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Langsam richtete er sich auf.

»Andor!« hörte er seinen Bruder rufen.

Er warf rasch einen Blick auf Arions dunkles Gesicht, sah die Warnung in den harten Augen, wandte sich wieder ab. Wortlos ging erum den Tisch herum zu Amberle. Ängstlich blickte sie zu ihm auf, einem scheuen Waldtier gleich, das zu sofortiger Flucht bereit ist. Behutsam legte er seine Hände auf ihre Schultern und beugte sich nieder, um ihre Stirn zu küssen. In ihren Augen schimmerten Tränen, als sie ihn umarmte.

Emer Chios erhob sich.

»Ich sehe keine Schwierigkeit, mich hier zu entscheiden, meine Herren«, wandte er sich an die anderen. »Die Möglichkeiten, die sich uns bieten, sollten wir nutzen.«

Damit trat er zu Andor und Amberle.

Crispin blickte Eventine flüchtig an. Der König saß noch immer wie gelähmt, und seine Miene war ohne Ausdruck, als er dem Blick des Hauptmanns begegnete. Crispin stand auf und trat neben Andor.

Der Rat war zu gleichen Teilen gespalten. Drei seiner Mitglieder standen bei Amberle; drei blieben am Tisch sitzen. Eventine sah Arion an. Der Kronprinz der Elfen begegnete dem Blick seines Vaters, richtete dann seine Augen voll Bitterkeit auf Andor.

»Ich bin nicht der Narr, der mein Bruder ist. Ich sage nein.«

Der König wandte sich an Pindanon. Das Gesicht des alten Kämpen war hart.

»Ich setze mein Vertrauen in das Elfenheer, nicht in dieses Kind.« Dann schien er zu zögern. »Sie ist Euer Fleisch und Blut. Ich werde mit Euch stimmen, mein König.«

Alle Augen waren jetzt auf Eventine gerichtet. Einen Moment lang schien er nicht gehört zu haben. Reglos starrte er auf die glänzende Tischplatte, und auf seinen Zügen lag ein Ausdruck von Traurigkeit und Resignation. Langsam glitten seine Hände über das schimmernde Holz, schlossen sich dann fest ineinander.

Er stand auf.

»Dann ist es beschlossen. Amberle soll vor den Ellcrys treten. Damit ist die Sitzung beendet.«

Arion Elessedil sprang auf, warf einen vernichtenden Blick auf Andor und stakte ohne ein Wort aus dem Saal.

Im verhüllenden Schatten seiner Kapuze sah Wil Ohmsford den Schmerz und die Ungläubigkeit, die sich in Andor Elessedils Augen spiegelten, als dieser seinem Bruder nachblickte. Eine Kluft hatte sich zwischen den beiden Brüdern geöffnet, die sich so schnell nicht wieder schließen würde. Plötzlich traf der Blick des Elfenprinzen den seinen, und verlegen senkte er die Lider.

Allanon nahm wieder das Wort, teilte den Zurückgebliebenen mit, daß Amberle ein bis zwei Tage brauche, um sich von den Strapazen der langen Reise zu erholen, bevor sie vor den Ellcrys treten könne. Sobald das geschehen war, würden sie wieder zusammenkommen.

Wil stand auf, den Umhang noch immer fest um sich gezogen, da Allanon ihn ermahnt hatte, sich nicht zu erkennen zu geben. Rasch leerte sich der Saal, und Wil trat nun hinüber zu Amberle. Er sah, wie Andor Elessedil sich noch einmal nach ihnen umdrehte, zögerte, dann den anderen nach draußen folgte. Allanon hatte Eventine beiseitegenommen und sprach mit gesenkter Stimme auf ihn ein. Es erweckte den Eindruck, als gäbe es zwischen ihnen eine Meinungsverschiedenheit. Mit einem widerwilligen Nicken schritt schließlich auch der Elfenkönig aus dem Saal. Wil und Amberle blieben mit dem Druiden allein zurück.

Allanon winkte ihnen.

»Folgt mir.«

Rasch führte er sie aus dem Ratssaal den Gang hinunter, bis sie wieder im kühlen Dunkel der Vorhalle standen. Dort hielt der Druide inne, lauschte, wandte sich dann ihnen zu.

»Amberle.« Er wartete, bis ihre Augen ihn ansahen. »Ich möchte, daß du heute abend den Ellcrys aufsuchst.«

Überraschung und Verwirrung spiegelten sich auf dem Gesicht des Elfenmädchens.

»Warum?« fragte sie erstaunt und schüttelte dann hastig den Kopf. »Nein. Nein, das geht mir zu schnell! Ich brauche Zeit, um mich auf dieses Zusammentreffen vorzubereiten. Außerdem habt Ihr soeben meinem Vater und den anderen erklärt, ich würde erst in ein oder zwei Tagen zu dem Baum gehen.«

Allanon nickte ungeduldig. »Eine kleine, aber notwendige Täuschung.

Darf ich fragen, welcher Art die Vorbereitungen sind, die du noch treffen willst? Es handelt sich doch hier nicht um eine Erprobung deiner Fähigkeiten oder deiner Ausdauer; Vorbereitung hilft dir hier nicht. Entweder bist du noch eine Erwählte im Dienste des Baumes, oder du bist es nicht mehr.«

»Ich bin müde, Druide!« Sie war jetzt zornig. »Ich bin müde und ich will schlafen. Ich kann jetzt nicht zu dem Baum gehen.«

»Du mußt.« Er schwieg einen Augenblick. »Ich weiß, daß du müde bist; ich weiß, daß du Schlaf brauchst. Doch das muß warten. Zuerst mußt du zu dem Baum gehen — jetzt!«

Sie erstarrte bei seinen Worten, und in ihren Augen flackerte der Ausdruck eines gehetzten Tieres. Dann begann sie zu weinen. Es war, als wolle all das, was geschehen war — das unerwartete Auftauchen des Druiden in ihrem Häuschen, die Nachricht vom Sterben des Ellcrys und vom Tod der Erwählten, die Erkenntnis, die beängstigende Flucht nach Norden, die Konfrontation mit dem Hohen Rat und ihrem Großvater und jetzt dies — als wolle dies alles sie mit einem Schlag überwältigen. All ihre Schutzmauern schienen einzustürzen. Klein und hilflos stand sie vor ihnen und schluchzte herzzerreißend. Als Allanon sie trösten wollte, fuhr sie scheu zurück, wandte sich von ihnen beiden ab. Wil Ohmsford starrte ihr hilflos nach.

Schließlich hörte sie auf zu weinen. Als sie sprach, das Gesicht noch immer abgewandt, war ihre Stimme nur ein Flüstern.

»Ist es wirklich notwendig, Allanon — wirklich und wahrhaftig notwendig —, daß ich noch heute abend zu dem Baum gehe?«

Der Druide nickte. »Ja, Elfenmädchen.«

Es folgte ein langes Schweigen.

»Dann werde ich es tun.«

Ruhig und gefaßt kehrte sie zu ihnen zurück. Ohne ein Wort führte Allanon die beiden jungen Leute in die Stadt hinaus.

19

Blaß-silbernes Mondlicht strömte vom Himmel und brachte die Sommernacht zum Leuchten. Süße Düfte stiegen aus der Dunkelheit auf und schwebten in betäubenden Wogen auf dem milden Wind dahin, um sich in den Hecken und Hainen, den Blumenbeeten und Büschen des Gartens des Lebens zu fangen. Das Spiel von Licht und Schatten zauberte seltsam geknüpfte Muster in Schwarzweiß aus den Farben des Gartens. Kleine Lebewesen, die mit dem Einbruch der Nacht erwacht waren, flatterten auf und jäh davon, ohne eine Spur zu hinterlassen. Auf dem kleinen Hügel, der das Heimatland der Elfen überblickte, stand einsam und still der wundersame Baum, der den Namen Ellcrys trug, und erwartete den Tod, der langsam, aber unerbittlich Besitz von ihm ergriff. Schon hatte er dem Baum sein Mal aufgedrückt. Die vollendete Schönheit, die den gesunden Ellcrys ausgezeichnet hatte, war zerstört, die vollkommene Ebenmäßigkeit seiner Gestalt verzerrt. Die silberne Borke hatte sich von Stamm und Ästen gelöst und hing in rissigen Fetzen herab, schwarz und welk. Die blutroten Blätter hatten sich fest eingerollt unter der Einwirkung der Krankheit, und viele lagen dürr und ausgezehrt auf der Erde unter dem Baum, wo raschelnd der Wind mit ihnen spielte. Nackt und kahl wie eine verwitterte Vogelscheuche auf einem Getreidefeld ragte der Baum in den nächtlichen Himmel. Allanon, Wil Ohmsford und Amberle standen am Fuß der Anhöhe und blickten wortlos zu dem Baum hinauf. Lange standen sie still und unbewegt, und nur der Stoff ihrer Gewänder, mit denen der Wind spielte, raschelte. Als Amberle endlich das Wort ergriff, klang ihr Flüstern beinahe heftig in der Stille. »Ach, Allanon, er sieht so traurig aus.« Die hochgewachsene Gestalt des Druiden war wie erstarrt unter den dunklen Gewändern, und sein Gesicht war im Schatten der Kapuze verborgen. Er antwortete nicht auf Amberles Worte. Ein Duft nach Flieder zog an ihnen vorüber und verflüchtigte sich wieder. Amberle wandte den Kopf und sah den Druiden fragend an. »Hat er Schmerzen?«

Kaum merklich bewegte Allanon den Kopf.

»Etwas.«

»Er stirbt wirklich?«

»Sein Leben wird bald erlöschen. Seine Zeit ist beinahe abgelaufen.«