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Das Gesicht des jungen Mannes war ausdruckslos.

»Ich frage dich noch einmal — warum erzählst du mir das alles?«

»Weil ich dir helfen kann.«

»Und warum solltest du mir helfen wollen?«

»Weil du dafür mir helfen kannst.«

Wil zog die Brauen zusammen.

»Wie?«

Belustigung funkelte in Eretrias dunklen Augen.

»Ich habe den Verdacht, Wil Ohmsford, daß du nicht der harmlose junge Mann bist, für den du dich bei uns ausgegeben hast. Ganz sicher bist du mehr als ein simpler Heilkundiger, der mit seiner Schwester durch die Ebenen von Callahorn reist. Ich habe den Verdacht, daß dieses Elfenmädchen deiner Obhut anvertraut wurde und daß du sie begleitest, um sie zu beschützen.« Eilig hob sie ihre gebräunte Hand, als er etwas entgegnen wollte. »Du brauchst nicht zu leugnen, Heiler — eine Lüge von deinen Lippen wäre an mich verschwendet, denn ich bin die Tochter des größten Lügners der Welt und verstehe mich viel besser als du auf die Kunst des Lügens.«

Sie lächelte und legte eine Hand auf seinen Arm.

»Ich mag dich, Wil — das ist keine Lüge. Ich möchte gern, daß du das Pferd zurückbekommst. Es ist dir offensichtlich wichtig, es zurück zu erhalten, sonst wärst du uns nicht gefolgt. Allein aber wird es dir nicht gelingen, dir dein Pferd zurück zu holen. Doch ich könnte dir helfen.«

Zweifel spiegelten sich in Wils Miene.

»Warum würdest du das tun?« fragte er.

»Wenn ich dir helfe, dein Pferd wieder zu bekommen, dann sollst du mich mitnehmen, wenn du von hier fortgehst.«

»Was!«

»Ich möchte, daß du mich mitnimmst«, wiederholte sie mit Entschiedenheit.

»Das kann ich nicht!«

»Du kannst es, wenn du dein Pferd zurückhaben möchtest.«

Hilflos schüttelte er den Kopf.

»Warum möchtest du fort von hier? Du hast mir doch eben erzählt, daß —«

»Das alles gehört der Vergangenheit an«, fiel sie ihm ungeduldig ins Wort. »Cephelo ist der Meinung, daß es für mich an der Zeit ist zu heiraten. Nach alter Tradition wird er mir meinen Ehemann aussuchen und mich ihm gegen die Bezahlung eines Preises übergeben. Mein Leben bisher war gut, aber ich habe nicht die Absicht, mich ein zweites Mal verkaufen zu lassen.«

»Könntest du denn nicht einfach allein fortgehen? Du scheinst mir dazu imstande.«

»Ich kann noch viel mehr schaffen, wenn es darauf ankommen sollte, Heiler. Das ist der Grund, weshalb du mich brauchst. Wenn du dir dein Pferd wieder holst — und ich bezweifle, daß du das ohne meine Hilfe fertigbringst —, werden die Fahrensleute dir nachjagen. Da du auf jeden Fall verfolgt werden wirst, ist es für dich keine zusätzliche Belastung, außer dem Pferd auch mich mitzunehmen — insbesondere, da ich die Fahrensleute so gut kenne, daß ich dir die nötigen Kniffe verraten kann, ihnen zu entkommen.«

Wil zuckte die Schultern.

»Ich habe natürlich daran gedacht, allein fortzugehen. Wenn ich keine andere Wahl hätte, würde ich es auch tun. Es wäre immer noch besser als verkauft zu werden. Aber wohin sollte ich gehen? Fahrensleute sind nirgends willkommen, und ich bin nun mal eine von ihnen, ob es mir gefällt oder nicht. Auf mich selbst gestellt mußte ich das Leben einer Ausgestoßenen führen, und das wäre sicherlich nicht angenehm. Mit dir aber würde ich bei den anderen Rassen Aufnahme finden; du bist ein Heiler und genießt Achtung. Ich könnte sogar mit dir reisen. Ich könnte dir bei der Behandlung der Kranken zur Hand gehen. Du würdest schon sehen, daß ich —«

»Eretria«, unterbrach Wil sanft. »Es ist sinnlos, das zu erörtern. Ich kann dich nicht mitnehmen. Ich kann niemanden außer Amberle mitnehmen.«

Ihr Gesicht verdunkelte sich.

»Nicht so hastig, Heiler. Deine Verachtung für mich —«

»Mit Verachtung hat das nichts zu tun«, fiel er ihr ins Wort, während er überlegte, wieviel er ihr sagen konnte. Nicht sehr viel, das war ihm schnell klar. »Hör mir zu, Eretria. Es wäre gefährlich für dich, jetzt mit mir zu reisen. Wenn ich von hier verschwinde, wird Cephelon nicht der einzige sein, der mich sucht. Andere haben es auf mich abgesehen, die viel gefährlicher sind als er. Sie suchen auch jetzt in diesem Moment nach meiner Spur. Wenn ich dich mitnähme, wärst du keinen Moment sicher.«

»Aber das Elfenmädchen reist doch mit dir«, beharrte sie.

»Amberle reist mit mir, weil sie muß.«

»Worte! Ich glaube ihnen nicht. Du wirst mich mitnehmen, Wil Ohmsford. Du wirst mich mitnehmen, weil du mußt.«

Er schüttelte den Kopf. »Das kann ich nicht tun.«

Mit einer heftigen Bewegung stand sie auf. Das schöne Gesicht war zornig, in den Augen blitzte eigensinnige Entschlossenheit.

»Du wirst es dir schon noch anders überlegen, Heiler. Der Moment wird kommen, wo dir keine Wahl bleibt.«

Sie machte kehrt und stapfte wütend davon. In einiger Entfernung von ihm blieb sie plötzlich stehen und blickte zurück. Ihre schwarzen Augen sahen ihn eindringlich an, und auf ihrem dunklen Gesicht breitete sich plötzlich dieses wundersame, strahlende Lächeln aus.

»Ich bin dir bestimmt, Wil Ohmsford«, rief sie.

Einen Moment noch hielt sie seinen Blick fest, dann wandte sie sich ab und setzte ihren Weg zurück ins Lager fort. Mit Verwunderung blickte Wil Ohmsford ihr nach.

16

Kurz nach dem Abendessen durchbrach plötzlich ein tiefes, dröhnendes Brüllen die friedliche Stille der Nacht. Die Fahrensleute am Feuer erstarrten. Die erschreckenden Laute kamen vom Südende des Sees, an dem das Lager aufgeschlagen war. Einmal, zweimal, dann wieder Stille. Alle Köpfe flogen herum, alle Gesichter spiegelten ängstliche Erwartung. Augenblicke später erscholl das Gebrüll wieder. Wie wütendes Donnergrollen eines gigantischen Stiers klang es durch die Nacht. Hastig griffen die Fahrensleute nach ihren Waffen und stürzten an den Rand ihres Lagers, um in die Dunkelheit hinauszuspähen. Doch das Brüllen erstarb, und diesmal wurde es nicht wieder laut. Cephelo und mehr als ein Dutzend seiner Männer blieben dennoch abwartend stehen. Als sich jedoch nichts tat, befahl der Führer seinen Leuten barsch, sich wieder ans Feuer zu setzen. Mit lauten Bemerkungen machte er sich über Teufel und andere Ungeheuer lustig, die in der Nacht ihr Unwesen trieben, und behauptete prahlerisch, keines dieser Geschöpfe würde es wagen, in ein Lager der Fahrensleute einzubrechen, ohne vorher um Erlaubnis zu fragen. Die Weinbecher wurden neu gefüllt und machten die Runde. Man trank und plauderte und lachte. Und doch wanderten immer wieder verstohlene Blicke in jene Richtung, aus der das Gebrüll gekommen war. Eine halbe Stunde später dröhnte es wieder durch die Nacht, näher jetzt, noch bedrohlicher als zuvor. Erschreckt sprangen die Fahrensleute auf und packten erneut ihre Waffen, um an den Rand des Lagers zu eilen. Diesmal folgte Wil ihnen. Amberle hielt sich nur einen Schritt hinter ihm, als er an einer Lücke zwischen zwei Wohnwagen halt machte und vorsichtig in die Finsternis hinausblickte. Es war nichts zu sehen. Nichts rührte sich. Etwas zaghaft marschierte Cephelo bis zum Rand des Waldes, der die kleine Lichtung umschloß. Beide Hände lagen auf dem Griff seines wuchtigen Schwerts. Eine Zeitlang blieb er dort am Wald-rand stehen, eine schwarze Silhouette vor dem Hintergrund der Bäume, darauf gefaßt, jeden Moment einen Angriff abwehren zu müssen. Aber nichts rührte sich. Alles blieb still. Schließlich machte er kehrt und schritt wieder zurück. Sein Gesicht war starr.

Jetzt scherzte er nicht mehr. Die Pferde, die an einer schmalen Bucht des Sees angepflockt waren, wurden näher zur Wagenburg gebracht, damit man sie besser im Auge behalten konnte. Rund um die Lichtung wurden Wachposten aufgestellt und ermahnt, die Augen offen zu halten. Alle anderen kehrten ins Lager zurück und ließen sich im anheimelnden Feuerschein nieder. Der Wein wurde wieder herumgereicht, aber diesmal tranken nur wenige. Langsam kam auch das Gespräch wieder in Gang, doch die Stimmen waren gedämpft und ohne Ausgelassenheit, und häufig konnte man das Wort ›Teufel‹vernehmen.