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Als er die Hände wieder vom Gesicht nahm, erblickte er Allanon vor sich. Für einen Augenblick lang traute er seinen Augen nicht, glaubte, die Phantasie spiele ihm einen Streich. Doch als er mit scharfem Blick die Augen zusammenkniff, und das Bild noch immer stehenblieb, sprang er auf.

»Allanon! Ich dachte, ich litte unter Wahnvorstellungen!«

Der Druide trat näher zu ihm, und sie reichten einander die Hände. Ein schwaches Flackern von Unsicherheit zitterte in den Augen des Elfenkönigs.

»Habt Ihr sie gefunden?«

Allanon nickte. »Sie ist hier.«

Eventine wußte nicht, was er darauf sagen sollte. Die beiden Männer blickten einander wortlos an. Manx hob den Kopf und gähnte.

»Ich hätte nicht geglaubt, daß sie je zurückkehren würde«, sagte der König schließlich. Er zögerte. »Wohin habt Ihr sie gebracht?«

»An einen Ort, wo sie beschützt werden kann«, erwiderte Allanon. Er ließ die Hand des Königs los. »Wir haben nicht viel Zeit. Ich möchte, daß Ihr Eure Söhne und diejenigen Eurer Berater zusammenruft, denen Ihr größtes Vertrauen entgegenbringt — jene, denen Ihr die Wahrheit über die Gefahr, die den Elfen droht, mitgeteilt habt. Laßt ihnen ausrichten, sie mögen sich in einer Stunde im Saal des Hohen Rats der Elfen versammeln. Laßt ihnen ausrichten, daß ich mit ihnen sprechen möchte. Sagt sonst keinem Menschen etwas. Sorgt dafür, daß Eure Garde draußen wacht. In einer Stunde. Wir sehen uns dann.«

Er machte kehrt und steuerte wieder auf die offene Fenstertür zu, durch die er eingetreten war.

»Amberle…?« rief Eventine ihm nach.

»In einer Stunde«, wiederholte der Druide. Der Vorhang teilte sich, und Allanon war in der Nacht verschwunden.

Der Ratssaal war ein großer, sechseckiger Raum, aus Stein und Eichenbalken errichtet. Die schweren dunklen Balken der gewölbten Decke liefen in der Mitte des Sechsecks sternförmig zusammen. Eine hohe Flügeltür aus massivem Holz führte in den Saal, der von tiefhängenden, an schwarzen Eisenketten befestigten Öllampen beleuchtet wurde. An einer Wand befand sich das Podium, auf dem der König Platz zu nehmen pflegte. Mehrere Stufen führten zu einem wuchtigen, kunstvoll geschnitzten Eichenthron, zu beiden Seiten von Fahnenstangen flankiert, an denen die Banner der Königshäuser des Elfenreichs herabhingen. An den übrigen Wänden reihten sich in Stufen aufgebaut lange Sitzbänke, von denen man auf ein weites Rund glänzend polierten Steinbodens hinunterblickte, das wie eine Arena von einem niedrigen Eisengitter umschlossen war. Genau in der Mitte des Raumes stand ein großer ovaler Tisch mit einundzwanzig Stühlen, wo die Mitglieder des Hohen Rats der Elfen ihren Platz innehatten. Nur sechs der Stühle waren an diesem Abend besetzt. Auf einem hatte Andor Elessedil Platz genommen. Er sprach kaum mit den fünf anderen, die mit ihm am Tisch saßen. Seine Augen wanderten immer wieder rastlos und ungeduldig zu der geschlossenen Flügeltür am anderen Ende des Saales. Die Gedanken an Amberle beschäftigten seinen Geist. Obwohl sein Vater nicht von dem Mädchen gesprochen hatte, als er ihm von der Rückkehr Allanons berichtet hatte, war Andor überzeugt, daß es dem Druiden gelungen war, sie nach Arborlon zurückzubringen; sonst wäre diese Ratssitzung nicht in solcher Eile einberufen worden. Ebenso überzeugt war er, daß Allanon die Absicht hatte, Amberle vor den Hohen Rat zu bringen, um die Ratsmitglieder zu bitten, ihr die Suche nach dem Blutfeuer zu übertragen. Er war nicht sicher, wie die Ratsmitglieder darauf reagieren würden. Wenn der König sich dafür entschied, als erster zur Bitte des Druiden Stellung zu nehmen und sie seiner Unterstützung zu versichern, dann würden die anderen sich wahrscheinlich stillschweigend seinen Wünschen fügen — fest damit rechnen konnte man allerdings nicht angesichts der heftigen Emotionen, die Amberles Verhalten bei den Elfen ausgelöst hatte. Aber er glaubte ohnehin nicht, daß sein Vater das tun würde. Er würde sich vielmehr zuerst die Meinung der Männer anhören, die er im Rat zusammengerufen hatte, und dann entscheiden.

Andor streifte mit einem kurzen Blick seinen Vater. Wozu, fragte er sich plötzlich, würde er selbst raten? Er würde aufgefordert werden, seine Meinung zu sagen, wie aber konnte er hoffen, objektiv zu sein, wenn es um Amberle ging? Widerstreitende Gefühle stritten miteinander in seiner Brust. Liebe und Enttäuschung vermischten sich. Vielleicht, dachte er, war es am besten, wenn er schwieg. Vielleicht war es am besten, wenn er sich einfach dem Urteil der anderen anschloß.

Sein Blick glitt über die verschiedenen Gesichter. Abgesehen von Dardan und Rhoe, die draußen vor der Flügeltür Wache standen, war niemand sonst von dieser Sitzung unterrichtet worden. Es waren noch andere da, an die sein Vater sich hätte wenden können — gute, zuverlässige Männer. Doch er hatte sich für diese entschieden. Eine ausgewogene Wahl, dachte Andor bei sich, während er sich den Charakter jedes einzelnen vor Augen hielt. Aber welches Urteil würden sie fällen, wenn sie hörten, worum es ging?

Arion Elessedil saß zur Rechten seines Vaters, auf dem Platz, der dem Kronprinzen des Reiches vorbehalten war. Arions Rat würde der König zuerst suchen, wie er das immer tat, wenn eine wichtige Entscheidung anstand. Arion war die Stütze seines Vaters, und der alte Mann liebte ihn von ganzem Herzen. Seine Anwesenheit allein vermittelte Eventine ein Gefühl der Sicherheit, das er — Andor — ihm niemals geben konnte, mochte er sich noch so sehr bemühen. Doch Arion mangelte es an Mitgefühl, und es gab Zeiten, da zeigte er eine Starrköpfigkeit, die alle gesunde Einsicht verdrängte. Es war schwer vorherzusagen, wie er im Hinblick auf Amberle reagieren würde. Früher einmal hatte er sie geliebt, die einzige Tochter seines Bruders Aine. Doch das lag lange zurück. Mit dem Tod des Bruders hatten seine Gefühle sich gewandelt — hatten sich noch tiefer gewandelt mit Amberles Verrat an ihrer Aufgabe als Erwählte. Eine große Bitterkeit wohnte im Herzen des Kronprinzen, und sie hatte ihren Ursprung großenteils in der Kränkung, die Amberle dem König angetan hatte. Es war unmöglich zu sagen, wie tief diese Bitterkeit ging. Sehr tief, dachte Andor, und war beunruhigt.

Auf dem Sessel neben Arion hatte der erste Minister des Königs, Emer Chios, seinen Platz inne. Er war es, der in Abwesenheit des Königs den Vorsitz bei einer Ratsversammlung führte. Er war ein Mann, der es verstand, sich in seiner Rede klar auszudrücken, und man konnte sich darauf verlassen, daß er auch in diesem Fall offen und unmißverständlich seine Meinung äußern würde. Eventine und sein erster Minister waren zwar nicht immer einer Meinung, doch sie hatten große Achtung voreinander, und einer schätzte die Ansichten des anderen. Eventine würde den Worten seines ersten Ministers große Beachtung schenken.

Kael Pindanon, der Befehlshaber des Elfenheeres, war der älteste und engste Freund des Königs. Obwohl zehn Jahre jünger als der König, sah er mindestens um soviel älter aus. Sein Gesicht war so rissig und spröde wie dürres Holz., seine Gestalt so verwittert und knorrig wie ein aller Baum, aber gestählt von ständigem Kampf. Weißes Haar floß ihm über die Schultern herab, und ein gewaltiger, herabhängender Schnauzbart wölbte sich über der schmalen Linie seiner Lippen. Eisenhart und geradlinig in der Verfolgung seiner Ziele, war Pindanon jener unter Eventines Beratern, dessen Reaktionen sich am ehesten voraussagen ließen. Der alte Kämpe war dem König treu ergeben; bei seinen Ratschlägen hatte er stets das Wohl des Königs im Auge. Und so würde es auch in diesem Fall sein, da es um Amberle ging.