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Der letzte Mann am Tisch war kein Mitglied des Hohen Rates. Er war jünger noch als Andor, ein schlanker, dunkelhaariger Elf mit einem wachen Gesicht und begierigen braunen Augen. Er saß neben Pindanon, seinen Sessel ein Stück vom ovalen Tisch abgerückt, stumm, aber voll gespannter Aufmerksamkeit. Zwei Dolche trug er an seinem Gürtel, und ein breites Schwert hing in seiner Scheide von der Rückenlehne des Sessels. Abgesehen von einem kleinen Medaillon mit dem Wappen der Elessedils, das an einer silbernen Halskette auf seiner Brust lag, trug er keinerlei Amtszeichen. Sein Name war Crispin. Er war der Hauptmann der Leibgarde, der Elitetruppe von Elfenjägern, deren einzige Aufgabe der Schutz des Königs war. Seine Anwesenheit bei dieser Ratssitzung war ungewöhnlich; er war kein Mann, bei dem Eventine Elessedil Rat zu suchen pflegte. Aber nun, sagte sich Andor, sein Vater tat eben nicht immer das, was man gemeinhin von ihm erwartete.

Immerhin, eines verband all diese Männer so unterschiedlicher Herkunft, Werdegang und Persönlichkeit: ihre absolute Treue zu dem alten König. Und deshalb vielleicht glaubte Eventine, die Entscheidung vertrauensvoll in ihre Hände legen zu können, wie schwierig auch immer sie sein mochte. Vielleicht aber hatte er sie auch zusammengerufen, weil sie es waren, deren Rat er suchen würde, wenn es notwendig wurde, die Heimat zu verteidigen.

Und dieser Tag war nahe. Auf Schritt und Tritt sahen sie sich mit der Unvermeidlichkeit eines schrecklichen Kampfes zwischen Elfen und Dämonen konfrontiert. Jeden Tag siechte der Ellcrys mehr dahin, da Verfall und Welke sich unerbittlich in seinen Zweigen ausbreiteten und ihm Schönheit und Leben raubten, die Kraft untergruben, die den Bannspruch der Verfemung hielt. Tag für Tag liefen neue Meldungen von fremdartigen, erschreckenden Geschöpfen ein, die, aus Alpträumen und finsteren Phantasien geboren, an den Grenzen des Westlands ihr Unwesen trieben. Soldaten des Elfenreichs patrouillierten in dem Gebiet vom Rhenn-Tal bis zum Sarandanon, von Wirrnismoor bis zum Kershalt, und noch immer wuchs die Zahl dieser Kreaturen. Es war sicher, daß noch viele folgen würden, bis ihre Schar so groß war, daß sie sich zu einem Heer vereinigen und die Elfen mit geballter Kraft angreifen konnten.

Andor stützte die Ellbogen auf den Tisch und drückte die gefalteten Hände an seine Stirn, um seine Augen zu beschatten. Der Ellcrys verfiel so rasch, daß er sich fragte, ob überhaupt noch genug Zeit blieb, um das Blutfeuer zu erreichen, selbst wenn es Allanon gelungen war, Amberle heimzuführen. Zeit! Darauf lief alles hinaus.

Die hohe Flügeltür am anderen Ende des Saales tat sich auf, und sechs Köpfe flogen herum. Groß und ehrfurchtgebietend in seinen schwarzen Gewändern, trat Allanon über die Schwelle. Er wurde von zwei kleineren Gestalten begleitet, die weite Umhänge trugen. Ihre Gesichter waren in der Tiefe fülliger Kapuzen verborgen.

Amberle! dachte Andor sogleich. Eine dieser Gestalten mußte Amberle sein.

Aber wer war der zweite Begleiter?

Ohne ein Wort schritten die drei zum gegenüberliegenden Ende des breiten ovalen Tisches. Dort wartete der Druide, bis seine Begleiter sich gesetzt hatten, dann hob er sein dunkles Gesicht zum König auf.

»Mein König und Herr, Eventine.« Er verneigte sich leicht.

»Allanon«, erwiderte der König. »Ihr seid willkommen.«

»Sind alle versammelt?«

»Ja, alle«, bestätigte Eventine und nannte dann einen nach dem anderen beim Namen. »Bitte sagt jetzt, was Ihr mitzuteilen gekommen seid.«

Allanon trat ein paar Schritte vor. Auf halbem Weg zwischen den Elfen und den beiden verhüllten Gestalten blieb er stehen.

»Nun gut. Ich werde dies alles nur einmal sagen, deshalb, ich bitte Euch, hört mir aufmerksam zu. Schweres Unheil droht dem Volk der Elfen. Der Ellcrys stirbt. Er verfällt rasch, mit jedem Tag schneller. Mit seinem Verfall beginnt auch die Mauer der Verfemung zu bröckeln. Schon ist es den ersten der Dämonen, die Eure Vorväter hinter diese Mauer verbannt haben, gelungen, sich zu befreien und wieder in Eure Welt einzudringen. Bald werden sie alle frei sein, und dann werden sie Euch für immer zu vernichten trachten.«

Der Druide trat noch einen Schritt vor.

»Tut das nicht als unglaubwürdige Schwarzseherei ab, Ihr Herren Räte. Noch kennt Ihr nicht, wie ich, das Ausmaß des Hasses, der diese Geschöpfe antreibt. Nur einer Handvoll von ihnen bin ich begegnet, einigen wenigen, denen es bereits gelungen ist, die Mauer der Verfemung zu überwinden, doch die zeigten mir in aller Deutlichkeit die ganze Gewalt des Hasses, der in jedem einzelnen von ihnen brennt. Alles vernichtend ist dieser Haß. Er verleiht ihnen Kräfte, größer als jene, die sie besaßen, als Ihr sie von der Erde verbanntet. Ich glaube nicht, daß Ihr in der Lage sein werdet, diesen Kräften standzuhalten.«

»Ihr kennt das Heer der Elfen nicht!« Pindanons Miene war finster.

»Befehlshaber.« Eventine sprach leise. Der alte Soldat drehte sich sofort um. »Wir wollen ihn doch zu Ende hören.«

Pindanon lehnte sich wieder zurück, mühsam unterdrückter Zorn stand in seinem Gesicht.

»Der Ellcrys ist Garantie für den Fortbestand Eures Volkes«, fuhr Allanon fort, ohne weiter auf Pindanon zu achten. »Wenn der Ellcrys stirbt, verliert der Bannspruch seine Wirkung. Die Zauberkraft, die ihn und die Mauer der Verfemung geschaffen hat, ist verloren. Es gibt nur eine Möglichkeit, das zu verhindern, nur eine einzige. Gemäß der Überlieferung der Elfen und gemäß den Gesetzen der Magie, die ihn zum Leben erweckten, muß der Ellcrys wiedergeboren werden. Es gibt nur einen Weg, eine solche Wiedergeburt herbeizuführen. Ihr kennt ihn. Ein Mitglied aus dem Kreise der Erwählten, die im Dienst des Baumes stehen, muß sein Samenkorn zum Quell allen Lebens bringen, zum Blutfeuer der Erde. Dort muß der Keim in das Feuer eingetaucht, und dann dort, wo der Mutterbaum wächst, an die Erde zurückgegeben werden. Nur dann wird es neues Leben für den Ellcrys geben. Nur dann wird die Mauer der Verfemung wiedererstehen, und die Dämonen werden wieder von der Erde verbannt sein.

Männer von Arborlon! Vor zwei Wochen, nachdem ich entdeckt hatte, daß der Ellcrys dem Tode nahe ist, kam ich zu Eventine Elessedil, ihm meine Hilfe anzubieten. Ich kam nicht rechtzeitig. Die Wirkung des Bannspruchs hatte bereits angefangen nachzulassen, einigen der Dämonen, die hinter der Mauer eingeschlossen waren, war der Ausbruch schon gelungen. Ehe ich es verhindern konnte, hatten sie die Erwählten ermordet, im Schlaf getötet, alle, die sie antrafen.

Dennoch sagte ich dem König, daß ich versuchen würde, den Elfen in zweierlei Hinsicht zu helfen. Zunächst wollte ich nach Paranor reisen, zur Burg der Druiden, und dort in den Geschichtsbüchern meiner Vorgänger forschen, um dem Geheimnis des Wortes ›Sichermal‹auf die Spur zu kommen. Dies habe ich getan. Ich weiß jetzt, wo das Blutfeuer zu finden ist.«

Er schwieg, und sein Blick wanderte über die Gesichter der Männer, die ihm gebannt lauschten.

»Ich versprach dem König außerdem, jene zu suchen, die das Samenkorn des Ellcrys zum Blutfeuer bringen könnten, denn ich war überzeugt, daß es einen solchen Erwählten noch gab. Auch dies habe ich getan. Ich habe ihn mit mir nach Arborlon gebracht.«

Andor blickte voll gespannter Erwartung auf Allanon, während die Männer am Tisch murmelnd ihre Ungläubigkeit kundtaten. Allanon drehte sich um und winkte die kleinere der beiden verhüllten Gestalten zu sich.

»Tritt vor.«

Zaghaft erhob sich die dunkle Gestalt und ging auf Allanon zu.

»Nimm deine Kapuze ab.«

Wieder zögerte die vermummte Gestalt. Ungeduldig beugten die Versammelten sich vor — alle außer Eventine, der kerzengerade in seinem Sessel saß und mit beiden Händen die geschnitzten Armlehnen umklammerte.