Выбрать главу

»Allanon ist seit mehr als fünfzig Jahren nicht mehr in den Vier Ländern gesehen worden.« Ihre Stimme war ruhig, doch in ihren Augen stand Furcht. »Wer bist du?«

»Ich bin Allanon«, wiederholte er. Er ließ einen Augenblick des Schweigens seine Worte wirken. »Wer sonst hätte dich hier aufstöbern können, Amberle? Wer sonst hätte wissen können, daß du eine der Erwählten bist?«

Wortlos starrte das Elfenmädchen ihn an. Als sie sprechen wollte, kam ihr kein Wort über die Lippen. Fest verklammerte sie ihre Hände ineinander, bemühte sich angestrengt, ihre Fassung wiederzufinden.

»Die Kinder werden ängstlich, wenn ich sie zu lange allein lasse. Sie müssen zu Bett gebracht werden. Bitte wartet hier.«

Schon war aus der Tiefe des Hauses das ungeduldige Scharren kleiner Füße zu hören und das feine Flüstern aufgeregter Stimmen. Amberle drehte sich um und verschwand in dem kleinen Haus. Sie konnten ihre Stimme hören, die leise und beruhigend klang, als sie die Kinder die Holztreppe zum Dachboden hinaufführte.

Allanon trat zu einer Bank auf der anderen Seite der Veranda und setzte sich. Wil blieb, wo er war, gleich an der Tür stehen, und lauschte den Stimmen des Elfenmädchens und der Kinder, während er dachte: O Gott, sie ist ja selbst noch ein Kind.

Einen Augenblick später war sie zurück. Leichten Schrittes trat sie auf die Veranda hinaus und schloß die Haustür sorgfältig hinter sich. Sie sah Wil an, der ihren Blick mit einem befangenen Lächeln erwiderte.

»Dieser junge Mann ist Wil Ohmsford.« Körperlos schwebte Allanons Stimme durch die Dunkelheit. »Er studiert in Storlock. Er möchte ein Heilkundiger werden.«

»Guten —« begann Wil, doch sie ging schon an ihm vorbei zu dem großen Alten.

»Warum seid Ihr hierher gekommen, Druide — wenn Ihr der Druide seid?« fragte sie, eine Mischung aus Verärgerung und Unsicherheit in der Stimme. »Hat mein Großvater Euch gesandt?«

Allanon erhob sich. »Können wir uns zum Gespräch in den Garten setzen?«

Das Mädchen zögerte, nickte dann. Sie führte sie von der Veranda den Steinweg hinunter zu den Bänken. Dort ließen sie sich nieder. Der Druide nahm ihr gegenüber Platz, während Wil ein klein wenig abseits einen Platz einnahm. Er erkannte sehr wohl, daß sich seine Rolle bei dieser Zusammenkunft auf die des Zuschauers beschränkte.

»Warum seid Ihr hierher gekommen?« wiederholte Amberle, deren Stimme jetzt etwas gefestigter klang als anfangs.

Allanon schlang seine Gewänder fester um sich.

»Zunächst einmal — niemand hat mich geschickt. Ich bin aus eigenem Entschluß hier. Ich bin gekommen, dich zu bitten, mit mir nach Arborlon zurückzukehren.« Er machte eine kurze Pause. »Ich will mich kurz fassen. Der Ellcrys stirbt, Amberle. Die Mauer der Verfemung beginnt abzubröckeln; das Böse, das sie gefangenhält, drängt in die Freiheit — alle Dämonen! Bald werden sie das Westland überrennen. Nur du kannst es verhindern. Du bist die letzte der Erwählten.«

»Die letzte…« flüsterte sie, doch die Worte blieben ihr im Hals stecken.

»Ja. Sie sind alle tot. Die Dämonen haben sie gefunden und getötet. Und jetzt suchen die Dämonen dich.«

Ihr Gesicht erstarrte vor Entsetzen.

»Nein! Was ist das für eine List, Druide? Was für eine List —« Wieder brach sie ab, als Tränen ihr in die Augen traten und über die kindlichen Wangen rannen. Mit einer ungeduldigen Bewegung wischte sie sie weg. »Sind sie wirklich alle tot? Alle?«

Der Druide nickte. »Du mußt mich nach Arborlon begleiten.« Protestierend schüttelte sie den Kopf.

»Nein! Längst bin ich keine Erwählte mehr. Das weißt du sehr wohl.«

»Mir ist bekannt, daß dein Wunsch ist, nicht zu den Erwählten zu gehören.«

Die grünen Augen blitzten zornig.

»Was ich wünsche, ist in dieser Sache nicht von Bedeutung. Ich diene nicht mehr; das alles liegt hinter mir. Ich bin keine Erwählte mehr.«

»Der Ellcrys hat dich erwählt«, widersprach Allanon ruhig und bestimmt. »Er muß darüber befinden, ob du dieses Amt noch immer innehast oder nicht. Er muß darüber bestimmen, ob du sein Samenkorn zum Blutfeuer bringen sollst, damit er wiedergeboren und die Bannmauer der Verfemung neu errichtet werden kann.«

»Ich begleite Euch nicht nach Arborlon«, erklärte Amberle fest.

»Du mußt.«

»Aber ich werde es nicht tun. Niemals werde ich zurückkehren. Hier ist jetzt mein Zuhause; diese Leute hier sind mein Volk. Ich habe diese Wahl getroffen, endgültig.«

Der Druide schüttelte bedächtig sein Haupt.

»Du kannst dir deine Heimat wählen und du kannst dir dein Volk wählen. Nicht immer aber deine Pflichten. Sie werden dir manchmal auferlegt, ohne daß dir eine Wahl bleibt. Und so ist es in dieser Sache, Elfenmädchen. Du bist die letzte der Erwählten; du bist die letzte Hoffnung der Elfen. Du kannst vor deiner Verantwortung nicht davonlaufen; du kannst dich nicht vor ihr verstecken. Und du kannst nichts daran ändern.«

Amberle sprang auf, tat unentschlossen ein paar Schritte, kam wieder zurück.

»Ihr begreift nicht.«

Allanon betrachtete sie. »Ich begreife besser als du glaubst.«

»Wenn dem so wäre, würdest du von mir nicht verlangen, daß ich zurückkehre. Als ich aus Arborlon fortging, wußte ich, daß ich nie wieder zurückkommen würde. In den Augen meiner Mutter, meines Großvaters und meines Volkes hatte ich Schimpf und Schande auf mich geladen. Ich tat etwas Unverzeihliches — ich wies das Geschenk zurück, in den Kreis der Erwählten aufgenommen zu werden. Selbst wenn ich es wünschte — und ich wünsche es nicht! — ließe sich das nicht ungeschehen machen. Die Elfen sind ein Volk mit einem tief verwurzelten Gefühl für Tradition und Ehre. Niemals können sie das, was geschehen ist, akzeptieren. Selbst wenn ihnen gesagt würde, daß sie alle zugrunde gehen werden, wenn nicht ich — und ich allein! — sie rette, würden sie mich nicht wieder in ihrem Kreis aufnehmen wollen. Ich bin eine Ausgestoßene, und nichts vermag daran etwas zu ändern.«

Nun richtete sich auch der Druide auf. Groß und dunkel stand er vor der zierlichen kleinen Gestalt. Der Blick seiner Augen war beängstigend.

»Töricht sind deine Worte, Elfenmädchen, und hohl deine Einwände. Du sprichst ohne Überzeugungskraft. Das paßt nicht zu dir. Ich weiß, daß du mehr Stärke besitzt, als du gezeigt hast.«

Die Worte trafen. Amberle fuhr hoch.

»Was wißt Ihr schon von mir, Druide? Nichts!« Die grünen Augen sprühten vor Zorn, als sie dicht vor ihn hintrat. »Ich bin Lehrerin. Ich unterrichte Kinder. Einige von ihnen habt Ihr heute abend gesehen. Sie kommen in kleinen Gruppen zu mir und verbringen einen Sommer unter meinem Dach. Sie werden mir von ihren Eltern anvertraut. Ich trage die Verantwortung für sie. Während sie in meinem Hause leben, vermittle ich ihnen das Wissen von den lebendigen Dingen dieser Erde. Ich lehre sie Liebe und Achtung vor der Welt und ihrer Kreatur, in die sie hineingeboren sind — ich lehre sie Verständnis für diese Welt und alle Wesen, die auf ihr leben. Ich lehre sie, Leben zu geben für das Leben, das ihnen gegeben wurde; ich lehre sie, solches Leben zu nähren. Wir beginnen ganz einfach, wie in diesem Garten. Und zum Schluß gelangen wir bis zu den komplexen Zusammenhängen, die das menschliche Leben umgeben. Das, was ich tue, tue ich mit Liebe. Ich bin ein einfacher Mensch mit einer schlichten Gabe, die ich mit anderen teilen kann. Die Erwählten aber teilen nichts mit anderen! Ich war nie eine Erwählte — nie! Ich wurde dazu berufen, obwohl es nicht mein Wunsch war, obwohl ich nicht geeignet war, dieses Amt zu erfüllen. All das habe ich hinter mir gelassen. Dieses Dorf und seine Bewohner sind der Mittelpunkt meines Lebens. Hier bin ich die, die ich bin. Hier gehöre ich hin.«

»Vielleicht.« Die Stimme des Druiden war ruhig und gelassen, wie unberührt von ihrer zornigen Erregung. »Und aus keinem besseren Grund willst du die Elfen im Stich lassen? Ohne dich müssen sie zugrunde gehen. Sie werden kämpfen wie damals in der alten Welt, als die Mächte des Bösen sie das erste Mal bedrohten. Aber diesmal fehlen ihnen die magischen Kräfte, ihnen Stärke zu verleihen. Sie werden vernichtet werden.«