Eingeschüchtert nickte der Kleine noch einmal.

»So ist es gut, Wisp.« Wil ließ seinen Kopf los. »Jetzt gehen wir.«

Hintereinander gingen sie los, Wisp an der Spitze und Wil direkt dahinter, fest die Schärpe in der Hand, mit der Wisps Arme gebunden waren. Eretria und Amberle folgten. Beinahe blind stiegen sie durch die Finsternis aufwärts, und nach einer Weile sahen sie in der Ferne ein Licht, in dessen Schein sie schwach die Konturen der Treppe erkennen konnten. Ein Zylinder ähnlich dem, der ihre Zelle erleuchtet hatte, tauchte auf, und sie gingen unter ihm hindurch. In der Ferne schimmerten noch mehr solcher Lampen durch die Dunkelheit.

Immer weiter ging es die Wendeltreppe des Turms hinauf. Von Zeit zu Zeit kamen sie an dunklen, leeren Korridoren vorüber und an Türen, die fest verschlossen waren, doch Wisp verlangsamte nicht einmal den Schritt. Die Glockenschläge waren verklungen; der Turm war in tiefes Schweigen eingehüllt. Der schwere Duft von Räucherwerk wurde stärker, je höher sie kamen. Er benebelte Wil und die beiden Mädchen, und sie bemühten sich, den Rauch möglichst nicht einzuatmen. Wil begann allmählich argwöhnisch zu werden. Vielleicht war Wisp durchtriebener als er schien.

Dann aber erreichten sie einen Treppenabsatz, und Wisp blieb stehen. Er wies in einen dämmrig erleuchteten Korridor, der ein kurzes Stück in den Turm hineinführte und vor einer schweren, eisenbeschlagenen Tür endete. Von jenseits der Tür waren Stimmen zu hören.

Wil neigte sich hastig zu ihm hinunter.

»Was ist, Wisp?«

Das alte Gesicht war ängstlich und naß von Schweiß.

»Morag«, wisperte Wisp und schüttelte dann rasch den Kopf. »Sehr schlimm. Sehr böse.«

Wil richtete sich auf.

»Morag geht uns nichts an. Wo sind die Elfensteine?«

Wieder deutete Wisp auf die Tür. Wil zögerte und sah den Kleinen unsicher an. Sagte Wisp die Wahrheit? Dann kniete Eretria neben dem kleinen Irrwisch nieder und sprach ihn mit sanfter Stimme an.

»Wisp, bist du da auch sicher?«

Wisp nickte. »Ich lüge nicht, meine Hübsche. Bitte tu es nicht.«

»Ich will dir ja gar nichts tun«, versicherte sie ihm, ihn fest anblickend. »Aber du dienst der Dame und nicht uns. Können wir glauben, was du sagst?«

»Wisp dient der Dame«, pflichtete Wisp mit dünnem Stimmchen bei und schüttelte dann wieder den Kopf. »Wisp lügt nicht. Die schönen Steine sind dort drüben, auf der anderen Seite vom großen Saal, in einem kleinen Zimmer oben an der Treppe. In einer Schachtel mit hübschen Blumen, die rot und golden ist.«

Noch einen Moment lang blickte Eretria ihm in die Augen, dann sah sie zu Wil auf und nickte.

»Gibt es keinen anderen Weg, um an die Schachtel heranzukommen?« drängte Wil den kleinen Elf.

Wisp schüttelte den Kopf.

»Eine Tür nur.« Er wies den Korridor hinunter.

Schweigend sah Wil ihn an, dann winkte er den anderen, ihm zu folgen. Leise schlichen sie den kurzen Gang hinunter und blieben vor der Tür stehen. Die Stimmen, die herausdrangen, waren schrill und zornig. Wil holte tief Atem, dann drückte er langsam und sorgsam die Klinke der Tür herunter und zog. Die Tür öffnete sich einen winzigen Spalt. Wil spähte hindurch.

Sein Blick fiel in den Saal, wo Mallenroh sie empfangen hatte. Der weite Raum, dessen massige Mauern aus Steinquadern errichtet waren, wirkte schattig und düster. Nur einige der merkwürdigen rauchlosen Lichter, die wie Spinnen von einer unsichtbaren Decke herabhingen, erleuchtete ihn schwach. Unmittelbar hinter der Tür führte eine Folge halbkreisförmig gehauene Stufen abwärts. Und dort, wo die Treppe endete, drängten sich Hunderte von Holzmännchen um zwei gertenschlanke schwarze Gestalten, die einander gegenüberstanden. Die beiden Frauen kreischten und fauchten wie wütende Katzen.

Wil Ohmsford starrte die beiden entgeistert an. Die Hexenschwestern, Morag und Mallenroh, die letzten ihrer Art, seit Jahrhunderten erbitterte Feindinnen aus Gründen, die längst vergessen waren, glichen einander wie ein Ei dem anderen. Sie waren Zwillinge. Fließende schwarze Gewänder umhüllten ihre hochgewachsenen Gestalten, feingesponnenes graues Haar, durchwoben von Nachtschatten, umrahmte die schön geschnittenen Gesichter, fleckenlos weiß war die Haut, geisterhaft in der Dunkelheit — eine sah aus wie das Spiegelbild der anderen. Beide waren sie feingliedrig, beide geschmeidig und zart. In diesem Augenblick jedoch war ihre Schönheit entstellt durch den Haß, der ihre Züge verzerrte und die violetten Augen verfinsterte. Ihre Worte erreichten den lauschenden Wil; ihre Stimmen waren jetzt leise, nicht mehr so schrill, aber hart und ätzend.

»Meine Macht ist der deinen gleich, Schwester, und ich fürchte nichts, was du tun könntest. Du kannst mich ja nicht einmal deines armseligen Hauses verweisen. Wir sind wie Fels und Stein, weder die eine noch die andere ist stärker.« Die Sprecherin lachte spöttisch. »Aber du möchtest das am liebsten alles ändern, Schwester. Du möchtest dich mit Zauberkräften rüsten, die nicht dir gehören. Und indem du das tust, würdest du unsere gemeinsame Herrschaft über dieses Gebiet beenden. Töricht bist du, Schwester. Du kannst keine Geheimnisse vor mir haben. So schnell wie du weiß ich, was deine Absicht ist.« Sie machte eine Pause. »Und ich weiß von den Elfensteinen.«

»Du weißt nichts«, schrillte die andere, die, wie Wil jetzt sah, Mallenroh war. »Verlaß mein Haus, Schwester. Geh, solange du noch kannst, oder ich werde Mittel und Wege finden, dich wünschen zu machen, du hättest meinen Rat befolgt.«

Morag lachte wieder. »Sei still, du Törichte. Du kannst mich nicht schrecken. Ich werde dann gehen, wenn ich das habe, was zu holen ich hergekommen bin.«

»Die Elfensteine gehören mir!« schrie Mallenroh. »Ich habe sie, und ich werde sie behalten. Die Gabe war für mich bestimmt.«

»Schwester, keine Gabe wird dir gehören, wenn ich es nicht wünsche. Solche Kräfte, wie sie den Elfensteinen innewohnen, müssen jener gehören, die am besten geeignet ist, sie zu beherrschen. Und die bin ich. Die bin ich immer gewesen.«

»Nie warst du besser für irgendwas geeignet als ich, Schwester.« Mallenroh spie der anderen zu Füßen. »Ich habe dir gestattet, dieses Tal mit mir zu teilen, weil du die letzte meiner Schwestern warst, und ich Mitleid hatte mit einer, so häßlich und so unnütz wie du. Denk nach, Schwester. Ich habe stets meinen Teil an schönen Dingen gehabt; aber du, du hast nichts gehabt als die Gesellschaft deiner stimmlosen Holzmänner.« Ihre Stimme wurde zu einem Zischen. »Erinnerst du dich des Menschenwesens, das du mir rauben wolltest, des Schönen, der mir gehörte, den du unbedingt für dich haben wolltest? Erinnerst du dich, Schwester? Ach, selbst dieser Schöne war dir verloren, ist es nicht so? So unachtsam warst du, daß du ihn vernichtetest.«

Morag funkelte die andere zornig an.

»Du warst es, die ihn vernichtet hat, Schwester.«

»Ich?« Mallenroh lachte höhnisch. »Eine Berührung von dir, und er verdorrte vor #######.«

Morags Gesicht war wie versteinert vor Wut.

»Gib mir die Elfensteine.«

»Ich gebe die gar nichts!«

Wil Ohmsford, der reglos hinter der schweren Tür kauerte, spürte plötzlich eine Hand auf seiner Schulter und fuhr erschrocken zusammen. Eretria spähte an ihm vorbei durch den Spalt.

»Was ist denn los?«

»Bleib zurück«, flüsterte er, und seine Augen kehrten sogleich zu der Szene zurück, die sich im Saal abspielte.

Morag stand jetzt ganz dicht vor Mallenroh.