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Er nickte beifällig. »Du hast einen klaren Kopf behalten.«

»Was man von dir nicht behaupten kann.« Sie zog spöttisch die Brauen hoch. Dann blickte sie wieder zu der verschlossenen kleinen Tür hinüber. »Cephelo hat das alte Weib nebenan einquartiert, damit sie uns im Auge behalten kann. Ich habe den Eindruck, er ist nicht überzeugt davon, daß er über dich alles weiß, was er wissen möchte.«

Wil beugte sich vor und stützte das Kinn auf seine Hände.

»Das würde mich nicht wundern.«

»Warum sind wir dann immer noch hier — ich meine, jetzt mal abgesehen davon, daß du gestern abend zuviel getrunken hast?« wollte sie wissen. »Warum sind wir eigentlich überhaupt noch hier?«

Er streckte die Hand nach den Elfensteinen aus, und sie gab sie ihm. Er steckte den Lederbeutel wieder in seinen rechten Stiefel und zog beide Stiefel an. Dann bedeutete er ihr, sich näher zu ihm zu neigen.

»Weil wir einen Weg finden müssen, Artaq zurückzubekommen, und das geht nur, wenn wir bei diesen Leuten bleiben«, flüsterte er so laut,daß sie es trotz des Ächzens des Wagens hören konnte. »Und es hat auch noch einen anderen Grund. Die Dämonen, die uns bei Havenstead gejagt haben, halten nach zwei Leuten Ausschau — nicht nach einem ganzen Wagenzug. Vielleicht können wir sie abschütteln, wenn wir mit den Fahrensleuten reisen. Im übrigen führt unser Weg direkt nach Westen, und wir kommen auf diese Weise schneller voran als zu Fuß.«

»Schön. Aber es ist auch gefährlich, mit diesen Fahrensleuten zu reisen, Talbewohner«, entgegnete sie. »Was willst du tun, wenn wir die Wälder von Westland erreichen, und Cephelo sich noch immer weigert, dir Artaq zurückzugeben?«

Er zuckte die Schultern.

»Darüber zerbrech’ ich mir den Kopf, wenn es soweit ist.«

»Immer dasselbe.« Sie schüttelte ärgerlich den Kopf. »Du könntest doch wenigstens versuchen, mich ein bißchen mehr einzuweihen als bisher. Es ist nicht gerade beruhigend, sich auf dich verlassen zu müssen, ohne die geringste Ahnung zu haben, was du planst.«

»Da hast du recht«, stimmte er zu. »Es tut mir leid, daß ich dich gestern abend so völlig im unklaren ließ. Ich hätte dir mehr sagen sollen, bevor wir das Lager betraten, aber ich hatte mir, ehrlich gesagt, gar nicht überlegt, was ich tun wollte. Ich hab’ einfach aus dem Stegreif gehandelt, als wir auf das Lager stießen.«

»Das glaube ich dir«, erwiderte sie stirnrunzelnd.

»Aber ich kann’s dir jetzt erklären«, erbot er sich. »Die Fahrensleute reisen immer in Familien — das weißt du ja bereits. Das Wort ›Familie‹ist etwas irreführend, denn die Mitglieder einer Familie bei den Fahrensleuten sind nicht immer blutsverwandt. Diese Leute verkaufen ihre Frauen und Kinder häufig an andere Lager oder benutzen sie als Tauschobjekte. Persönliches Eigentum in dem Sinn gibt es nicht. Jede Familie hat einen Führer — eine Vaterfigur, die sämtliche Entscheidungen trifft. Die Frauen sind den Männern untergeordnet. Das ist in den Augen der Fahrensleute die natürliche Ordnung der Dinge. Sie sind fest davon überzeugt, daß die Frauen den Männern, die sie schützen und versorgen, dienen und gehorchen müssen. Jeder, der ihr Lager betritt, sollte diese Sitte beachten, wenn er von ihnen willkommen geheißen werden will. Deshalb habe ich zuerst von dem Wasser getrunken. Deshalb habe ich dich allein aufräumen lassen, nachdem wir die Kranken behandelt hatten. Ich wollte sie davon überzeugen, daß ich ihre Sitten verstehe und achte. Ich dachte, dann bestünde eher die Chance, daß sie uns Artaq zurückgeben.«

»Aber es scheint nicht geholfen zu haben«, bemerkte Amberle.

»Nein, noch nicht«, bekannte er. »Aber immerhin haben sie uns gestattet, mit ihnen zu reisen. Normalerweise würden sie so etwas nicht einmal in Erwägung ziehen. Die Fahrensleute haben für Außenseiter nicht viel übrig.«

»Sie haben uns gestattet, mit ihnen zu reisen, weil Cephelo neugierig ist und mehr über dich wissen möchte.« Sie hielt einen Augenblick inne. »Eretria interessiert sich auch für dich. Sie hat gar keinen Hehl daraus gemacht.«

Er lachte unwillkürlich. »Und du glaubst wohl, daß ich das Trinkgelage und die Tanzerei gestern abend auch noch genossen habe?«

»Wenn du es unbedingt wissen willst — ja, das glaube ich.«

Sie sagte es ohne die Spur eines Lächelns. Wil lehnte sich zurück und hielt sich stöhnend den Kopf.

»Gut, ich gebe zu, daß ich es übertrieben habe. Aber das hatte seinen Grund, ganz gleich, was du denkst. Ich mußte sie glauben machen, daß ich nicht gerissener bin als sie. Wenn sie nämlich den Eindruck bekommen hätten, daß ich sie überlisten will, wären wir jetzt beide tot.

Deshalb habe ich getrunken und getanzt und mich genauso benommen, wie sich jeder Fremde unter den gleichen Umständen benommen hätte — um zu vermeiden, daß sie argwöhnisch werden.« Er zuckte die Schultern. »Für Eretrias Interesse an mir kann ich nichts.«

»Das hab’ ich ja auch gar nicht behauptet.« Sie wurde plötzlich ärgerlich. »Es ist mir völlig gleichgültig, ob Eretria sich für dich interessiert oder nicht. Mir ist nur wichtig, daß du uns nicht beide aus Torheit verrätst.«

Sie sah den Ausdruck der Verwunderung, der über sein Gesicht flog, und errötete.

»Bitte sei vorsichtig, ja?« fügte sie hastig hinzu, nahm ihm dann den leeren Becher aus der Hand und ging auf die andere Seite des Wagens. Wil blickte ihr neugierig nach.

Einen Augenblick später kam sie zurück, wieder kühl und ruhig.

»Noch etwas mußt du wissen. Heute am frühen Morgen begegnete der Wagenzug einem alten Fallensteller, der nach Osten reiste. Er war gerade durch den Tirfing gekommen — das Seengebiet unterhalb vom Mermidon, ehe man die Wälder von Westland erreicht. Er warnte Cephelo. Er sagte, dort triebe ein Teufel sein Unwesen.«

Wil krauste die Stirn.

»Ein Teufel?«

»Er nannte es einen Teufel — das ist ein Name, den die Fahrensleute für ein Wesen gebrauchen, das nicht menschlich ist, ein böses Wesen.« Sie legte eine vielsagende Pause ein. »Es kann sein, daß dieser Teufel einer der Dämonen ist, die die Mauer der Verfemung eingerissen haben.«