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Dann blickte Wil auf. Der Raffer hing oben an der Decke der Höhle.

Er sah ihn gerade noch, als er sich schon auf ihn niederfallen ließ. Seine aschgrauen Gewänder flatterten wie Flügel. Mit einer kräftigen Bewegung stieß Wil Eretria zur Seite und hob die Elfensteine hoch. Wie eine große Raubkatze landete der Dämon vor ihnen, gewaltig und geschmeidig. Eretria schrie laut auf und taumelte voller Entsetzen zurück. Langsam, langsam weitete sich das schwarze Loch der Kapuze und versteinerte Wil Ohmsford mit leerem Starren. Wil war unfähig, sich zu rühren. Die Schwärze, die gesichtslose, undurchdringliche Schwärze hielt ihn fest.

Dann sprang der Raffer, und Wil hatte flüchtig das Gefühl, von ihm verschlungen zu werden. In diesem Moment wäre er umgekommen, wäre nicht die wunderbare Kraft der Elfensteine gewesen. Suchende Steine, hatte Allanon sie genannt, und durch seinen Geist hallte der Warnruf- such das Gesicht des Raffers! Schneller als ein Gedanke fliegt, wirkte der Zauber, machte ihn blind für das schreckliche Ungeheuer, für seine Angst und seinen Schmerz, für alles außer dem Instinkt zu überleben. Er hörte sich aufschreien, und die blauen Flammen barsten aus ihm hervor. Sie rasten züngelnd durch die gesichtslose Kapuze, umklammerten wie ein Schraubstock den unsichtbaren Kopf. Wie ein Rasender suchte der Dämon sich zu befreien. Wil Ohmsfords Hände verklammerten sich vor ihm, und der Elfenzauber fuhr aus seinem Körper in den Raffer, hob ihn vom Boden empor und schleuderte ihn gegen die Höhlenmauer. Dort hing der Raffer, aufgespießt auf einer blitzenden Klinge blauen Feuers. Einen Augenblick später durchdrang das Feuer die Gewänder des Dämons und explodierte in einer hohen Stichflamme blendenden Lichts.

Als das Feuer erlosch, war vom Raffer nur eine Kohlezeichnung verschlungener Gewänder übrig, die tief in den Fels eingegraben war.

48

Das Blutfeuer umhüllte Amberle Elessedil mit der behutsamen Berührung mütterlicher Hände. Rund um sie herum stiegen die Flammen empor, eine rubinrote Mauer, welche die gesamte jenseitige Welt ausschloß. Und doch taten sie dem erstaunten Mädchen nichts. Wie seltsam, dachte sie, daß das Feuer nicht brennt. Aber schon als sie den Felsbrocken weggeschoben hatte, und das Feuer rund um sie herum emporgeschossen war, hatte sie irgendwie gewußt, daß es so sein würde. Das Feuer hatte sie aufgenommen, doch sie hatte keinen Schmerz verspürt; es besaß keine Hitze, keinen Rauch, nicht einmal einen Geruch. Nur seine Farbe hatte Amberle wahrgenommen, dieses tiefe, lodernde Scharlachrot, und ein Gefühl, in etwas Vertrautes und Tröstliches eingehüllt zu sein. Schläfrigkeit beschlich sie, und der Schmerz und die Angst der letzten Tage schienen langsam zu schwinden. Ihre Augen schweiften begierig durch das Feuer, um etwas von der Höhle zu sehen, in der das Feuer wohnte, und von den Gefährten, die sie begleitet hatten. Doch sie sah nichts; nur das Feuer existierte. Sie dachte daran, aus ihm herauszutreten, seine Lichtschleier hinter sich zu lassen, doch etwas in ihrem Inneren hinderte sie daran, es zu tun. Sie spürte, daß sie ausharren mußte. Sie mußte tun, was zu tun sie hergekommen war. Was zu tun sie hergekommen war — sie wiederholte die Worte und seufzte. Ein so langer Weg war es gewesen; eine so schreckliche Prüfung. Doch jetzt war es vollbracht. Sie hatte das Blutfeuer gefunden. Seltsam, wie sehr zur rechten Zeit es eingetreten war, ging es ihr plötzlich durch den Kopf. So entmutigt wie ihre Gefährten hatte sie in dieser düsteren, leeren Höhle gestanden, überzeugt, daß hinter der Tür aus dem unzerbrechlichen Glas kein Blutfeuer auf sie wartete, daß alle ihre Anstrengungen vergebens gewesen waren, als plötzlich — als sie plötzlich die Anwesenheit des Feuers gespürt hatte. Sie zögerte es so auszudrücken, doch anders war es ihr nicht möglich. Das Gefühl war dem ähnlich gewesen, das sie oben am Rand der Senke verspürt hatte, als sie in den Büschen versteckt Wils Rückkehr erwartet hatte; ähnlich dem Gefühl, das sie vor dem Nahen des Raffers gewarnt hatte. Es war tief aus ihrem Inneren aufgetaucht und hatte ihr gesagt, daß das Blutfeuer existierte, hier in dieser Höhle, und daß sie es finden würde. Danach hatte sie sich wie blind ihren Weg gesucht, sich dabei allein auf ihren Instinkt verlassen, ohne überhaupt zu begreifen, was es war, das sie trieb. Selbst als sie das Feuer unter dem Sockel gefunden und Wil ermahnt hatte, ihr nicht zu folgen, selbst als sie den Felsbrocken weggeschoben hatte, um das Feuer freizusetzen, hatte sie nicht verstanden, was sie eigentlich führte.

Der Gedanke bedrückte sie. Sie verstand es noch immer nicht. Etwas hatte sie berührt. Sie mußte wissen, was es war. Sie schloß die Augen und suchte.

Das Verstehen erwachte langsam.

Zunächst glaubte sie, es müsse das Blutfeuer sein, denn das Feuer war es ja, zu dem sie sich hingezogen gefühlt hatte. Doch das Feuer war kein fühlendes Wesen; es war eine unpersönliche Kraft, alt und blutvoll und lebenspendend, aber ohne Geist. Es war nicht das Feuer. Dann dachte sie, wenn es nicht das Feuer war, dann mußte es der Keim sein, den sie trug, dieses winzige Stückchen Leben, das der Ellcrys ihr anvertraut hatte. Der Ellcrys war ein fühlendes Wesen; sein Same konnte auch fühlend sein. Der Same konnte sie vor dem Raffer gewarnt, auf das Feuer hingewiesen haben … Aber auch das war falsch. Der Same des Ellcrys würde erst zum Leben erwachen, wenn er von den Flammen des Blutfeuer übergossen worden war. Er schlief jetzt noch; das Feuer war nötig, ihn zu erwecken. Es war auch nicht das Samenkorn.

Aber wenn es nicht das Blutfeuer war und nicht der Same, was dann?

Da erkannte sie es. Sie selbst war es. Etwas in ihr hatte sie vor dem Raffer gewarnt. Etwas in ihr hatte sie auf das Blutfeuer hingewiesen. Warnung und Hinweis waren aus ihr gekommen, weil sie ihr gehörten.Das war die einzige Antwort, die einen Sinn ergab. Voller Überraschung öffnete sie die Augen und schloß sie sogleich wieder. Warum waren Warnung und Hinweis aus ihr selbst gekommen? Erinnerung an den befremdlichen Einfluß, den der Ellcrys auf sie ausgeübt hatte, überfluteten sie; Erinnerungen daran, wie der Baum begonnen hatte, ein neues Wesen aus ihr zu machen und wie sie schließlich das Gefühl gehabt hatte, nicht mehr sie selbst zu sein, sondern ein Stück des Baumes. Hatte der Baum dies bei ihr bewirkt? War sie tiefer beeinflußt worden, als sie je geglaubt hatte?

Die Möglichkeit machte ihr Angst, so wie sie immer Angst bekam, wenn sie daran dachte, wie der Ellcrys sie sich selbst entfremdet hatte. Mit großer Anstrengung schob sie ihre Furcht beiseite. Jetzt gab es keinen Grund mehr, Angst zu empfinden. Das lag alles hinter ihr. Die Reise zum Blutfeuer hatte ihr Ende gefunden. Sie hatte ihre Versprechen eingelöst. Jetzt brauchte sie nur noch dem Ellcrys das Leben zurückzugeben.

Ihre Hand glitt in den Kittel und schloß sich um das Samenkorn, welches der Quell dieses Lebens war. Es fühlte sich warm und lebendig an, als ahne es, daß es nun erweckt werden würde. Sie wollte eben die Hand wegziehen, als die Ängste sie plötzlich mit neuer Intensität überfielen. Sie zögerte, fühlte, wie ihre Willenskraft nachließ. Bedeutete dieses Ritual denn mehr als sie sich vorstellte? Wo war Wil? Er hatte versprochen, ihr beizustehen. Er hatte ihr versprochen, dafür zu sorgen, daß sie nicht wankend werden würde. Wo war er? Sie brauchte ihn jetzt; er mußte jetzt bei ihr sein.

Doch Wil Ohmsford kam nicht. Er war jenseits der Flammenwand, und sie wußte, daß er nicht zu ihr gelangen konnte. Dies mußte sie allein vollbringen. Dies war die Aufgabe, die ihr übertragen war; die Verantwortung, die sie auf sich genommen hatte. Sie holte tief Atem. Nur noch einen Augenblick, um das Samenkorn des Ellcrys in die Flammen des Blutfeuers zu tauchen, dann war ihre Aufgabe erfüllt. Doch die Furcht ließ nicht nach. Sie überfiel sie wie eine Krankheit, und sie haßte sie, weil sie sie nicht verstand. Welches war die Ursache dafür, daß ihre Angst so groß war?

Der Same in ihrer Hand begann kaum merklich sanft zu pulsieren.

Sie blickte auf ihn nieder. Selbst dieses Samenkorn bereitete ihr Angst, selbst ein so kleiner Teil des Baumes. Erinnerungen stiegen empor und vergingen. Am Anfang waren sie einander nahe gewesen, der Ellcrys und sie. Da hatte keine Angst geherrscht, nur Liebe, Freude und Gemeinsamkeit. Wodurch hatte sich das geändert? Wie kam es, daß sie das Gefühl bekommen hatte, sich selbst im Wesen des Baums zu verlieren? So beängstigend war das gewesen! Selbst jetzt verursachte es ihr noch tiefe Qual. Welches Recht besaß der Ellcrys, ihr das anzutun? Welches Recht besaß der Ellcrys, sich ihrer auf diese Weise zu bedienen? Welches Recht —?