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Doch als er sich umwandte, um seine Gefühle mit Amberle zu teilen, gewahrte er, daß sie verschwunden war.

13

Als Wil Ohmsford wieder erwachte, graute der Morgen. Er lag in einem grasbewachsenen Tal unter den schützenden Ästen eines Ahorns. In langen schrägen Strahlen fiel das Morgenlicht durch das üppige Wachstum breiter Blätterbänder. Aus der Nähe war das gedämpfte Plätschern von Wasser zu hören, das gegen ein Ufer anschlägt. Einen Herzschlag lang glaubte er sich noch in dem wundersamen Garten seiner Träume, richtete sich mit einem Ruck auf und blickte sich um. Der Garten war nicht mehr da. Neben ihm lag Amberle, noch immer schlafend. Er zögerte, doch dann beugte er sich über sie und rüttelte sie sachte an der Schulter. Sie regte sich und schlug die Augen auf. Verwundert blickte sie ihn an. »Wie geht es dir?« fragte er. »Gut. Wo sind wir?« Sie rieb sich den Schlaf aus den Augen. Wil schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht.« Das Elfenmädchen setzte sich langsam auf und sah sich in dem kleinen Tal um. »Wo ist Allanon?« »Auch das weiß ich nicht.« Wil streckte versuchsweise die Beine und stellte mit Überraschung fest, daß die Muskeln locker und weich waren. »Er ist weg. Sie sind alle weg — Allanon, diese Ungeheuer…« Er verstummte, als er vom Unterholz am anderen Ende des Tales her Geräusche wahrnahm. Ein vertrautes schwarzes Gesicht schob sich durch das Blättergewirr. Wil lächelte. »Nun, wenigstens haben wir Artaq noch.«

Der Rappe zupfte träge ein paar Grashalme und trottete zu Wil hinüber, um ihn sacht mit der Schnauze anzustupsen. Wil streichelte flüchtig den schmalen Kopf und kraulte das Tier hinter den Ohren. Amberle saß schweigend dabei.

»Hast du den alten Mann gesehen?« fragte Wil sie.

Sie nickte ernst. »Das war der König vom Silberfluß.«

Wil sah sie an.

»Das dachte ich mir. Mein Großvater hat ihn einmal gesehen, Vor Jahren. Ich war mir eigentlich bis heute nicht sicher, ob es ihn wirklich gibt. Merkwürdig.« Artaq entfernte sich ein paar Schritte und begann zu grasen. Wil schüttelte den Kopf. »Er hat uns das Leben gerettet. Die Dämonen-Wölfe hätten uns beinahe eingeholt.« Er bemerkte den Ausdruck, der in die Augen des Elfenmädchens trat, und brach ab. »Jedenfalls sind wir jetzt sicher.«

»Es war wie im Traum, nicht wahr?« meinte sie leise. »Wir schwebten im Licht. Wir saßen auf Artaq und rundherum gleißte nur das Licht. Dann kam er auf uns zu. Er kam aus dem Nichts und sagte etwas …« Sie verstummte, als verwirre die Erinnerung sie. »Hast du es gesehen?«

Wil nickte.

»Und dann verschwand er«, fuhr sie wie zu sich selbst fort, als wolle sie sich ins Gedächtnis zurückrufen, was geschehen war. »Er verschwand, und das Licht erlosch — und dann — und dann …« Sie blickte ihn fragend an.

»Der Garten?« fragte er. »Hast du den Garten gesehen?«

»Nein.« Sie zögerte. »Nein, ich habe keinen Garten gesehen. Um mich herrschte nur Dunkelheit, und ich hatte ein merkwürdiges Gefühl, das ich nicht beschreiben kann. Ich — es war wie eine Sehnsucht — ein nach etwas greifen wollen, glaube ich.« Sie blickte ihn hilfesuchend an, doch Wil stand nur Verwirrung im Gesicht. »Du hast neben mir gestanden«, fuhr sie fort. »Du hast neben mir gestanden, aber du konntest mich nicht sehen. Ich habe dir zugerufen, aber es hatte den Anschein, als könntest du mich nicht hören. Es war so sonderbar.«

Wil krümmte die Schultern und beugte sich vor.

»Ich erinnere mich an den alten Mann und das Licht. Genauso, wie du es beschrieben hast. Ja, daran erinnere ich mich. Als der alte Mann und das Licht vergingen, schlief ich ein. Zumindest hatte ich das Gefühl einzuschlafen. Ich saß immer noch auf Artaq, und du warst hinter mir. Ich spürte deine Arme um meinen Körper. Dann stand ich plötzlich in einem Garten, wie ich noch keinen gesehen hatte. Er war wunderschön, und so friedlich und ruhig. Aber als ich mich nach dir umsah, warst du nicht mehr da. Du warst verschwunden.«

Wortlos blickten sie einander an.

»Ich glaube, wir versuchen jetzt am besten, erst mal festzustellen, wo wir eigentlich sind«, meinte Wil schließlich.

Er stand auf und sah sich wieder um. Verspätet fiel es ihm ein, daß er Amberle aufhelfen könnte, doch da stand sie schon neben ihm und zupfte sich Blätter und Gras aus dem Haar. Er zauderte einen Augenblick, dann schritt er voraus durch das Dickicht von Bäumen und Büschen, dem Plätschern des Wassers nach.

Wenig später standen sie am Ufer eines Sees, der so groß war, daß sein Wasser sich am Horizont zu verlieren schien. Tiefblau und klar dehnte sich das Gewässer in der Morgensonne. Hier und dort blitzten silberne Schaumkronen auf. Bäume säumten die grasbewachsenen Ufer, Weiden, Ulmen und Eschen, und ihre Blätter kräuselten sich in einem sanften Südwind, der den Duft von Jelängerjelieber und Azaleen heranwehte. Am wolkenlosen Himmel, der den See überspannte, wölbte sich ein flimmerndes Band vieler Farben, das vom einen Ende des Horizonts zum anderen zu reichen schien.

Wil blickte zur Sonne, dann wandte er sich mit einem ungläubigen Kopfschütteln an Amberle.

»Weißt du, wo wir sind? Irgendwo am Nordufer des Regenbogen-Sees. Der alte Mann hat uns den ganzen Silberfluß hinuntergetragen und dann noch über den See bis hierher. Wir sind meilenweit von unserem Ausgangspunkt entfernt.«

Amberle nickte beinahe zerstreut.

»Ich glaube, du hast recht.«

»Ich weiß, daß ich recht habe.« Wil wanderte erregt auf und ab und blieb schließlich direkt am Wasser stehen. »Ich möchte nur wissen, wie er das geschafft hat.«

Amberle hockte sich ins Gras und blickte auf den See hinaus.

»Die Legende berichtet, daß er denen hilft, die der Hilfe bedürfen, wenn sie sein Land durchreisen — daß er sie beschützt und behütet.« Sie schwieg, ihre Gedanken schienen woanders zu weilen. »Er hat etwas zu mir gesagt… Wenn ich mich nur erinnern könnte, was es war…«

Wil hörte ihr nicht zu.

»Wir sollten uns auf den Weg machen. Arborlon ist weit. Aber wenn wir in nordwestlicher Richtung reiten, mußten wir eigentlich auf den Mermidon stoßen, und dem können wir dann direkt bis in das Westland folgen. Da ist das Land zwar weit und offen, aber so leicht wird man uns jetzt nicht mehr finden. Wir haben keine Spur hinterlassen.«

Die Verstimmung, die über Amberles Gesicht huschte, bemerkte er garnicht, so beschäftigt war er mit seinen Überlegungen.

»Ich denke, wir werden ungefähr vier Tage brauchen — vielleicht auch fünf, da wir ja zu zweit nur ein Pferd haben. Wenn wir Glück haben, finden wir vielleicht unterwegs noch eines, aber das ist wahrscheinlich ein bißchen viel verlangt. Es wäre auch nicht schlecht, wenn wir eine Waffe hätten; wir haben ja nicht einmal einen Jagdbogen. Da wird uns wohl nichts anderes übrigbleiben, als von den Früchten des Feldes zu leben. Wir könnten natürlich —«

Er brach ab, als er plötzlich gewahrte, daß Amberle unmutig den Kopf schüttelte. Das Elfenmädchen kreuzte die Beine und lehnte sich an einen Baumstamm.

»Was ist?« fragte er und ließ sich auf dem Platz neben ihr nieder. »Mißfällt dir etwas?«

»Ja, du zum Beispiel.«

»Ich? Wie meinst du das?«

»Du scheinst bereits fest beschlossen zu haben, wie es weitergehen soll. Findest du nicht, du solltest dir vielleicht auch meine Überlegungen zu der Frage anhören?«

Höchst erstaunt starrte Wil sie an.

»Aber natürlich. Ich —«

»Ich habe nicht bemerkt, daß du mich um meine Meinung gefragt hast«, fuhr sie fort, ohne auf seinen Einwurf zu achten. »Hältst du es für überflüssig zu fragen?«

Wil lief vor Scham rot an, »Entschuldige. Ich habe nur —«

»Du hast nur Entscheidungen getroffen, die zu treffen du gar kein Recht hast.« Sie machte eine Pause und betrachtete ihn kühl. »Ich weiß nicht einmal, was du hier tust. Der einzige Grund, weshalb ich überhaupt bis hierher mitgekommen bin, ist der, daß mir im Grund keine Wahl gelassen wurde. Ich finde es an der Zeit, mir über einige Punkte Gewißheit zu verschaffen. Warum hat Allanon dich überhaupt damit beauftragt, Wil Ohmsford? Wer bist du?«