Es kam also, wie ich sagte, zum Krieg. Ein schrecklicher, grausamer Krieg, den in vollem Ausmaß zu schildern ich nicht in der Lage bin, da es sinnlos wäre. Für uns ist im Moment nur der Ausgang dieses Krieges wichtig. Die bösen Mächte wurden geschlagen, ihre Macht gebrochen, sie wurden immer weiter zurückgedrängt und schließlich gefangengenommen. Die Sieger verhängten einen Bannspruch der Verfemung und errichteten eine Mauer, hinter der das Böse eingekerkert wurde. Dieses Gefängnis des Bösen war nicht von dieser Welt, gehörte überhaupt keiner Welt an, sondern war ein schwarzes Verlies der Leere und der Abgetrenntheit, wo nichts als das Böse existieren durfte. Und in dieses Verlies des Nichts wurde das Böse verbannt, gefangen auf alle Zeiten hinter der Mauer der Verfemung.
Der Kraftspender, der die Mauer der Verfemung trug und stützte, war ein wunderbarer Baum mit Namen Ellcrys. Die Geschöpfe des Guten schufen den Ellcrys aus dem Lebensquell der Erde, den sie Blutfeuer nannten, und aus ihren eigenen Kräften. Sie brachten ihn zum Leben, damit durch sein In-der-Welt-Sein die Mauer der Verfemung fortdauern sollte, auch wenn sie selbst längst vergangen waren und die Welt, für deren Erhaltung sie so lange und erbittert gekämpft hatten, sich bis zur Unkenntlichkeit verändert und entwickelt hatte. Die Lebenszeit des Baumes sollte nicht nach Maßstäben bemessen sein, die ihnen geläufig waren. Doch solange er lebte, würde der Bannspruch der Verfemung weiter bestehen, und solange der Bannspruch der Verfemung galt, solange würde das Böse hinter seinen Mauern eingeschlossen sein.«
Behutsam stemmte er sich von dem Tisch, um die verkrampften Muskeln zu lockern, und ließ sich gegen die Rückenlehne des Sessels sinken. Seine Hände glitten auf seine Knie. Die dunklen Augen blieben unverwandt auf die beiden Talbewohner gerichtet.
»Man glaubte, daß der Ellcrys ewig leben würde — nicht jene glaubten das, die ihm das Leben gegeben hatten, denn diese wußten, daß alle Geschöpfe und Wesen eines Tages vergehen müssen, doch die, die nach ihnen kamen, glaubten es — alle jene, die diesen wundersamen Baum, der Jahrhunderte lang ihr Beschützer gewesen war, hegten und pflegten und liebten. Ihnen wurde der Ellcrys zu einem Symbol der Dauerhaftigkeit; er überlebte die Zerstörung der alten Welt während der Katastrophe der Großen Kriege, er überlebte die Rassenkriege und die Macht des Dämonen-Lords, er lebte weiter, nachdem alle anderen Lebewesen, die seine Existenz geteilt hatten, untergegangen waren — als nichts mehr übrig war außer der Erde selbst, und selbst die Erde ihr Gesicht verändert hatte, während der Ellcrys unwandelbar derselbe geblieben war.«
Er machte eine kurze Pause.
»So wurde es zur festen Überzeugung, daß der Ellcrys ewig leben würde; daß er unsterblich sei. Man glaubte unerschütterlich daran.« Er hob ein wenig den Kopf. »Bis heute. Jetzt ist dieser Glaube zerstört. Der Ellcrys stirbt. Die Mauer der Verfemung befindet sich schon im Verfall.
Die bösen Mächte, die hinter ihr gefangen sind, schicken sich an, aus ihrem Kerker auszubrechen und in diese Welt zurückzukehren, die einst ihnen gehörte.«
»Haben etwa diese Wesen Euch die schweren Verletzungen beigebracht?« fragte Wil.
Allanon nickte. »Einige von ihnen durchstreifen bereits die vier Länder. Ich wollte meine Anwesenheit geheimhalten, aber sie haben mich entdeckt. Sie fanden mich in Paranor in der Druidenfestung, und beinahe wäre ich dabei ums Leben gekommen.«
Auf Flicks Gesicht machte sich Entsetzen breit.
»Suchen sie noch immer nach Euch?«
»Ja — aber ich denke, diesmal werden sie mich nicht so rasch finden.«
»Sehr beruhigend ist das nicht«, brummte Flick, während er ängstlich in Richtung der Fenster des kleinen Raumes blickte.
Allanon ging auf die Bemerkung nicht ein.
»Du wirst dich vielleicht erinnern, Flick, daß ich einst Shea und dir die Geschichte der Rassen erzählte. Ich erklärte euch, wie die verschiedenen Rassen sich nach der völligen Zerstörung durch die Großen Kriege aus der alten Rasse der Menschen entwickelten — das heißt, alle Rassen außer einer. Außer den Elfen. Ich erzählte euch damals, daß die Elfen immer schon existiert hatten. Erinnerst du dich?«
»Ja, ich erinnere mich«, knurrte Flick. »Das war auch so etwas, was Ihr nie näher erklärt habt.«
»Ich sagte damals, ihre Geschichte fände zu einer anderen Zeit ihren Platz. Diese Zeit ist jetzt gekommen — wenn ich auch nicht beabsichtige, in großer Ausführlichkeit auf die Geschichte des Elfenvolkes einzugehen. Einige Dinge jedoch solltet ihr wissen. Wir haben bisher lediglich in abstrakter Form von den Geschöpfen gesprochen, die diesen Krieg zwischen Gut und Böse austrugen, nach dessen Ende der Ellcrys erschaffen wurde. Wir müssen ihnen eine Identität geben. Alle waren sie Geschöpfe, die später, als der Mensch aus der Finsternis der Unwissenheit auftauchte und die Erde zu bevölkern und sich untenan zu machen begann, in die alten Märchen und Sagen von guten und bösen Geistern eingingen. Sie alle waren Geschöpfe, die, wie ich schon sagte, über magische Kräfte verfügten. Es gab eine Reihe verschiedener Arten — einige davon nur gut, einige nur böse, einige schließlich, deren einzelne Völker sich teilten und entgegengesetzte Wege einschlugen. Sie trugen Namen, die ihr erkennen werdet — Feen, Irrwische, Kobolde, Heinzelmännchen und so weiter. Die neuen Rassen wurden, obwohl menschlicher Abstammung, nach vier Gattungen dieser legendären Zauberwesen benannt, nämlich Zwerge, Gnomen, Trolle und Elfen. Nur sind die Elfen eine Rasse für sich. Und zwar insofern, als sie nicht einfach eine wiedergeborene Legende sind. Sie haben in der Tat überlebt. Die Elfen sind die Nachkommen der Geisterwesen, die in der alten Welt existierten.«
»Moment mal!« warf Flick hastig ein. »Soll das heißen, daß die heutigen Elfen dieselben Elfen sind, von denen die alten Märchen erzählen — daß es in der alten Welt tatsächlich Elfen gab?«
»Aber selbstverständlich existierten in der alten Welt Elfen — genauso wie Trolle und Zwerge und all die anderen Geschöpfe, denen die Entstehung der Märchen zu verdanken ist. Der einzige Unterschied besteht darin, daß all die anderen Wesen schon seit Jahrhunderten aus dieser Welt verschwunden sind, während die Elfen weiterleben. Sie haben sich verändert, gewiß; sie haben eine erstaunliche Entwicklung durchgemacht. Sie waren gezwungen, sich anzupassen.«
Flick machte ein Gesicht, als verstünde er nicht ein Wort von dem, was der Druide von sich gab.
»In der alten Welt hat es Elfen in der Tat gegeben?« wiederholte er ungläubig. »Das ist doch nicht möglich!«
»Doch, es ist möglich«, entgegnete der Druide gelassen.
»Ja, wie haben die denn die Großen Kriege überlebt?«
»Wie hat der Mensch die Großen Kriege überlebt?«
»Aber die alten Geschichtsbücher berichten uns doch nur von Menschen — die Elfen erwähnen sie nicht mit einem einzigen Wort!« gab Flick gereizt zurück. »Die Elfen waren ein Märchenvolk. Wenn es auf der alten Welt wirklich Elfen gab, wo lebten sie dann?«
»Genau dort, wo sie immer gelebt hatten — nur, der Mensch konnte sie nicht sehen.«
»Ach, jetzt wollt Ihr mir weismachen, daß die Elfen unsichtbar waren?« Flick warf in gespielter Verzweiflung die Hände hoch. »Ich glaube kein Wort!«
»Du hast auch nicht geglaubt, was ich dir über Shea und das Schwert von Shannara berichtete, wenn ich mich recht erinnere«, erklärte Allanon, den Anflug eines Lachens auf den Lippen. »Ich sehe nicht ein, was all dies mit der Frage zu tun hat, warum die Elfen gerade meine Hilfe brauchen«, warf Wil ein und kam damit einem weiteren Ausbruch Flicks zuvor.