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»Leb wohl, Wil Ohmsford«, sagte sie leise.

Er lächelte schwach. Sie wußte, daß sie ihre Chance, mit ihm zu gehen, verloren hatte. Einen Augenblick lang zögerte er. Sie hatte ihm das Leben gerettet; dafür stand er in ihrer Schuld. Warum sollte er ihr jetzt nicht helfen? Doch er wußte, daß er es nicht konnte. Seine einzige Sorge mußte in diesen Tagen nur Amberle gelten. Davon durfte er sich nicht ablenken lassen, nicht einmal von diesem Mädchen, das ihn so bezauberte. Seine Schuld an sie mußte er ein andermal begleichen.

»Leb wohl, Eretria«, erwiderte er. Ein Funke jenes strahlenden Lächelns blitzte in ihrem Gesicht auf.

»Wir sehen uns wieder«, rief sie, ehe sie davonlief.

Minuten später ritten Wil und Amberle auf Artaq in nördlicher Richtung aus dem Lager hinaus und verschwanden in der Nacht.

17

Knapp eine Stunde vor Sonnenaufgang erreichten sie das Südufer des Mermidon mehrere Meilen stromabwärts von der Stelle, wo der Fluß aus den Wäldern des Westlands auftauchte, um seinen Lauf weiter durch Callahorn zu nehmen. Fast die ganze Nacht waren sie in gleichmäßigem Trab in nördlicher Richtung durch das grüne Flachland geritten, um den Tirfing so weit wie möglich hinter sich zu lassen. Nur einmal hatten sie kurz gerastet, um zu trinken und die verkrampften Muskeln zu lockern, dann waren sie wieder aufgesessen. Als sie schließlich an das Flußufer gelangten, waren Pferd und Reiter der Erschöpfung nahe. Wil Ohmsford konnte nirgends eine Furt oder Untiefen entdecken, die ein Durchqueren des Flusses ermöglicht hätten. Breit und tief wälzte sich der Mermidon durch das Land, und den beiden jungen Leuten wurde bald klar, daß sie ihn entweder würden durchschwimmen oder seinem Lauf so lange folgen müssen, bis sie eine Furt fanden. Solange es noch dunkel war, wollten sie weder das eine noch das andere versuchen, und Wil fand, es sei das beste, bis Tagesanbruch Rast zu machen. Er führte also Artaq in einen Hain von Balsampappeln, nahm ihm dort den Sattel ab und band ihn fest und bereitete schließlich für Amberle und sich selbst Decken im Gras aus. Im Schutz der dichtbelaubten Bäume schliefen sie schnell ein.

Es war beinahe Mittag, als Wil erwachte. Die Wärme des Sommertags strömte von einem klaren, sonnenhellen Himmel durch das Laub der Balsampappeln herab. Behutsam berührte Wil das Elfenmädchen, und es erwachte. Sie standen auf, wuschen sich, aßen ein wenig und nahmen ihre Reise nach Arborlon wieder auf.

Mehrere Meilen ritten sie stromaufwärts fast bis zum Rand der Westland-Wälder, fanden aber keine seichte Stelle, die ihnen eine sichere Durchquerung; des Flusses ermöglicht hätte. Weil sie nicht noch mehr Zeit darauf verwenden wollten, umzukehren und stromabwärts zu reiten, beschlossen sie, das Wagnis einzugehen und den Fluß zu durchschwimmen. Nachdem sie ihre wenigen Habseligkeiten an Artaqs Hals festgeschnallt hatten, banden sie sich selbst mit einem Strick an seinem Sattel fest, führten den mächtigen Rappen zum Wasser hinunter und sprangen hinein. Das Wasser war kalt, und die Kälte benahm ihnen einen Moment lang den Atem. Ein paar Minuten lang schlugen sie wild um sich, um gegen die eisige Kälte und den Sog der Strömung anzukämpfen, dann aber fanden sie einen gleichmäßigen Rhythmus, während ihre Hände fest das Sicherheitsseil faßten. Artaq schwamm kraftvoll und ruhig. Obwohl die Strömung sie beinahe eine halbe Meile flußabwärts trieb, erreichten sie wohlbehalten das gegenüberliegende Ufer.

Von dort aus ritten sie in gemächlichem Tempo weiter nach Norden, wanderten beträchtliche Strecken zu Fuß neben Artaq her, um ihn zu schonen. Wil glaubte, daß sie sich nun weit genug vom Tirfing entfernt hatten, um eventuelle Verfolger zu verwirren, und er sah keinen Grund, den Rappen noch länger zu ermüden. Der lange Ritt der vergangenen Nacht hatte das tapfere Pferd eine Menge Kraft gekostet, und es brauchte jetzt Gelegenheit, wieder zu Kräften zu kommen. Wenn es diese Gelegenheit nicht bekam, würde es später zu erschöpft sein — und Wil hielt es durchaus für möglich, daß sie seine Kraft und Stärke noch dringend brauchen würden, ehe sie endlich Arborlon erreichten. Im übrigen würden sie selbst in diesem ruhigen Tempo das Rhenn-Tal spätestens am folgenden Morgen erreichen. Und das genügte, so sagte er sich. Wenn sie erst einmal so weit waren, dann waren sie in Sicherheit.

Möglich, daß Amberle eine andere Meinung hatte, doch sie behielt sie für sich. Jetzt, nachdem sie den Fahrensleuten entkommen waren, zeigte sie sich merklich besserer Stimmung. Sie sang und summte vor sich hin, während sie marschierten, und blieb häufig stehen, um sich zu Blumen und Pflanzen hinunterzubeugen, die auf den grünen Matten der Ebene wuchsen. Mit Wil sprach sie wenig. Sie antwortete ihm freundlich, wenn er sie ansprach, und lächelte geduldig, wenn er ihr Fragen über das Pflanzenleben stellte, das sie so fesselnd fand. Die meiste Zeit jedoch blieb sie ihm gegenüber zurückhaltend und unzugänglich, lehnte es ab, sich in ein allgemeines Gespräch verwickeln zu lassen. Sie verkroch sich hinter den Mauern jener geheimen Eigenwelt, in die sie sich geflüchtet hatte, seit sie diese Wanderung aufgenommen hatten.

Im Laufe des Tages ertappte sich Wil immer wieder dabei, daß seine Gedanken zu Eretria wanderten. Er fragte sich, ob sie wirklich, wie sie gedroht hatte, Cephelo und seine Familie verlassen würde, ob er sie in der Tat eines Tages Wiedersehen würde. Das Mädchen besaß eine sprühende Lebendigkeit, die ihn faszinierte. Sie erinnerte ihn an eine flüchtige Vision, wie sie die Sirenen heraufzubeschwören pflegten, die auf dem Schlachtengrund wuchsen — betörend und verlockend, ein Bildnis, das wilde und herrliche Gefühle weckte. Er lächelte über den Vergleich. Unsinnig im Grunde. Sie war aus Fleisch und Blut, sie war kein Bildnis.

Doch wenn er ihr je näherkommen sollte, würde er dann entdecken, daß sie, wie die Sirene, Blendwerk war? Sie hatte etwas an sich, das diesen Verdacht in ihm weckte, und es beunruhigte ihn stark. Er hatte nicht vergessen, wie sie ihr eigenes Leben aufs Spiel gesetzt hatte, um seines zu retten; schrecklich wäre es ihm gewesen, erkennen zu müssen, daß der Edelmut Schein gewesen war.

Als die Nacht hereinbrach, schwenkten sie nach Westen und folgten der Linie des Waldes, der sich nordwärts dehnte zu den Weiten der Streleheim-Ebene. Als die Dunkelheit sie umhüllte, lenkte Wil Artaq in den Wald hinein, und sie folgten einem kleinen Bach durch die Bäume bis zu einem weißschäumenden Wasserfall. Dort schlugen sie ihr Nachtlager auf. Sie fütterten und tränkten Artaq, ehe sie an sich selbst dachten. Da ein Feuer vielleicht zu gefährlich wäre, begnügten sie sich mit einem Mahl aus Früchten und Kräutern, die Amberle im Lauf des Tages gesammelt hatte. Wil war diese Kost fremd, doch sie schmeckte ihm. Mit der Zeit, dachte er, würde er sich vielleicht sogar daran gewöhnen. Er hatte die letzte der merkwürdigen, länglichen orangefarbenen Früchte beinahe verzehrt, als das Elfenmädchen ihn plötzlich mit einem fragenden Blick ansah.

»Macht es dir etwas aus, wenn ich dir eine Frage stelle?« wollte sie wissen.

Er lachte. »Woher soll ich wissen, ob es mir etwas ausmacht, wenn ich gar nicht weiß, was du mich fragen willst?«

»Du brauchst nicht zu antworten, wenn du es nicht willst —aber die Frage geht mir schon im Kopf herum, seit wir gestern abend aus dem Lager der Fahrensleute fortgeritten sind.«

»Dann frag doch.«

Auf der kleinen Lichtung, wo sie saßen, herrschte tiefe Dunkelheit. Das bleiche Licht des Mondes und der Sterne konnte nicht durch das Gewirr dichtbelaubter Äste hindurchdringen. Amberle rückte näher an Wil heran, so daß sie sein Gesicht schwach erkennen konnte.

»Versprichst du mir, ehrlich zu antworten?« Sie sah ihn eindringlich an.