Выбрать главу

Da erklang hell vor Erregung Eretrias zitternde Stimme. Sie wandten sich um, und ihre Augen folgten der Linie ihres zum Himmel gestreckten Arms. Weit im Westen, durch den goldenen Abglanz der sterbenden Sonne, schwebte ein mächtiger goldener Vogel dem Hochplateau entgegen.

»Perk!« rief Wil schwach. »Perk!«

Amberle umschlang ihn und hielt ihn fest.

Dann wurde er getragen, und durch Nebelschwaden des Dämmerschlafs hörte er Perks Stimme, die zu ihm sprach.

»Ich habe den Rauch von dem brennenden Turm gesehen, Wil. Genewen und ich sind den ganzen Tag gekreist. Ich wußte, daß Ihr hier unten seid. Ich wußte es. Selbst als der Tag beinahe schon vergangen war, und es für mich Zeit wurde, zum Rockhort zurückzukehren, konnte ich nicht heimkehren. Ich wußte, die Dame würde mich brauchen. Ach, Wil, sie sieht so bleich aus.«

Wil spürte, wie er auf Genewens Rücken gehoben wurde. Dann schnallten ihn Eretrias schlanke braune Hände fest.

»Amberle«, flüsterte er.

»Sie ist hier, Heiler«, antwortete Eretria rasch. »Wir sind alle in Sicherheit.«

Wil ließ sich an sie sinken.

»Elf«, rief sachte eine Stimme, und er öffnete die Augen. Hebels ledriges Gesicht spähte zu ihm herauf. »Lebt wohl, Elf, ich verlasse Euch hier. Die Wildnis ist meine Heimat. Und Drifter kommt durch. Eretria hat mir geholfen, das Bein zu schienen. Er wird bestimmt bald wieder gesund. Ist ein zäher Bursche, mein Drifter.« Der Alte neigte sich näher. »Ich wünsch’ Euch Glück — Euch und dem Elfenmädchen.«

Wil schluckte. »Wir stehen in Eurer Schuld, Hebel.«

»In meiner Schuld?« Der Alte lachte leise. »Nein, Elf. Ihr schuldet mir nichts. Nicht das geringste. Also dann, viel Glück.«

Er trat rasch zur Seite und war bald darauf seinen Blicken entschwunden. Dann kam Amberle. Ihre zierliche Gestalt glitt vor ihm auf den Rücken des Vogels. Perk war plötzlich wieder da und prüfte rasch Geschirr und Gurte. Dann klang der seltsame Ruf des Kleinen durch die Stille. Mit einem Ruck hob Genewen sich in die Lüfte, die gewaltigen Flügel weit ausgespannt über dem dunklen Tal der Senke. Aufwärts strebte der mächtige Rock, und die Wälder des Wildewalds blieben zurück. In der Ferne tauchten die Felswände des Steinkamms auf.

Wils Arm umschlang Amberle fester. Einen Augenblick später war er eingeschlafen.

50

Nacht lag über Arborlon. Die schwarzen Gewänder gegen die Kälte der Nacht fest um sich gezogen, den silbernen Stab des Ellcrys im Arm, schritt Allanon allein durch die Einsamkeit des Gartens des Lebens, die kleine Anhöhe hinauf, wo der Baum stand. Er war gekommen, um an seiner Seite zu sein, ihm Beistand zu geben, soweit ihm das möglich war; denn dies waren des Ellcrys letzte Stunden. Einmal blieb er stehen und blickte zu dem Baum auf. Seltsam, dachte er, so hätten sie beide — der Druide und der Ellcrys — auf jemanden gewirkt, der sie so gesehen hätte — zwei scharf umrissene schwarze Silhouetten vor dem mondhellen Sommerhimmel. Stumm stand der Mann vor dem verdorrten, kahlen Baum, wie versunken in geheime Gedanken, und sein Gesicht glich einer unbewegten Maske, die nichts von den Gefühlen verriet, die ihn vielleicht bewegten. Doch es würde niemand sie so sehen. Er hatte bestimmt, daß er und der Baum diese Nacht allein miteinander verbringen würden, daß keiner außer ihm Zeuge seines Todes werden sollte. Dann schritt er langsam weiter, und der Name des Baumes streifte flüsternd seinen Geist. Seine Zweige streckten sich nach ihm aus, ängstlich und drängend, und Allanon sandte rasch seinen Gedanken aus, um den Ellcrys zu trösten. Verzage nicht, beruhigte er ihn. Heute nachmittag, während die Schlacht um Arborlon mit schrecklicher Heftigkeit tobte, während die Elfen so tapfer kämpften, den Ansturm der Dämonen abzuwehren, geschah etwas Unerwartetes, was uns Hoffnung geben sollte. Weit, weit im Süden, in der Tiefe der Wildnis, wohin sich die Erwählte begeben hat, erweckte ihr Beschützer die Zauberkraft der Elfensteine zum Leben. Ich spürte es in dem Moment, als er es tat. Ich suchte ihn und berührte seinen Geist mit dem meinen — nur kurz, weil der Dagda Mor wahrnehmen konnte, was ich tat. Doch es genügte. Das Blutfeuer ist gefunden! Die Wiedergeburt kann immer noch vollbracht werden.

Von Erwartungsfreude und Hoffnung getragen diese Gedanken aus ihm hervor. Doch nichts kam zurück. Schon bis in die Nähe des Todes geschwächt, hatte der Ellcrys die Gedanken des Druiden nicht wahrgenommen oder nicht verstanden. Da wurde Allanon klar, daß der Baum nur seine Gegenwart spürte, nur die Tatsache wahrnahm, daß man ihn in seinen letzten Stunden nicht allein ließ. Ganz gleich, was er jetzt sagte, es hatte keine Bedeutung mehr für den Ellcrys; der sah nur noch den verzweifelten, hoffnungslosen Kampf, seine Aufgabe zu erfüllen — zu leben und durch sein Leben das Volk der Elfen zu beschützen.

Tiefe Traurigkeit überwältigte ihn. Er war zu spät gekommen.

Seine Gedanken wurden still, denn er konnte jetzt nichts mehr tun für den Baum als an seiner Seite zu bleiben. Quälend langsam versickerte die Zeit. Hin und wieder erreichten Allanon flatternde Gedankenfetzen des Baumes, tropften wie Farbtupfer in seinen Geist, einige verloren sich in der Geschichte dessen, was gewesen war, andere erfüllt von Wünschen und Träumen für das Kommende, alle wirr und ohne Zusammenhang. Geduldig fing er die Gedanken ein und ließ den Baum wissen, daß er da war, daß er ihm lauschte. Geduldig nahm er Anteil an seinem Sterben und spürte die Kälte des nahenden Todes. Nur allzu beredt sprach sie ihm von seiner eigenen Sterblichkeit. Alles Lebendige, flüsterten die Vorboten des Todes, mußten den Weg gehen, den der Ellcrys nun angetreten hatte. Auch ein Druide.

Eine Zeitlang dachte er über die Unausweichlichkeit seines eigenen Todes nach. Auch wenn er schlief, um sein Leben zu verlängern, weit, weit länger zu dehnen als das Leben gewöhnlicher Sterblicher, mußte dennoch auch er eines Tages sterben. Und wie der Baum war auch Allanon der letzte seiner Art. Ihm würden keine Druiden mehr nachfolgen. Wenn er tot war, wer würde dann die Geheimnisse bewahren, die seit den Tagen des Ersten Rats in Paranor weitergegeben worden waren? Wer würde dann die Zauberkräfte beherrschen, denen nur er hatte gebieten können? Wer würde dann der Hüter der Rassen sein?

Er hob das dunkle Gesicht. War denn überhaupt noch Zeit, dachte er plötzlich, diesen Hüter zu finden?

Mit lautlosem Schritt huschte die Nacht davon, und das bleiche Licht des Tages erhellte die Dunkelheit des östlichen Himmels. In den weiten Wäldern des Westlands begann sich das Leben zu regen. Allanon spürte, wie sich in der Berührung des Ellcrys etwas veränderte. Er entglitt ihm. Unverwandt blickte er auf den Baum, und seine Hände umfaßten den silbernen Stab so fest, als könne er so das Leben festhalten, das den Baum verlassen wollte.

Der Morgenhimmel wurde hell; die Gedankenbilder flackerten immer seltener auf. Der Schmerz, der sich ihm übermittelt hatte, ließ nach und wurde durch ein seltsames Sichlösen verdrängt; langsam wurde durch dieses Sichlösen der Abstand zwischen ihnen größer. Im Osten schob sich die Sonne über den Horizont, und die Sterne der Nacht verblaßten.

Dann versiegten die Gedankenbilder völlig. Allanon wurde starr. Der Silberstab in seinen Händen war erkaltet. Es war vorbei.

Behutsam legte er den Stab unter den Baum. Dann wandte er sich ab und verließ den Garten des Lebens, ohne sich noch einmal umzusehen.

Andor Elessedil stand schweigend am Lager seines Vaters und blickte auf den alten Mann hinab. Der gebrechliche Körper des Königs, vom Kampf mit dem Dämon zerschunden, lag in Decken und Verbände eingehüllt. Nur das sachte Heben und Senken seiner Brust zeigte an, daß noch Leben in ihm war. Er schlief jetzt, einen rastlosen, unruhigen Schlaf in der Dämmerzone zwischen Leben und Tod.

Eine Welle von Gefühlen und Empfindungen brach über dem Elfenprinzen zusammen. Gael war es gewesen, der ihn aus eigener Ängstlichkeit und Unsicherheit heraus geweckt hatte. Unfähig Schlaf zu finden, war der junge Diener ins Herrenhaus zurückgekehrt, um als Vorbereitung für den kommenden Tag schon einiges zu erledigen. Doch das Portal zum Haus ließ sich nicht öffnen, berichtete er Andor — und die Wachposten waren verschwunden. Schlief der König unbewacht? Sollte da nicht etwas getan werden? Augenblicklich war Andor auf die Beine gesprungen und aus seinem Häuschen zum Herrenhaus gelaufen. Unterwegs hatte er die Torwachen mitgenommen. Gemeinsam hatten sie das Portal zum Haus seines Vaters aufgebrochen, aus dem sie die Schreie des alten Königs hören konnten. Dort hatten sie das Ende des Todeskampfes zwischen Eventine Elessedil und dem Ungeheuer erlebt — dem Dämon, der in Manx’ Hülle geschlüpft war. Ganz kurz hatte sein Vater einmal das Bewußtsein wiedererlangt, als sie ihn blutüberströmt in sein Schlafgemach getragen hatten. Voller Entsetzen hatte er mit heiserem Flüstern von dem Kampf erzählt, den er ausgefochten hatte, und von dem Verrat, der an ihm begangen worden war. Dann war er wieder in tiefe Ohnmacht gesunken.