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»Die Frage war nicht fair, Wil Ohmsford. Es tut mir leid, daß ich sie gestellt habe. Du hast dich bereit gefunden, mich auf dieser Reise zu begleiten, weil du glaubtest, du könntest mir helfen. Es ist unrecht von mir, daran zu zweifeln, daß du es tun würdest.«

»Die Frage war berechtigt«, widersprach Wil, »aber ich weiß eben keine Antwort darauf.«

»Das ist auch gar nicht nötig«, meinte sie. »Gerade ich mußte eigentlich wissen, daß es Entscheidungen gibt, die nicht im voraus getroffen werden können. Wir können nicht immer voraussehen, wie die Dinge sich entwickeln werden, und wir können daher auch nicht vorausplanen, wie wir handeln werden. Damit müssen wir uns abfinden. Die Frage war wirklich nicht in Ordnung. Ebensogut könntest du mich fragen, was ich tun werde, wenn der Ellcrys mir eröffnet, daß ich noch immer eine Erwählte bin.«

Wil lächelte schwach. »Vorsichtig! Ich bin in Versuchung, dir genau diese Frage zu stellen.«

Augenblicklich ließ sie seine Hand los und stand auf.

»Tu es nicht. Die Antwort, die ich dir gäbe, würde dir nicht behagen.« Sie schüttelte traurig den Kopf. »Du glaubst, ich stehe vor einer einfachen Entscheidung. Aber du irrst dich.«

Sie kehrte auf die andere Seite des Feuers zurück und breitete ihren Umhang auf dem Boden aus. Bevor sie sich in ihn einwickelte, drehte sie sich noch einmal nach ihm um.

»Glaub mir, Wil Ohmsford, wenn diese Entscheidungen wirklich notwendig werden sollten, dann wirst du es leichter haben als ich.«

Sie senkte den Kopf in die Falten ihres Umhangs und war Augenblicke später eingeschlafen. Wil starrte grüblerisch ins Feuer. Er konnte es nicht erklären, aber er glaubte ihr.

14

Als sie am folgenden Morgen erwachten, war Artaq nicht mehr da. Im ersten Moment glaubten sie, er sei vielleicht in der Nacht davongewandert, aber sie fanden ihn weder im Wald rund um ihr Lager noch jenseits auf der offenen Ebene. In Wil erwachte ein furchtbarer Verdacht. Sogleich machte er sich daran, die Stelle, wo Artaq gegrast hatte, aufmerksam zu untersuchen, und schritt dann langsam im Kreis um ihren Lagerplatz. Von Zeit zu Zeit ließ er sich auf die knie nieder, um direkt am Boden zu riechen oder das Erdreich mit den Fingern zu betasten. Nach ein paar Minuten schien er etwas gefunden zu haben. Den Blick weiterhin zu Boden geheftet, streifte er südwärts durch das Wäldchen und in die Wiesen hinaus. Nach etwa zweihundert Fuß schwenkte er ab in Richtung zum Fluß. Amberle folgte ihm stumm. Wenig später standen sie beide am Ufer des Mermidon und blickten auf die sandigen Untiefen, die sich mehrere hundert Fuß stromabwärts von ihrem Lager befanden. »Die Fahrensleute!« Wil spie das Wort aus wie eine bittere Pille. »Sie haben in der Nacht hier den Fluß durchquert und Artaq gestohlen.« Amberle machte ein erstauntes Gesicht. »Bist du sicher?« »Vollkommen.« Wil nickte. »Ich habe ihre Spuren gefunden. Außerdem kann das sonst niemand fertiggebracht haben. Artaq hätte sich gewehrt, wenn irgendwelche unerfahrenen Leute versucht hätten, ihn zu entführen. Aber diese Burschen sind ganz geschickte Pferdeabrichter. Schau dort hinüber, sie sind schon fort.« Er wies zum anderen Ufer des Flusses hinüber, wo am vergangenen Abend die Wohnwagen Halt gemacht hatten. Jetzt war dort alles verlassen. »Und was tun wir nun?« fragte Amberle schließlich. Wil war so wütend, daß er kaum sprechen konnte. »Zunächst packen wir unsere Sachen. Dann gehen wir hinüber ans andere Ufer und sehen uns ihren Lagerplatz an.« Sie kehrten zu ihrem eigenen Lager zurück, packten eilig die paar Sachen, die sie mit sich trugen, und liefen wieder zum Fluß. An den Untiefen durchquerten sie ihn ohne Mühe und rannten zu dem jetzt verlassenen Lagerplatz der Fahrensleute. Wieder unterzog Wil den Boden einer aufmerksamen Prüfung. Dann ging er zu Amberle zurück. »Mein Onkel Flick hat mich das Spurenlesen gelehrt, als ich zu Hause in Shady Vale mit ihm auf die Jagd ging«, erzählte er ihr, sichtlich besserer Stimmung. »Wir waren manchmal wochenlang in den Duln Wäldern und haben geangelt und gejagt. Ich habe mich später oft gefragt, ob ich das, was ich damals gelernt habe, jemals wieder brauchen würde.«

Sie nickte ungeduldig. »Was hast du entdeckt?«

»Sie sind nach Westen weitergezogen, wahrscheinlich kurz vor Tagesanbruch.«

»Und das ist alles? Gibt es keinen Hinweis darauf, ob sie Artaq mitgenommen haben?«

»O ja, den haben sie mitgenommen. Da hinten bei den Untiefen sind Spuren genug, die zeigen, daß vom anderen Ufer ein Pferd in den Fluß gegangen und hier drüben wieder herausgekommen ist. Ein Pferd und mehrere Männer. Nein, da gibt’s gar keinen Zweifel, die haben ihn. Aber wir holen ihn uns wieder.«

Sie warf ihm einen zweifelnden Blick zu.

»Du willst ihnen folgen?«

»Natürlich!« Sein Zorn erwachte von neuem. »Wir beide werden diese Burschen verfolgen.«

»Nur du und ich, Talbewohner?« Sie schüttelte den Kopf. »Zu Fuß?«

»Bis zum Einbruch der Nacht können wir sie einholen. Die Wagen kommen nur langsam vorwärts.«

»Das setzt voraus, daß wir sie finden, oder nicht?«

»Das ist kinderleicht. Früher konnte ich mal die Fährte eines einzelnen Rehs im Wald verfolgen, auch wenn es wochenlang nicht geregnet hatte; da wird es mir doch jetzt wohl noch gelingen, einem ganzen Wagenzug auf der Spur zu bleiben.«

»Irgendwie gefällt mir das alles nicht«, erklärte sie ruhig. »Selbst wenn wir sie finden, und sie Artaq tatsächlich haben, was sollen wir dann tun?«

»Darüber zerbrechen wir uns den Kopf, wenn wir sie haben«, erwiderte er unerschüttert.

Amberle ließ nicht locker.

»Ich bin der Meinung, wir sollten uns jetzt darüber den Kopf zerbrechen. Diese Leute, denen du folgen willst, sind schließlich alle bewaffnet. Ich bin über den Diebstahl von Artaq genauso erbost wie du, aber das ist doch kein Grund, Hals über Kopf irgend etwas zu unternehmen, ohne zuvor vernünftig zu überlegen.«

Es kostete Wil Mühe, seinen Zorn und seine Ungeduld zu bezähmen.

»Ich laß’ mir doch das Pferd nicht einfach stehlen. Überleg mal, wenn Artaq nicht gewesen wäre, dann hätten uns die Dämonen schon in Havenstead erwischt. Er hat ein besseres Schicksal verdient, als von nun an diesen Gaunern dienen zu müssen. Außerdem brauchen wir ihn. Ohne ihn müssen wir zu Fuß weiter. Bis nach Arborlon. Wir würden länger als eine Woche benötigen, und fast die ganze Zeit führt der Weg durch offenes Land. Da können wir von diesen gräßlichen Wesen, die immer noch nach uns suchen, viel leichter aufgestöbert werden. Und das ist mir gar nicht sympathisch. Wir brauchen Artaq.«

»Ich habe den Eindruck, du hast deinen Entschluß bereits gefaßt«, meinte sie ausdruckslos.

Er nickte. »Richtig. Außerdem reisen die Fahrensleute ohnehin in Richtung Westland; es kommt uns nur entgegen.«

Einen Augenblick lang sah sie ihn nur an. Dann nickte sie schließlich.

»Also gut, versuchen wir, sie einzuholen. Ich möchte Artaq auch zurückhaben. Aber ein bißchen nachdenken müssen wir vorher schon. Ich finde, wir sollten einen festen Plan haben, wenn wir auf den Zug stoßen.«

Er lächelte. »Den haben wir bis dahin ganz bestimmt.«

Den ganzen Tag wanderten sie, den Räderspuren des Wagenzuges folgend, durch das offene Grasland. Es war heiß und trocken, und die Sonne brannte von einem wolkenlosen blauen Himmel auf sie herunter.

Sie fanden kaum Schatten, in den sie sich vor der Hitze flüchten konnten. Das bißchen Wasser, das sie bei sich trugen, war bald getrunken, und sie trafen auf kein Gewässer, an dem sie ihren Vorrat hätten auffüllen können. Am späten Nachmittag schmeckten sie nur noch den Staub der Ebene und ihren Durst. Die Beinmuskeln schmerzten, und ihre Füße waren voller Blasen. Sie sprachen wenig miteinander, konzentrierten sich nur darauf, einen Fuß vor den anderen zu setzen, während sie zusahen, wie die Sonne vor ihnen langsam versank. Schließlich blieb vom Tag nur ein matter lohfarbener Schein über dem weiten Land.