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Tiefe Scham wallte in ihr auf. Solche Fragen hatten keinen Sinn. Der Ellcrys starb und brauchte Hilfe, nicht Vorwürfe. Das Elfenvolk brauchte Hilfe. Amberle öffnete die Augen und blickte blinzelnd in die Glut des Blutfeuers. Jetzt war nicht der Zeitpunkt, sich selbstquälerischen Gedanken hinzugeben oder über die eigenen Ängste nachzugrübeln. Jetzt war der Zeitpunkt, das zu tun, was zu tun sie hierher gekommen war — das Samenkorn, das sie hierher gebracht hatte, in diesem Feuer zu baden.

Sie zuckte zusammen. Das Feuer! Wie kam es, daß der Same nicht schon vom Feuer angerührt worden war? Konnten die Flammen ihren Kittel nicht durchdringen? Hatten sie es nicht schon berührt? Was war es für ein Unterschied, ob sie das Samenkorn herausnahm oder nicht?

Neue Fragen. Sinnlose Fragen. Wieder wollte sie das Samenkorn hervorholen, und wieder hielt die Angst sie zurück. Tränen stiegen ihr in die Augen. Ach, wäre es doch ein anderer, der dies tun könnte! Sie war keine Erwählte! Sie war nicht geeignet! Nein, sie war es nicht — sie war es nicht —

Mit einem Aufschrei riß sie das Samenkorn unter ihrem Kittel hervor und hielt es in die rubinrote Flamme des Blutfeuers. Unter der Berührung des Feuers flammte es in ihrer Hand auf. Tief aus Amberles Inneren stieg wieder dieses Gefühl auf, das sie vor dem Nahen des Raffers gewarnt, das sie zum Blutfeuer geführt hatte. In einem überwältigenden Ansturm von Bildern überflutete es sie jetzt, und die Bilder lösten so heftige Emotionen in ihr aus, daß sie voller Schwäche auf die Knie fiel.

Langsam hob sie den Samen des Ellcrys an ihre Brust und spürte das Leben, das sich in seinem Inneren regte. Tränen rannen ihr die Wangen hinab.

Sie war es. Sie!

Jetzt endlich begriff sie. Sie drückte das Samenkorn an sich und sog das Blutfeuer ein.

49

An die kalte Wand der Höhle gekauert, beobachteten Wil Ohmsford und Eretria, wie die scharlachrote Glut des Feuers in Dunkelheit zerschmolz. Es geschah ganz plötzlich — eine letzte emporschießende Flamme, dann war das Blutfeuer erloschen. Nun wurde die Düsternis der Höhle nur noch durch den schwachen weißen Lichtschein der Lampen erhellt, die sie mitgebracht hatten. Wil und Eretria blinzelten in der plötzlichen Finsternis und spähten blind in die Schatten. Langsam wurde ihr Blick klarer, und sie machten eine Bewegung auf dem Felssockel aus, wo das Blutfeuer gebrannt hatte. Vorsichtig hob Wil die Hand, die die Elfensteine hielt, und die elfische Zauberkraft stieg in einem Flackern blauen Feuers empor. »Wil!«

Es war Amberle! Wie ein Kind, das sich verlaufen hat, trat sie aus der Dunkelheit, und ihre Stimme war ein dünnes, verzweifeltes Flüstern. Ohne der Schmerzen zu achten, die seinen Körper marterten, lief Wil ihr entgegen. Eretria folgte. Sie erreichten Amberle, als sie taumelnd vom Sockel herunterstieg. Sie fingen sie auf und hielten sie fest.

»Wil«, murmelte sie leise und schluchzte.

Sie hob den Kopf, und das lange kastanienbraune Haar fiel ihr aus dem Gesicht. Ihre Augen brannten rubinrot vom Blutfeuer.

»Bei den Geistern!« stieß Eretria erschrocken hervor und wich vor dem Elfenmädchen zurück.

Wil hob Amberle in seine Arme; trotz der Schmerzen, die seinen verletzten Arm durchzuckten, trug er sie an sich gedrückt wie ein Kind. Sie war so leicht wie eine Feder, als seien die Knochen ihres Körpers verbrannt und nichts von ihr geblieben als eine fleischliche Hülle. Sie weinte noch immer, den Kopf an seiner Schulter.

»Ach, Wil, ich habe mich getäuscht. Ich habe mich so geirrt. Er war es nicht. Ich war es. Immer war ich es.«

Die Worte sprudelten ihr in einem Schwall über die Lippen, als könnte sie sie nicht schnell genug aussprechen. Wil streichelte ihre bleiche Wange.

»Es ist ja gut, Amberle«, flüsterte er ihr zu. »Es ist vorüber.«

Wieder blickte sie auf. Die blutroten Augen waren starr und schrecklich.

»Ich begriff es nicht. Er wußte — er wußte es die ganze Zeit. Er wußte es, und er versuchte — versuchte, es mir zu sagen, mir zu zeigen — aber ich begriff nicht. Ich hatte Angst…«

»Sprich jetzt nicht.« Von einer plötzlichen unvernünftigen Angst überkommen, drückte Wil sie ganz fest an sich. Sie mußten heraus aus dieser Finsternis. Sie mußten zurück ans Licht. Rasch wandte er sich Eretria zu. »Nimm die Lampen.«

Das Mädchen widersprach nicht. Sie holte die rauchlosen Lichter und eilte wieder zu ihm.

»Ich habe sie, Heiler.«

»Dann wollen wir weg von hier —«, begann er und hielt inne. Der Ellcrys. Das Samenkorn. Hatte Amberle…? »Amberle«, flüsterte er zart. »Hast du das Samenkorn ins Feuer getaucht? Amberle?«

»Es — es ist geschehen«, erwiderte sie so leise, daß er ihre Worte kaum vernahm.

Welchen Preis hatten sie dafür bezahlt, fragte er sich bitter. Was war ihr in der Umhüllung des Feuers widerfahren? Aber nein, diese Gedanken waren jetzt nicht angebracht. Sie mußten sich sputen. Sie mußten aus diesen finsteren Gängen wieder zu den Hängen der Hochwarte emporsteigen und nach Arborlon zurückkehren. Dort konnte Amberle wieder gesund werden. Dort würde es ihr wieder Wohlergehen.

»Hebel!« rief er.

»Hier, Elf.« Die Stimme des Alten war dünn und brüchig. Drifter auf den Armen, tauchte er aus dem Dunkel auf. »Das Bein ist gebrochen. Vielleicht hat er auch noch was anderes.« Tränen schimmerten in Hebels Augen. »Ich kann ihn nicht hier zurücklassen.«

»Heiler!« Eretrias dunkles Gesicht war plötzlich dicht vor dem seinen. »Wie sollen wir ohne den Hund hier wieder herausfinden?«

Er starrte sie an, als habe er vergessen, daß sie überhaupt existierte. Sie errötete tief vor Scham; sie glaubte ihn ärgerlich wegen ihrer Reaktion auf das Elfenmädchen.

»Die Elfensteine«, murmelte er schließlich und stellte es nicht einen Moment in Frage, daß er sich ihrer bedienen konnte. »Die Elfensteine weisen uns den Weg.«

Er schloß Amberle noch fester in die Arme und verzog das Gesicht, als heftige Schmerzen in Wellen seinen Körper durchdrangen. Eretria faßte ihn am Arm.

»Du kannst nicht das Elfenmädchen tragen und gleichzeitig mit den Steinen den Weg suchen. Laß mich das Mädchen tragen.«

Er schüttelte den Kopf.

»Das schaffe ich schon«, entgegnete er. Er wollte Amberle ganz nah bei sich haben.

»Sei doch nicht so eigensinnig«, bat sie ihn leise. Sie schwieg und fuhr dann mit Mühe fort: »Ich weiß, wie du zu ihr stehst, Heiler. Ich weiß es. Aber das ist zuviel für dich. Bitte, laß mich helfen. Laß sie mich tragen.«

Ihre Blicke trafen sich im düsteren Zwielicht, und Wil sah die Tränen in ihren Augen. Da nickte er.

»Du hast recht. Ich schaffe es nicht allein.«

Er ließ Amberle in Eretrias Arme gleiten. Die drückte das Elfenmädchen an sich wie ein kleines Kind. Amberles Kopf sank an Eretrias Schulter, und sie schlief.

»Bleibt dicht bei mir«, mahnte Wil, als er eine der rauchlosen Lampen nahm und sich zum Gehen wandte.

Durch den Wasserfall und die Felshöhle wanderten sie zurück. Blut und Schweiß rannen an Wils Körper herab, und die Schmerzen wurden schlimmer. Als sie den Tunnel erreichten, der ins Labyrinth hinaufführte, konnte er sich kaum noch auf den Beinen halten. Doch sie hatten keine Zeit, eine Rast einzulegen. Sie mußten so schnell wie möglich Perk erreichen, denn dies war sein letzter Tag. Sie mußten Sichermal hinter sich lassen, zurück an die Oberfläche der Erde, auf die Hänge der Hochwarte, bevor die Sonne unterging, denn sonst würden sie den kleinen Himmelsreiter verfehlen. Und das wäre ihr Ende. Ohne Perk und seinen Rock würden sie es niemals schaffen, wieder aus dem Wildewald herauszufinden.