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»Nimm deine Kapuze ab«, wiederholte Allanon freundlich.

Diesmal gehorchte die vermummte Gestalt. Schmale braune Hände kamen unter dem Faltenwurf des Gewandes hervor und schoben die Kapuze zurück. Amberles meergrüne Augen blickten voll banger Unsicherheit auf Eventine Elessedil. Es war totenstill im Saal.

Dann sprang Arion auf, kreidebleich vor Zorn.

»Nein! Nein, Druide! Bringt sie hinaus! Bringt sie dorthin zurück, wo Ihr sie gefunden habt!«

Auch Andor sprang auf, Bestürzung im Gesicht über die Worte seines Bruders, doch sein Vater faßte ihn am Arm und zog ihn auf seinen Sessel zurück. Zornige Bemerkungen flogen hin und her, doch die Worte gingen im Gewirr der Stimmen unter.

Mit einer gebieterischen Bewegung hob Eventine die Hand, und es wurde wieder still im Saal.

»Wir werden Allanon zu Ende anhören«, erklärte er mit Entschiedenheit, und Arion sank wieder auf seinen Sessel nieder.

Der Druide nickte. »Euch alle möchte ich bitten, eines zu bedenken: Nur ein Erwählter, der im Dienst steht, kann den Keim des Ellcrys zum Blutfeuer tragen. Zu Beginn des Dienstjahres waren es sieben. Sechs sind tot. Amberle Elessedil ist Eure letzte Hoffnung.«

Wieder sprang Arion auf.

»Sie ist keine Hoffnung! Sie ist längst keine Erwählte mehr!«

Die Stimme des Elfenprinzen klang hart und bitter. Kael Pindanon nickte zustimmend, Unwillen auf den verwitterten Zügen.

Wieder trat Allanon einen Schritt vor.

»Ihr bezweifelt, daß sie noch immer zum Kreis der Erwählten gehört?« Ein schwaches, spöttisches Lächeln flog über seine Lippen. »Dann wißt, daß sie selbst es ebenfalls bezweifelt. Aber ich habe ihr gesagt, und ich habe ihrem Großvater gesagt, und ich sage jetzt Euch, weder ihre noch Eure persönlichen Gefühle in dieser Sache sind für die Wahrheit dessen, was sie ist, von Bedeutung. Sie sind völlig ohne Belang. Enkelin des Königs oder Ausgestoßene ihres Volkes — was spielt das für eine Rolle, Elfenprinz? Eure Sorge sollte dem Überleben Eures Volkes gelten — Eures eigenen Volkes und der Völker anderer Länder, denn diese Gefahr bedroht auch sie. Wenn Amberle ihnen und Euch helfen kann, dann muß das, was geschehen ist, vergessen sein.«

Arion ließ sich nicht beschwichtigen.

»Ich werde es aber nicht vergessen. Niemals werde ich es vergessen!«

»Was verlangt Ihr denn von uns?« unterbrach Emer Chios eilig, und Arion setzte sich wieder nieder.

Alanon wandte sich dem Ersten Minister zu.

»Nur dies: Weder Ihr noch ich noch Amberle selbst besitzen das Recht, darüber zu entscheiden, ob sie noch eine Erwählte ist oder nicht. Der Ellcrys allein hat dieses Recht, denn der Ellcrys war es, der sie zur Erwählten erkor. Wir müssen daher den Baum befragen. Laßt Amberle vor den Ellcrys treten; laßt den Ellcrys darüber entscheiden, ob er sie annehmen oder zurückweisen will. Wenn sie als Erwählte angenommen wird, dann wird sie sein Samenkorn bekommen und aufbrechen und das Blutfeuer suchen.«

»Und wenn sie zurückgewiesen wird?«

»Dann können wir nur hoffen, daß Kael Pindanons Vertrauen in das Elfen-Heer berechtigt ist.«

Wieder erhob sich Arion, ohne auf den warnenden Blick seines Vaters zu achten.

»Ihr verlangt zuviel von uns, Druide. Ihr verlangt von uns, daß wir einer Frau Vertrauen schenken, die sich dieses Vertrauens bereits als unwürdig erwiesen hat.«

Allanons Stimme war ruhig.

»Ich verlange, daß Ihr dem Ellcrys Euer Vertrauen schenkt, so wie Ihr das Jahrhunderte hindurch getan habt. Laßt ihn entscheiden.«

Arion schüttelte den Kopf.

»Nein, ich spüre, daß Ihr hier Euer Spiel mit uns treibt, Druide. Der Baum spricht zu niemandem; er wird auch nicht mit diesem Mädchen sprechen.« Sein zorniger Blick wanderte zu Amberle hinüber. »Wenn ihr an unserem Vertrauen liegt, so soll sie uns doch erklären, warum sie Arborlon verlassen hat. Soll sie uns doch erklären, warum sie sich und ihre Familie in Schande stürzte.«

Allanon schien sich die Forderung einen Moment lang durch den Kopf gehen zu lassen. Schließlich blickte er auf das Elfenmädchen hinunter, das neben ihm stand. Amberles Gesicht schimmerte bleich.

»Es war nicht meine Absicht, irgend jemanden in Schande zu stürzen«, sagte sie still. »Ich tat, was ich tun mußte.«

»Du hast Schande über uns gebracht!« schrie Arion heftig. »Du bist die Tochter meines Bruders, und ich habe meinen Bruder sehr geliebt. Ich möchte gern verstehen, was du getan hast, aber ich kann es nicht. Mit deinem Handeln hast du Schmach und Schande über deine Familie gebracht — über uns alle. Schmach und Schande über das Andenken deines Vaters. Kein Erwählter hat jemals die Ehre zurückgewiesen, als bedeutete sie nichts!«

Amberle war wie erstarrt.

»Ich war nicht zur Erwählten bestimmt, Arion. Es war ein Irrtum. Ich habe mich bemüht, wie die anderen zu dienen, aber ich konnte es nicht. Ich weiß, daß es von mir erwartet wurde, aber ich — ich konnte es nicht.«

»Du konntest es nicht?« Arion näherte sich ihr mit drohender Gebärde. »Warum nicht? Ich möchte wissen, warum nicht! Jetzt hast du Gelegenheit, dich zu erklären — tu es!«

»Ich kann nicht!« erwiderte sie tonlos. »Ich kann nicht. Ich könnte es dir nicht begreiflich machen, selbst wenn ich es wünschte, selbst wenn ich —« Flehend sah sie Allanon an. »Warum habt Ihr mich hierher zurückgebracht, Druide? Das ist doch sinnlos. Ich bin hier nicht gelitten. Ich habe nicht den Wunsch hier zu sein. Ich habe Angst, versteht Ihr? Laßt uns nach Hause zurückkehren.«

»Du bist zu Hause«, entgegnete der Druide sanft, eine Traurigkeit in der Stimme, die vorher nicht dann mitgeschwungen hatte. Er blickte zu Arion hinüber. »Deine Fragen haben weder Sinn noch Zweck, Elfenprinz. Denke doch einmal nach über den Zweck dieser Fragen! Denke nach über ihre Quelle. Schmerz weicht Bitterkeit, Bitterkeit weicht Zorn. Reist man zu weit auf dieser Straße, dann verirrt man sich für immer.«

Er verstummte, und seine dunklen Augen richteten sich auf die Männer am Tisch.

»Ich will nicht behaupten, daß ich verstehe, was dieses Mädchen veranlaßte, ihr Volk zu verlassen. Ich will nicht behaupten, daß ich verstehe, was sie veranlaßte, ein Leben zu wählen, das so ganz anders war als jenes, das sie in Arborlon erwartete. Es ist nicht an mir, über sie zu richten, und es ist auch nicht an Euch. Was geschehen ist, ist abgeschlossen. Sie hat Mut und Entschlossenheit gezeigt, indem sie die Reise zurück nach Arborlon auf sich nahm. Die Dämonen haben von ihrer Existenz erfahren; sie haben sie verfolgt und gejagt. Sie machen noch immer Jagd auf sie. Sie hat Mühsal und Gefahr auf sich genommen, um nach Arborlon zurückzukehren. Soll das alles vergebens gewesen sein?«

Als Allanon von Gefahr sprach, flackerte Erschrecken in Eventines Augen auf. Andor erkannte es; es blitzte auf und erlosch wieder.

»Ihr hättet das Mädchen vor den Ellcrys führen können, ohne uns zu befragen«, bemerkte Emer Chios plötzlich. »Warum habt Ihr das nicht getan?«

»Amberle wünschte nicht, nach Arborlon zurückzukehren«, antwortete Allanon. »Sie kam zurück, weil ich sie davon überzeugte, daß es notwendig ist, daß sie ihrem Volk helfen muß, wenn sie es vermag. Nicht heimlich und verstohlen sollte sie hierher zurückkehren, sondern ganz offen. Und wenn sie vor den Ellcrys treten soll, dann mit Eurer Zustimmung.«

Er legte Amberle den Arm um die schmalen Schultern. Sie blickte zu ihm auf. Überraschung spiegelte sich in ihrem kindlichen Gesicht.

»Ihr müßt Euch entscheiden.« Die Miene des Druiden war unbewegt. »Wer von Euch ist bereit, sich an ihre Seite zu stellen, Ihr Herren Räte?«

Wieder legte sich Totenstille über den Saal. Wortlos starrten die Elfen und der Druide einander an, und ihre Blicke bohrten sich ineinander. Die zweite vermummte Gestalt saß ruhelos am anderen Ende des Tisches. Die Zeit verrann. Keiner der Räte erhob sich.

Dann spürte Andor Elessedil plötzlich, daß Allanon ihm direkt in die Augen sah. Ein unsichtbares Band spannte sich zwischen ihnen, beinahe wie ein Band des Verständnisses. Und in demselben Augenblick wußte Andor, was er zu tun hatte.