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Vielleicht, mahnte er sich selbst zur Vorsicht. Vielleicht. Denn es war ja auch eine Frage der Zeit; das bißchen Zeit, das ihnen noch blieb, zerrann ihnen förmlich zwischen den Fingern. Sie hatten von Anfang an nicht viel Zeit gehabt, und der größte Teil dieser Frist war bereits verstrichen. Der Raffer hatte sie gejagt. Obwohl sie ihn in den Ruinen des Hexenturms ausmanövriert hatten, würde er sie rasch genug wiederfinden. Wenn sie überhaupt entkommen wollten, dann mußten sie Sichermal erreichen und das Blutfeuer finden, um das Samenkorn des Ellcrys darin einzutauchen; dann mußten sie die Höhen der Hochwarte erklimmen, um Perk das Zeichen zu geben, der vielleicht erst von weit herkommen mußte; dann mußten sie Genewen besteigen, vorausgesetzt, der gewaltige Rock konnte sie alle tragen, um sich von ihm nach Arborlon bringen zu lassen — das alles, ehe der Raffer ihrer habhaft wurde. Das war viel verlangt.

Zweige klatschten ihm ins Gesicht, und Dornen rissen an ihm, während er Eretrias schlanker Gestalt durch den Wald folgte. Er hielt Amberle fest in den Armen, obwohl er die Anstrengung schon zu spüren begann. Rundum dehnte sich der Wald schweigend und still.

Flüchtig wanderten seine Gedanken zu Arborlon und den Elfen. Die Dämonen hatten inzwischen gewiß die Mauer der Verfemung durchbrochen und das Westland überschwemmt, so daß das gesamte Elfenvolk jetzt um die Erhaltung seines Heimatlandes kämpfen mußte. Der schreckliche Kampf, den Eventine hatte vermeiden wollen, war nun wohl doch ausgebrochen. Und was war mit dem Ellcrys? Hatte Allanon ein Mittel gefunden, den sterbenden Baum zu schützen? Hatten die magischen Kräfte des Druiden ausgereicht, um dem Ansturm der Dämonen Widerstand zu bieten? Nur die Wiedergeburt des Ellcrys konnte die Elfen retten, hatte Allanon gesagt. Doch wieviel Zeit blieb ihnen noch, diese Wiedergeburt herbeizuführen? Mußten sie nicht fürchten, daß es auch dafür schon zu spät war?

Sinnlose Fragen, schalt sich Wil Ohmsford selbst. Fragen, die er nicht beantworten konnte, da er nicht wußte, was jenseits der Senke und des Wildewalds sich zutrug. Und doch wünschte er, Allanon besäße die Macht, ihn mit seinem Geist zu erreichen, ihm etwas darüber zu sagen, was im Heimatland der Elfen geschah, ihn wissen zu lassen, daß noch Zeit war — wenn Wil nur Mittel und Wege finden konnte, nach Arborlon zurückzukehren.

Verzweiflung übermannte ihn plötzlich, die beängstigend war in ihrer Gewißheit — als wüßte er, daß es, selbst wenn er und Amberle hier ihr Ziel erreichen sollten, dennoch zu spät wäre für jene, die seine Rückkehr erwarteten. Und wenn dem so war…

Wil Ohmsford erlaubte sich nicht, diesen Gedanken zu Ende zu führen. Das war der Weg in den Wahnsinn.

Das Gelände begann zu steigen, allmählich zunächst, dann steil. Sie befanden sich auf den Hängen der Hochwarte. Der Wald lichtete sich, und sie traten auf kahlen Fels hinaus. Ein schmaler Pfad schlängelte sich aufwärts in Nebelschwaden. Ohne Rast eilten sie weiter. Allmählich lösten sich die Nebelschleier, und das Dach des Waldes versank unter ihnen. Grauer Himmel wurde sichtbar, aus dem wäßrige Sonnenstrahlen herabfielen. Langsam, vorsichtig stiegen die Kletterer weiter aufwärts.

Plötzlich dann standen sie auf einem Plateau, das über die Senke hinweg den Blick auf die höheren Wände des Wildewalds bot. Verkrüppelte Bäume und dürre Büsche wuchsen auf dem Felsboden zwischen Büscheln groben Grases, und am hinteren Ende des Plateaus, dort, wo es von einer steilen Felswand begrenzt wurde, öffnete sich wie ein gewaltiger dunkler Rachen eine große Höhle.

Wisp führte die kleine Gruppe zum Eingang der Höhle. Dort blieb er stehen und drehte sich rasch nach Eretria um.

»Sichermal, Hübsche — dort.« Sein Arm wies in die Höhle hinein. »Viele, viele Tunnel und Gänge, die sich winden und schlängeln. Sichermal. Braver Wisp.«

Eretria lächelte ihn an und warf dann einen Blick zurück zu Wil.

»Und jetzt?«

Wil kam zu ihr und spähte in die Dunkelheit, doch ohne Erfolg. Er ließ Amberle kurz, hinunter und drehte sich dann nach Wisp um. Sogleich versteckte sich der kleine Irrwisch hinter Eretria, das Gesicht in die Falten ihrer weiten Hose gedrückt.

»Wisp?« rief Wil freundlich, doch der Kleine wollte nichts mit ihm zu tun haben. Wil seufzte. Jetzt war nicht die Zeit für solchen Unsinn.

»Eretria, frag ihn nach einer Tür aus Glas, die nicht bricht.«

Das Mädchen beugte sich zu Wisp hinunter.

»Wisp, es ist ja gut. Ich erlaube nicht, daß dir jemand wehtut. Sieh mich an, Wisp.« Der Kleine hob den Kopf und lächelte unsicher. Eretria streichelte seine Wange. »Wisp, kannst du uns eine Tür aus Glas zeigen, das nicht bricht? Weißt du von einer solchen Tür?«

»Machen wir ein Spiel, Hübsche? Spielst du mit Wisp?«

Eretria war ratlos. Sie sah Wil an. Der zuckte die Schultern und nickte.

»Natürlich können wir ein Spielchen machen, Wisp.« Wieder lächelte Eretria ihn an. »Kannst du uns die Tür zeigen?«

Wisps altes Gesicht verzog sich zu einem strahlenden Wonnelächeln.

»Wisp kann es dir zeigen.«

Er sprang auf, schoß in den Schlund der Höhle hinein, dann wieder heraus, um Eretrias Hand zu fassen und das Mädchen mit sich zu ziehen. Wil schüttelte den Kopf. Der Kleine war wirklich ein bißchen verrückt, ob nun von all dem, was ihm während seiner Gefangenschaft in der Senke widerfahren war, oder von dem Schock über den Tod seiner Dame. Es war auf jeden Fall ein großes Risiko ihm zu glauben, daß er ihnen die geheime Kammer des Blutfeuers zeigen konnte. Doch sie hatten keine andere Wahl. Wieder blickte Wil auf die Schwärze der Höhle.

»Also verlaufen möcht’ ich mich da drin nicht gern«, murmelte Hebel neben ihm.

Eretria schien es ähnlich zu gehen.

»Wisp, wir können ja gar nichts sehen.« Sie zog an seinem Arm, bis er stehenblieb. »Wir müssen uns Fackeln machen.«

Wisp erstarrte. »Keine Fackeln, Hübsche. Kein Feuer. Feuer brennt — macht kaputt. Tut Wisp weh. Feuer verbrennt den Turm der Dame. Die Dame … Wisp dient…«

Unvermittelt brach er wieder in heftiges Schluchzen aus. Tränen traten ihm in die Augen, während seine kleinen Arme fest Eretrias Beine umspannten.

»Du tust Wisp nicht weh, Hübsche!«

»Nein, nein, Wisp«, versicherte sie und hob ihn hoch, um ihn fest an sich zu drücken. »Keiner wird dir etwas tun. Aber wir brauchen Licht, Wisp. Ohne Licht können wir in dieser Höhle nichts sehen.«

Wisp hob das von Tränen feuchte Gesicht.

»Licht, Hübsche? Oh, Licht — es ist Licht da. Kommt. Da drüben ist Licht.«

Eifrig vor sich hinmurmelnd, führte er sie noch einmal zum Schlund der Höhle. Dort trat er nahe an die Wand, griff in eine kleine Nische im Fels und entnahm ihr zwei jener merkwürdigen Lampen. Als er sie in die Höhle hineinstreckte, entzündeten sich die Glaszylinder mit dem gleichen rauchlosen Licht, das überall in Mallenrohs Turm gebrannt hatte.

»Licht.«

Wisp lächelte voller Eifer und Stolz und reichte Eretria die Lampen. Sie nahm sie, behielt eine für sich und reichte die andere Wil. Der drehte sich nach Hebel um.

»Ihr braucht nicht weiter mit uns zu kommen, wenn Ihr nicht wollt«, sagte er.

»Seid nicht albern«, schnaubte der alte Mann verächtlich. »Und was ist, wenn Ihr Euch da drinnen verlauft? Ihr braucht Drifter und mich, wenn Ihr da wieder rauskommen wollt, oder vielleicht nicht? Außerdem möcht’ ich mir dieses Sichermal ganz gern anschauen.«

Wil sah, daß es keinen Sinn hatte, sich auf weitere Auseinandersetzungen einzulassen. Er nickte Eretria zu. Sie nahm den kleinen Irrwisch fest bei der Hand; die Lampe vor sich hinhaltend, tat sie die ersten Schritte in die Höhle. Wil hob Amberle wieder in seine Arme und folgte. Hebel und Drifter bildeten den Schluß.

Ganz vorsichtig bewegten sie sich vorwärts. Allmählich gewöhnten sich ihre Augen an die Dunkelheit, und sie konnten sehen, daß die Höhle tief in das Herz der Hochwarte hineinführte. Das Licht der Lampen erreichte ihr Dach und ihre Mauern nicht. Der Boden des Tunnels war holprig, doch nirgends stellten sich ihnen Hindernisse entgegen. Tief wanderten sie in die Schwärze hinein. Nach einer Weile machte Wisp vor der hinteren Wand der Höhle halt. Vor ihnen zeigten sich zahlreicheÖffnungen, die meisten nur schmale Spalte im Fels, eine der anderen sehr ähnlich.