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Schwer ließ er sich wieder in den Korbsessel sinken. Wie lange, fragte er sich, hatte er geschlafen? Er wußte es nicht. Gael würde bald kommen und Speise und Trank mitbringen. Gemeinsam würden sie dann an der Seite des Königs weiterwachen. Und warten.

Erinnerungen quälten ihn; Erinnerungen an seinen Vater, an das, was gewesen war, Geister der Vergangenheit, Bilder von Zeiten und Orten und Ereignissen, die für immer vergangen waren. Bittersüß waren die Erinnerungen, die ihm gemeinsames Glück ins Gedächtnis riefen, aber auch die Vergänglichkeit solchen Glücks. Es wäre ihm lieber gewesen, wenn ihn die Erinnerungen in dieser Nacht verschont hätten.

Er mußte plötzlich an seinen Vater und Amberle denken. Sie waren einander ganz besonders nahe gewesen. Eine Zuneigung hatte zwischen ihnen bestanden, die verlorengegangen, aber wiedergefunden worden war. Und jetzt? Immer noch war die Wandlung, die Amberle durchgemacht hatte, unbegreiflich. Stets mußte er sich von neuem daran erinnern, daß sie Wirklichkeit war, nicht Einbildung. Noch jetzt konnte er den kleinen Himmelsreiter, Perk, vor sich sehen, als dieser ihm berichtete, was er miterlebt hatte. Das Kindergesicht war voller Ehrfurcht, aber auch voller Angst gewesen, und dazu voll von einem tiefen Ernst, der keine Zweifel gestattete.

Sein Kopf sank zurück und seine Augen schlossen sich. Wenige erst kannten die Wahrheit. Er war sich noch immer nicht schlüssig darüber, ob es so bleiben sollte oder nicht.

»Andor.«

Er zuckte hoch. Die durchdringenden blauen Augen seines Vaters blickten ihn an. Er war einen Moment lang so erstaunt, daß er nur stumm auf den alten Mann hinuntersah.

»Andor — was ist geschehen?«

Die Stimme des Elfenkönigs war dünn und rauh. Rasch kniete Andor an seiner Seite nieder.

»Es ist vorbei«, antwortete er leise. »Wir haben gesiegt. Die Dämonen sind wieder durch den Fluch der Verfemung gebannt. Der Ellcrys …«

Er konnte nicht zu Ende sprechen. Ihm fehlten die Worte. Die Hand seines Vaters glitt unter den Decken hervor und suchte die seine.

»Und Amberle?«

Andor holte tief Atem. Tränen standen in seinen Augen. Er zwang sich, dem Blick seines Vaters zu begegnen.

»Es geht ihr gut«, flüsterte er. »Sie ruht sich jetzt aus.«

Darauf folgte eine lange Pause. Der Schatten eines Lächelns huschte über die Züge des alten Königs.

Dann fielen seine Augen zu. Er war tot.

Allanon blieb noch mehrere Minuten in den Schatten stehen, ehe er vortrat.

»Andor!« rief er leise.

Der Elfenprinz stand auf, ließ die Hand seines Vaters los.

»Er ist tot, Allanon.«

»Und Ihr seid jetzt König. Seid der König, den er sich gewünscht hat.«

Andor wandte sich um und betrachtete den Druiden mit forschendem Blick.

»Wußtet Ihr es, Allanon? Oft habe ich mir seit Baen Draw diese Frage gestellt. Wußtet Ihr, daß all dies geschehen würde, daß ich König werden würde?«

Das Gesicht des Druiden schien sich zu verschließen, verlor allen Ausdruck.

»Ich hätte das, was geschah, nicht verhindern können, Elfenprinz«, antwortete er. »Ich konnte nur versuchen, Euch auf das Kommende vorzubereiten.«

»Dann habt Ihr es gewußt?«

Allanon nickte. »Ich habe es gewußt. Ich bin ein Druide.«

Andor holte tief Atem.

»Ich werde mein Bestes geben, Allanon.«

»Dann werdet Ihr es gut machen, Andor Elessedil.«

Er sah dem Elfenprinz nach, als dieser wieder an das Lager seines Vaters trat und den alten König zudeckte wie ein Kind, um dann wieder niederzuknien.

Geräuschlos wandte sich Allanon um und glitt aus dem Zimmer, aus dem Herrenhaus, aus der Stadt, aus dem Land. Niemand sah ihn gehen.

Es war früher Morgen, als jemand Wil Ohmsford sanft wachschüttelte. Silbergraues Licht fiel durch die verhangenen Fenster, die weichende Dunkelheit ganz zu vertreiben. Langsam schlug Wil die Augen auf und sah den kleinen Perk an seinem Bett stehen.

»Wil?« Das Gesicht des kleinen Himmelsreiters war ernst.

»Hallo, Perk.«

»Wie geht es Euch?«

»Etwas besser, glaube ich.«

»Gut.« Ein flüchtiges Lächeln flog über Perks Gesicht. »Ich hatte richtig Angst.«

Wil erwiderte das Lächeln.

»Ich auch.«

Perk setzte sich auf den Bettrand.

»Es tut mir leid, daß ich Euch geweckt habe, aber ich wollte nicht abreisen, ohne Euch Lebewohl gesagt zu haben.«

»Du verläßt uns?«

Der Junge nickte. »Ich hätte schon gestern abend losfliegen müssen, aber ich wollte Genewen noch etwas Ruhe gönnen. Sie war müde nach dem langen Flug. Aber jetzt muß ich wirklich aufbrechen. Ich hätte ja schon vor zwei Tagen im Rockhort zurücksein müssen. Man sucht wahrscheinlich schon nach mir.« Er schwieg einen Moment. »Aber sie werden es schon verstehen, wenn ich erzähle, was passiert ist. Dann sind sie bestimmt nicht böse.«

»Hoffentlich nicht. Das wäre mir arg.«

»Mein Onkel Dayn hat gesagt, er würde es ihnen auch erklären. Wußtet Ihr, daß mein Onkel Dayn hier war, Wil? Mein Großvater schickte ihn. Onkel Dayn sagte, ich hätte mich wie ein echter Himmelsreiter verhalten. Er sagte, was Genewen und ich getan haben, sei von großer Bedeutung gewesen.«

Wil stützte sich auf.

»Das war es wirklich, Perk. Von sehr großer Bedeutung.«

»Ich konnte Euch doch nicht einfach im Stich lassen. Ich wußte, daß Ihr mich vielleicht brauchen würdet.«

»Wir brauchten dich sogar ganz dringend.«

Perk blickte auf seine Hände nieder.

»Wil, das mit der Dame Amberle tut mir leid. Wirklich.«

Wil nickte. »Ich weiß, Perk.«

»Sie war tatsächlich verzaubert, nicht wahr? Sie war verzaubert, und durch die Verzauberung wurde sie in einen Baum verwandelt.« Hastig blickte er auf. »Das wollte sie doch, nicht wahr? Sie wollte sich in den Baum verwandeln, damit die Dämonen verschwanden? So sollte es doch sein, nicht?«

Wil schluckte. »Ja.«

»Ich hatte wirklich Angst«, sagte Perk leise. »Es kam so plötzlich. Sie hatte ja vorher kein Wort davon gesagt. Darum erschreckte es mich dann so.«

»Ich glaube nicht, daß sie dich erschrecken wollte.«

»Nein, das glaube ich auch nicht.«

»Sie hatte nur nicht die Zeit für Erklärungen.«

Perk zuckte die Schultern. »Ich weiß. Es kam so plötzlich.«

Es war ein Weilchen still, dann stand der kleine Himmelsreiter auf.

»Ich wollte Euch nur Lebwohl sagen, Wil. Werdet Ihr uns einmal besuchen? Oder könnte ich Euch vielleicht besuchen —aber erst, wenn ich älter bin. Vorher darf ich nicht über die Grenzen vom Westland hinausfliegen.«

»Ich komme dich besuchen«, versprach Wil. »Bald.«

Perk winkte kurz und ging zur Tür. Seine Hand lag schon auf der Klinke, als er sich noch einmal umwandte.

»Ich hab’ sie wirklich gemocht, Wil — ganz unheimlich.«

»Ich habe sie auch gemocht, Perk.«

Der kleine Himmelsreiter lächelte flüchtig und eilte hinaus.

54

Alle kehrten sie nach Hause zurück, alle, die nach Arborlon gekommen waren, um den Elfen Beistand zu leisten. Bis auf zwei. Zuerst brachen die Himmelsreiter auf. Im Morgengrauen des Tages, an dem die Herrschaft Andor Elessedils als neuer König der Elfen begann, traten sie den Flug nach Hause an — drei von den fünf, die zusammen nordwärts geflogen waren, und der Knabe Perk. In aller Stille machten sie sich auf den Weg, verabschiedeten sich nur von dem neuen König und waren fort, noch ehe die Sonne über den Wipfeln der Wälder im Osten aufgegangen war. Den ersten Strahlen der Morgensonne gleich, die die schwingende Nacht jagten, zogen die goldenen Rocks am Himmel ihre Bahn. Am Mittag zogen unter der Führung von Amantar die Bergtrolle aus. So unerschrocken und stolz wie sie gekommen waren, marschierten sie mit grüßend erhobenen Waffen an den Elfen vorüber, die sich in Straßen und Gassen zum Abschied versammelt hatten. Zum ersten Mal seit mehr als tausend Jahren trennten sich Trolle und Elfen nicht als Feinde, sondern als Freunde. Die Zwerge blieben noch einige Tage und halfen den Elfen beim Entwurf der Wiederaufbaupläne für den zerstörten Elfitch. Mit Hilfe jener Pioniere, die noch arbeiten konnten, zeichnete der energische Browork den Elfen einen detaillierten Plan zur Bewältigung dieser schwierigen Aufgabe. Und als er schließlich mit seinen Leuten die Heimreise antrat, tat er es nicht, ohne zu versprechen, daß in naher Zukunft eine andere Einheit von Zwergenpionieren ausgesandt werden würde, um den Elfen beim Wiederaufbau Unterstützung zu leisten. »Wir wissen, daß wir uns auf die Zwerge verlassen können.« Andor drückte Browork zum Abschied fest die Hand. »Immer«, bestätigte der Zwerg mit einem Nicken. »Denkt daran, wenn wir Euch einmal brauchen.« Als letzte machten sich die Männer aus Callahorn auf den Weg — der kleine Trupp von Freikämpfern und Altgardisten, der die erbitterten Kämpfe um den Elfitch überlebt hatte. Nicht ein Dutzend der Freikämpfer war am Leben geblieben, und nicht sechs von diesen würden je wieder in den Kampf ziehen können. Die Einheit war praktisch ausgelöscht, die Leichen ihrer Soldaten zwischen dem Halys-Joch und Arborlon verstreut. Doch der hochgewachsene, narbengesichtige Grenzländer, den sie den Eisenmann nannten, war wieder einmal mit dem Leben davongekommen. Am frühen Morgen des sechsten Tages nach dem Sieg über die Dämonen-Horden kam er auf seinem mächtigen Rotschimmel zu Andor Elessedil, der am Rande des Carolan stand und mit seinen Baumeistern die von den Zwergpionieren entworfenen Pläne besprach. Nachdem Andor sich hastig entschuldigt hatte, trat er zu dem hochgewachsenen Grenzländer, der vom Pferd gestiegen war und ihn erwartete. Ohne der respektvollen Verneigung zu achten, mit der Stee Jans ihn begrüßte, nahm Andor die Hand des Befehlshabers und drückte sie fest.