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Unwillkürlich hielt Wil in seiner Arbeit inne und beobachtete den seltsamen Zug, der sich dem Flußufer näherte. Achsen stöhnten, Lederriemen knarrten, laute Rufe der Aufmunterung schallten durch die Stille. Beinahe gegenüber von der Stelle, wo Wil saß, bildeten die Wagen einen Kreis und hielten an. Männer, Frauen und Kinder kletterten heraus und machten sich daran, die Pferde auszuspannen.

Aus den Bäumen hinter Wil tauchte Amberle auf und kam näher. Wil warf ihr nur einen flüchtigen Blick zu und sah dann wieder zum anderen Ufer hinüber.

»Fahrendes Volk«, meinte er nachdenklich.

Sie nickte. »Ich weiß. Die Elfen haben für diese Leute nicht viel übrig.«

»Niemand hat für sie viel übrig.« Er machte sich wieder über das Schuppen der Fische. »Sie stehlen alles, was nicht niet- und nagelfest ist oder beschwatzen einen mit solcher Beharrlichkeit, bis man es ihnen freiwillig gibt. Sie haben ihre eigenen Gesetze und geben nichts auf die anderer.«

Amberle berührte seinen Arm. Er blickte auf und sah einen hochgewachsenen Mann, der unter einem waldgrünen Umhang ganz in Schwarz gekleidet war. Er begleitete zwei ältere Frauen in langen bunten Röcken und Blusen zum Wasser hinunter. Als die Frauen sich bückten, um ihre Eimer zu füllen, lüftete der Mann seinen breitkrempigen Hut und verneigte sich mit schwungvoller Bewegung zu Wil und Amberle hin. Auf dem dunkel-gebräunten Gesicht mit dem schwarzen Bart blitzte ein breites Lächeln. Wil hob einen Arm und winkte freundlich zurück.

»Ich bin nur froh, daß sie nicht auf unserer Seite sind«, bemerkte er zu Amberle, als sie aufstanden, um zu ihrem Lager zurückzukehren.

Nach dem Mahl mit Fisch, Gemüse, Obst und Quellwasser ließen sie sich am Feuer nieder und blickten zwischen den Bäumen hindurch zu den lodernden Feuern der Fahrensleute am anderen Ufer hinüber. Lange schwiegen sie beide, jeder in seine Gedanken vertieft. Dann sah Wil Amberle an.

»Wie kommt es, daß du so viel über das Wesen und das Wachstum von Pflanzen weißt? Hat jemand dich das alles gelehrt?«

Überraschung flog über ihre Züge.

»Dafür, daß du Elfenblut in deinen Adern hast, weißt du wahrhaftig nicht viel von uns, wie?«

Wil zuckte die Schultern.

»Nein, eigentlich nicht. Das Elfenblut hab’ ich von meinem Vater, und der starb, als ich noch sehr jung war. Ich glaube nicht, daß mein Großvater je im Westland war — zumindest spricht er nie davon. Ich habe wahrscheinlich einfach nie viel darüber nachgedacht, was es bedeutet, mit Elfenblut geboren worden zu sein.«

»Darüber hättest du aber nachdenken sollen«, versetzte sie leise, und ihre grünen Augen sahen ihn an. »Wenn wir verstehen wollen, wer wir sind, müssen wir erst verstehen, wer wir waren.«

Die Worte klangen vorwurfsvoll. Doch der Vorwurf galt nicht Wil, sondern eher Amberle selbst. Wil verspürte ein plötzliches Verlangen, mehr über dieses Mädchen zu erfahren, sie irgendwie dazu zu bewegen, sich ihm wenigstens ein klein wenig zu öffnen.

»Vielleicht könntest du mir helfen, das zu verstehen«, meinte er nachdenklich.

Augenblicklich verdunkelte Zweifel ihre Augen. Es war beinahe so, als glaubte sie, er wolle sie zum Narren halten. Lange zauderte sie, ehe sie ihm antwortete.

»Also gut, ja, vielleicht kann ich es.« Sie wandte sich zu ihm um, so daß sie ihm ins Gesicht blicken konnte. »Als erstes mußt du folgendeswissen: Die Elfen sind der Überzeugung, daß die Erhaltung der Erde und aller Wesen, die auf ihr leben, Tiere wie Pflanzen, eine moralische Verpflichtung ist. Diese Überzeugung hat vor allem anderen ihr Verhalten als Geschöpfe dieser Erde bestimmt. In der alten Welt widmeten sie ihr ganzes Leben der Pflege der Wälder, in denen sie lebten, kümmerten sich um die Pflanzen aller Art, die in ihnen gediehen, und um die Tiere, die in ihnen hausten. Damals gab es natürlich kaum andere Aufgaben, derer sie sich annehmen mußten, denn sie lebten ja völlig abgeschieden wie Einsiedler. Das ist jetzt anders, aber die Elfen halten auch heute an der Überzeugung fest, daß sie für den Zustand ihrer Welt die moralische Verantwortung tragen. Von jedem Elf wird erwartet, daß er einen Teil seines Lebens dem Bemühen widmet, der Erde etwas von dem zurückzugeben, was er von ihr bekommen hat. Das soll heißen, es wird von jedem Elf erwartet, daß er einen Teil seines Lebens dafür gibt, zum Wohl der Erde zu arbeiten — sei es, daß er Schäden beheben hilft, die durch Mißbrauch oder Vernachlässigung entstanden sind, sei es, daß er sich der Tiere annimmt oder der Bäume und anderen Pflanzen, die Pflege und Fürsorge brauchen.«

»Und das hast du in Havenstead getan?«

Sie nickte. »In gewisser Weise. Die Erwählten sind von diesem Dienst an der Erde befreit. Als ich nicht mehr zu den Erwählten gehörte und in meiner Heimat nicht mehr willkommen war, beschloß ich, der Erde zu dienen. Die meisten Elfen suchen sich ihre Aufgaben im Westland, weil das ihr Heimatland ist. Wir sind aber der Meinung, daß die Sorge um die Erde in der Verantwortung aller Menschen liegt. Bis zu einem gewissen Grad teilen die Zwerge unser Interesse, aber die anderen Rassen haben sich immer ziemlich gleichgültig gezeigt. Deshalb ziehen manche Elfen aus dem Westland in andere Gemeinden und versuchen, den Menschen, die dort leben, ihre Verantwortlichkeit für die Pflege und Erhaltung ihres Landes begreiflich zu machen. Ich habe das in Havenstead versucht.«

»Und zu diesem Zweck hast du mit den Kindern des Dorfes gearbeitet«, bemerkte Wil.

»In erster Linie mit den Kindern, denn die Kinder sind offener für das, was ich lehre, und haben Zeit zu lernen. Ich erhielt meinen Unterricht im Umgang mit der Erde, als ich noch ein Kind war; so ist das bei uns Elfen. Ich verstand es besser als die meisten, das Gelernte umzusetzen — ich vermute, das ist einer der Gründe, warum ich erwählt wurde. Der Ellcrys hat Gespür für so etwas. Er besitzt die Fähigkeit —«

Es war, als ertappe sich Amberle mitten in einem Gedanken, den sie nicht weiterverfolgen wollte. Abrupt brach sie ab und zuckte die Schultern.

»Jedenfalls verstand ich es mit den Kindern von Havenstead sehr gut, und die Leute im Dorf waren nett zu mir. Havenstead war mein Zuhause, und ich wollte nicht fort.«

Sie senkte den Blick auf das Feuer zwischen ihnen. Wil schwieg, legte nur ein paar frische Zweige auf. Nach einer Weile sah Amberle wieder zu ihm auf.

»So, jetzt weißt du ein wenig über die Beziehung der Elfen zur Erde. Sie ist ein Teil deines Erbes, deshalb solltest du versuchen, sie zu verstehen.«

»Ich glaube, ich verstehe sie schon«, erwiderte Wil nachdenklich. »Zumindest teilweise. Zwar wurde ich nicht nach Elfenart unterwiesen, aber ich habe bei den Stors die Heilkunst erlernt. Ihr Interesse am menschlichen Leben hat viel Ähnlichkeit mit dem Interesse der Elfen am Wohlbefinden der Erde. Ein Heilkundiger muß tun, was in seiner Macht steht, um das Leben und die Gesundheit der Menschen zu erhalten, die er behandelt. Das ist eine Verpflichtung, die ich eingegangen bin, als ich mich entschloß, ein Heilkundiger zu werden.«

Das Elfenmädchen musterte ihn mit neugierigem Blick.

»Irgendwie finde ich es darum um so sonderbarer, daß Allanon dich überreden konnte, mich zu begleiten. Du bist ein Heilkundiger, der sich der Erhaltung des Lebens verpflichtet hat. Was willst du tun, wenn du in eine Situation gerätst, in der du anderen Schaden antun, sie vielleicht sogar töten mußt, um mich zu schützen?«

Wil starrte sie wortlos an. Er hatte die Möglichkeit, daß es sich so zutragen könnte, nie in Erwägung gezogen. Als er ihr jetzt ins Gesicht blickte, verspürte er ein unbehagliches Gefühl des Zweifels.

»Ich weiß nicht, was ich dann tun werde«, bekannte er voll Unsicherheit.

Danach schwiegen sie beide lange. Über das Feuer hinweg sahen sie einander an und waren nicht fähig, die Befangenheit des Augenblicks zu verdrängen. Dann aber stand Amberle unvermittelt auf, ging zu Wil hinüber und setzte sich neben ihn. Impulsiv ergriff sie seine Hand.