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Der Druide nahm den Faden wieder auf.

»Die Absicht des Ellcrys war gut, doch er war allzu eifrig in seinem Bemühen. Er machte Amberle Angst mit seinen Bildern, mit der ständigen Bemutterung. Amberle hatte das Gefühl, sich selbst entfremdet zu werden. Sie war noch nicht bereit für die Wandlung. Sie bekam Angst, und sie wurde zornig. Sie verließ Arborlon. Der Ellcrys verstand das nicht; Tag und Nacht wartete er darauf, daß Amberle zurückkehren würde. Als die Krankheit sich so weit ausgebreitet hatte, daß sie nicht mehr einzudämmen war, als das Samenkorn fertig geformt war, rief sie ihre Erwählten zu sich.«

»Aber nicht Amberle?« Wil hörte jetzt mit gespannter Aufmerksamkeit zu.

»Nein, nicht Amberle. Der Baum glaubte, Amberle würde von selbst kommen, verstehst du. Er wollte sie nicht rufen, denn als er das zuvor getan hatte, hatte er das Mädchen damit nur weiter fortgetrieben. Er war überzeugt, daß Amberle kommen würde, sobald sie erfuhr, daß er dem Tode nahe war. Unglücklicherweise war die Zeit kürzer, als er geglaubt hatte. Die Mauer der Verfemung begann abzubröckeln, und er konnte sie nicht aufrechterhalten. Einer Gruppe von Dämonen gelang der Durchbruch, und die Erwählten wurden ermordet — alle außer Amberle. Als ich kam, war der Ellcrys in tiefer Verzweiflung. Amberle müsse gefunden werden, sagte er zu mir. Und da zog ich aus, um sie zu suchen.«

Ein Schatten neuer Bitterkeit flog über Wils Gesicht.

»Dann wußtet Ihr schon in Havenstead, daß der Ellcrys Amberle noch immer als seine Erwählte betrachtete.«

»Ja, das wußte ich.«

»Und Ihr wußtet auch, daß er Amberle sein Samenkorn anvertrauen würde.«

»Ich will dich der Mühe entheben, weitere Fragen zu stellen. Ich wußte alles. Die alten Geschichtsbücher der Druiden in Paranor offenbarten mir die Wahrheit über die Erschaffung des Ellcrys — und über die einzige Möglichkeit seiner Wiedererschaffung.«

Er zögerte. »Eines sollst du verstehen, Talbewohner. Auch mir lag dieses Mädchen am Herzen. Ich hatte kein Verlangen, sie zu täuschen, wenn du meine Unterlassungen als Täuschung bezeichnen willst. Es war einfach notwendig, daß Amberle auf andere Art als durch mich die Wahrheit über sich selbst entdeckte. Ich zeigte ihr einen Weg, dem sie folgen konnte; ich gab ihr keine Landkarte, die jeden Knick und jede Wendung erklärte. Ich war der Meinung, daß sie allein die Entscheidungen treffen sollte, vor die sie gestellt werden würde. Weder du noch ich noch sonst einer hatte das Recht, diese Entscheidungen für sie zu treffen.«

Wil Ohmsford senkte den Blick.

»Vielleicht. Und vielleicht wäre es besser gewesen, wenn sie von Beginn an gewußt hätte, wohin der Pfad, auf den Ihr sie gestellt hattet, führen würde.« Er schüttelte langsam den Kopf. »Seltsam. Ich dachte, die Wahrheit über alles, was geschehen ist, würde mir irgendwie helfen. Aber sie hilft mir nicht. Überhaupt nicht.«

Darauf folgte ein langes Schweigen. Wil blickte wieder auf.

»Ich habe jedenfalls nicht das Recht, Euch das zum Vorwurf zu machen, was geschehen ist. Ihr tatet, was Ihr tun mußtet — das weiß ich. Ich weiß, daß die Entscheidungen immer bei Amberle lagen. Aber sie so zu verlieren — das ist so schwer…«

Der Druide nickte. »Es tut mir leid, Wil.«

Er erhob sich.

»Warum habt Ihr mich gerade jetzt geweckt, Allanon?« fragte Wil unvermittelt. »Um mir dies zu sagen?«

Der große Alte richtete sich auf.

»Um dir dies zu sagen und um dir Lebewohl zu sagen, Wil Ohmsford.«

»Lebewohl?«

»Auf einen anderen Tag, Talbewohner.«

»Aber — wohin geht Ihr denn?«

Es kam keine Antwort. Wil fühlte, wie er wieder schläfrig wurde; der Druide ließ ihn in den Schlummer zurückgleiten, dem er ihn entrissen hatte. Hartnäckig kämpfte er dagegen an. Es gab noch vieles zu sagen, und er wollte es sagen. Allanon konnte nicht einfach so gehen, so unerwartet in der Nacht untertauchen wie er aufgetaucht war, vermummt wie ein Dieb, der fürchtete, ein Blick auf seine Züge könnte ihn verraten …

Plötzlicher Verdacht erwachte in ihm. Schwach streckte er den Arm aus und faßte das Gewand des Druiden.

»Allanon.«

Schweigen füllte das kleine Schlafgemach.

»Allanon — laßt mich Euer Gesicht sehen.«

Einen Moment lang glaubte er, der Druide hätte ihn nicht gehört. Allanon stand reglos an seinem Lager und blickte aus den tiefen Schatten seiner Gewänder zu ihm hinunter. Wil wartete. Langsam hob der Druide beide Hände und streifte die Kapuze ab.

»Allanon?« flüsterte Wil bestürzt.

Haar und Bart des Druiden, einst kohlschwarz, waren von grauen Strähnen durchzogen. Allanon war gealtert.

»Das ist der Preis, den man bezahlt, wenn man sich zauberischer Kräfte bedient.« Allanons Lächeln war dünn und spöttisch. »Diesmal, fürchte ich, habe ich mich ihrer allzu ausgiebig bedient; es raubte mir mehr, als ich zu geben bereit war.« Er zuckte die Schultern. »Jedem von uns ist nur ein bestimmtes Maß an Lebenskraft gegeben, Talbewohner — nur so viel und kein Quentchen mehr.«

»Allanon«, rief Wil leise. »Allanon, es tut mir leid. Geht noch nicht.«

Allanon schob die Kapuze wieder über den Kopf und umfaßte Wils Hände mit den seinen.

»Es ist Zeit für mich zu gehen. Wir brauchen beide Ruhe. Schlaf wohl, Wil Ohmsford. Versuche, nicht schlecht von mir zu denken; ich glaube, daß Amberle es auch nicht tut. Such deinen Trost in diesem: Du bist ein Heiler, und Aufgabe eines Heilers ist es, Leben zu erhalten. In dieser Sache hast du genau das getan — du hast den Elfen und dem Westland das Leben erhalten. Und wenn auch Amberle dir verloren scheint, so bedenke doch, daß du sie immer in der Erde finden kannst. Berühre die Erde, und Amberle wird bei dir sein.«

Er glitt davon in die Dunkelheit und drückte die Flamme der Kerze aus.

»Geht nicht«, rief Wil schläfrig.

»Leb wohl, Wil.« Die tiefe Stimme schwebte auf Nebelschwaden. »Sag Flick, daß er recht gehabt hat mit seiner Mahnung über mich. Das wird ihn freuen.«

»Allanon«, murmelte Wil noch einmal leise, dann war er eingeschlafen.

So still wie die Schatten der Nacht glitt der Druide durch die dämmrig erleuchteten Gänge des Hauses der Elessedils. Leibgardisten bewachten diese Korridore, Elfen-Jäger, die in der Schlacht am Elfitch gekämpft und sie überlebt hatten, harte Männer, die sich so leicht nicht rühren ließen. Doch Allanon wichen sie; der Blick des Druiden gebot es ihnen.

Wenig später stand er im Schlafgemach des Elfenkönigs. Kerzenlicht erleuchtete den Raum mit gedämpftem, milden Licht, das durch die Dunkelheit in Ecken und verborgene Nischen sickerte. Die Fenster waren geschlossen, die Vorhänge zugezogen. Es war sehr still.

Auf dem breiten Bett am anderen Ende des Zimmers lag Eventine, in Verbände und Leintücher gehüllt. In einem hochlehnigen Rohrstuhl an seiner Seite schlummerte unruhig Andor Elessedil.

Stumm trat Allanon an das Fußende des Bettes. Der alte König schlief. Langsam und röchelnd ging sein Atem, und seine Haut hatte die Farbe von Pergament. Das Ende seines Lebens war nahe.

Das Ende eines Zeitalters, dachte der Druide. Nun würde bald keiner von ihnen mehr sein, keiner von denen, die gegen den Dämonen-Lord gekämpft und die Suche nach dem geheimnisvollen Schwert von Shannara miterlebt hatten. Nur die Ohmsfords waren noch da, Shea und Flick.

Ein grimmiges Lächeln der Ironie flog über Allanons Lippen. Und er selbst natürlich. Er war noch da. Er war immer da.

Unter den leinenen Decken regte sich Eventine Elessedil. Jetzt ist es soweit, sagte sich Allanon. Zum ersten Mal in dieser Nacht zeigte sich ein Hauch von Bitterkeit in seinen harten Zügen.

Schweigend und lautlos zog er sich in die bergenden Schatten im Hintergrund des Raumes zurück und wartete.

Mit einem Ruck fuhr Andor Elessedil aus dem Schlaf. Mißtrauisch flog sein Blick durch das leere Schlafgemach, nach Gespenstern forschend, die nicht da waren. Ein beängstigendes Gefühl des Alleinseins überkam ihn. So viele, die hätten hier sein sollen, waren nicht mehr — Arion, Pindanon, Crispin, Ehlron, Tay, Kerrin. Alle waren sie tot.