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»Ihr werdet genug der Ruhe pflegen können, wenn ihr erst aus der Stadt heraus seid«, versprach Allanon. »In zwei Tagesreisen solltet ihr spätestens den Vorposten im Drey-Wald erreicht haben; dort könnt ihr den versäumten Schlaf nachholen. Aber ein Aufenthalt in Arborlon ist gefährlich. Je schneller ihr von hier fortgeht, desto besser sind eure Chancen.«

Wil gab es nicht gern zu, doch die Argumente des Druiden entbehrten nicht der Logik. Rasch blickte er zu Amberle hinüber. Diese sah ihn einen Moment lang schweigend an, voll Zorn und Enttäuschung, dann wandte sie sich wieder an Allanon.

»Ich möchte meine Mutter sehen, ehe ich abreise.«

Der Druide schüttelte den Kopf.

»Das ist nicht ratsam, Amberle.«

Ihr Gesicht wurde trotzig.

»Ihr scheint zu glauben, daß Ihr über alles, was ich wünsche, die letzte Entscheidung habt, Druide. Dem ist aber nicht so. Ich möchte meine Mutter sehen.«

»Die Dämonen wissen, wer du bist. Wenn sie auch von deiner Mutter wissen, werden sie erwarten, daß du sie aufsuchst. Auf eine solche Gelegenheit warten sie nur. Das ist äußerst gefährlich.«

»Für mich ist schon das Hiersein gefährlich. Ihr werdet doch wohl einen Weg finden können, der es mir ermöglicht, meine Mutter zu sehen, und sei es nur fünf Minuten.« Sie senkte die Lider. »Und kommt mir jetzt ja nicht damit, daß ich sie sehen kann, wenn ich wieder zurück bin.«

Eine Weile unerquicklicher Stille folgte auf diese Worte. Allanons dunkles Gesicht verschloß sich plötzlich, als hätte er Angst, er könne etwas preisgeben, was besser verborgen blieb. Wil entging die Veränderung nicht, und sie machte ihn neugierig.

»Wie du wünschst«, meinte der Druide schließlich. Er stand auf. »Jetzt müßt ihr schlafen. Gehen wir also.«

Eventine erhob sich ebenfalls und trat zu seiner Enkelin.

»Es tut mir leid, daß Arion im Hohen Rat so harte Worte gebrauchte«, sagte er. Es schien, als wolle er noch etwas sagen, doch dann schüttelte er den Kopf. »Ich denke, mit der Zeit wird er verstehen wie ich…« Verlegen hielt er inne. Dann legte er seine Arme um Amberle und küßte ihre Wangen. »Wenn ich nicht so alt wäre —«, begann er in tiefer Bewegung.

Amberle legte ihre Finger auf seinen Mund und schüttelte den Kopf.

»Du bist nicht so alt, daß du nicht sehen kannst, daß dein Platz hier ist, wo du am dringendsten gebraucht wirst.« Sie lächelte, und in ihren Augen standen Tränen, als sie ihn küßte.

Etwas verlegen trat Wil vom Tisch weg und ging leise zu dem schlafenden Manx. Der alte Wolfshund hörte ihn kommen und blickte blinzelnd zu ihm auf. Impulsiv beugte sich Wil nieder, um den Hund zu streicheln, doch der stieß ein tiefes, kaum hörbares Knurren der Warnung aus. Wil fuhr zurück. Unfreundlicher Köter, dachte er bei sich.

Er kehrte zu den anderen zurück. Eventine schüttelte ihm die Hand und wünschte ihm Glück. Dann folgte Wil Seite an Seite mit Amberle dem Druiden zur hohen Fenstertür, und die drei traten wieder in die Nacht hinaus.

21

Der Druide führte sie zu einem kleinen Haus am Nordrand der Stadt, das inmitten einer Ansiedlung ähnlich gebauter Häuser an einem bewaldeten Hang stand. Durch nichts unterschied es sich von seinen Nachbarn, und dies, vermutete Wil, war wohl gerade der Grund, weshalb es als Unterkunft für sie ausgesucht worden war. Niemand erwartete sie, als sie eintraten, doch das Häuschen war behaglich eingerichtet und offensichtlich bewohnt. Allanon ließ sich nicht darüber aus, was aus seinen Bewohnern geworden war. Er ging in das Haus hinein, als sei es sein eigenes, entzündete in der Wohnstube mehrere Öllampen und schloß dann vor sämtlichen Fenstern sorgfältig die Vorhänge. Während Wil und Amberle sich an einen kleinen, mit frischen Blumen geschmückten Tisch setzten, machte er eine prüfende Runde durch das Haus, um dann mit Brot, Käse, Früchten und einem Krug Wasser zurückzukehren. Sie aßen schweigend. Wil langte kräftig zu, trotz der späten Stunde, Amberle jedoch brachte kaum einen Bissen hinunter. Nach diesem Nachtmahl führte Allanon das Elfenmädchen in ein kleines Gästezimmer im hinteren Teil des Hauses. Das Fenster hinter den zugezogenen Vorhängen war vergittert und durch Holzläden gesichert. Der Druide überprüfte gewissenhaft den Riegel, dann nickte er zufrieden. Ohne ein Wort trat Amberle an das Bett. Sie war so todmüde, daß sie sich nicht einmal auskleidete. Sie schlüpfte nur aus ihren Stiefeln und ließ sich dann auf das weiche Lager fallen. Beinahe augenblicklich war sie eingeschlafen. Allanon breitete eine leichte Decke über ihr aus, dann löschte er das Licht und ging aus dem Zimmer. Wil Ohmsford, der mittlerweile allein in der Wohnstube saß, starrte durch die verhüllten Fenster in die Dunkelheit hinaus. Die Lichter der Stadt blinzelten ihm zu wie Glühwürmchen im Schatten des Waldes. Als der Druide zurückkam, fuhr Wil rastlos herum. »Ich muß mit Euch sprechen, Allanon.« Der große Alte schien nicht verwundert.

»Neue Fragen, Wil Ohmsford?«

»Nicht direkt.« Wil machte ein verlegenes Gesicht.

»Hm. Gut. Aber setzen wir uns doch.«

Wil nickte, und sie ließen sich auf den Stühlen an dem kleinen Tisch nieder, an dem sie gegessen hatten. Wil schien unschlüssig, wie er anfangen sollte. Allanon betrachtete ihn mit ausdrucksloser Miene und wartete.

»Als ich an dem Abend im Tirfing mit den Elfensteinen gegen diesen Dämon kämpfen wollte, da ist etwas in mir vorgegangen, das ich nicht verstehe«, fing Wil schließlich an. »Ich war schon halb und halb entschlossen, Euch das gar nicht zu erzählen, weil ich nicht wollte, daß Ihr glaubt, ich suche nur nach einer Ausrede, um die Reise in den Wildewald nicht antreten zu müssen.«

»Das wäre töricht gewesen.« Allanons Ton war ernst und ruhig. »Erzähle mir, was geschehen ist.«

Wil schien ihn nicht zu hören.

»Ich habe mich nur deshalb entschlossen, mit Euch darüber zu sprechen, weil ich Angst bekam, daß Amberles Sicherheit gefährdet ist, wenn ich Euch nichts sage. Wenn ich sie beschützen soll, kann ich es mir nicht leisten, auf meinen Stolz Rücksicht zu nehmen.«

»Erzähle mir, was geschehen ist«, wiederholte der Druide.

Voller Unbehagen blickte Wil auf.

»Ich will versuchen, es so gut wie möglich zu erklären. Wie ich schon sagte, als der Dämon auf mich zukam und ich die Kraft der Elfensteine freisetzen wollte, da widersetzte sich etwas in meinem Inneren. Es war wie eine Art Sperre, eine Mauer, die sich zwischen mir und den Elfensteinen aufgerichtet hatte, so daß ich nicht zu ihrer helfenden Kraft durchdringen konnte. Ich hielt sie vor mich hin und versuchte, in sie einzudringen, um ihre Kräfte freizusetzen, aber es geschah nichts. Indiesem Augenblick war ich sicher, Eure Überzeugung, ich könnte mich genau wie mein Großvater der Elfensteine bedienen, sei falsch. Ich war sicher, Ihr hättet Euch getäuscht. Ich dachte, ich würde sterben müssen. Aber im letzten Augenblick dann, kurz bevor der Dämon sich auf mich stürzen konnte, schien die Mauer in meinem Inneren plötzlich einzustürzen, und die Kraft der Steine brach hervor und vernichtete das Ungeheuer.«

Er schwieg nachdenklich.

»Seitdem habe ich immer wieder darüber nachgedacht, was in diesem Augenblick eigentlich geschehen ist. Zuerst sagte ich mir, ich hätte wahrscheinlich einfach nicht verstanden, die Kraft der Elfensteine zu gebrauchen; ich meinte, es sei Mangel an Erfahrung oder Unsicherheit die Ursache des inneren Widerstands gewesen. Aber das glaube ich jetzt nicht mehr. Es war etwas anderes. Es war etwas, das mit meinem Wesen zu tun hat.«

Der Druide betrachtete ihn eine ganze Weile, ohne etwas zu sagen. Eine Hand zupfte zerstreut an dem kleinen schwarzen Bart. Schließlich wurde die Hand ruhig, und Allanon beugte sich ein wenig vor.

»Du wirst dich erinnern, daß ich dir sagte, daß den Elfensteinen eine alte Zauberkraft innewohnt, eine Zauberkraft aus jener Zeit, als es den Menschen noch gar nicht gab, aus einer Zeit, als noch die Feenvölker über die Erde herrschten und Zauberei etwas Alltägliches war. Damals gab es viele verschiedene Elfensteine, und sie dienten vielen unterschiedlichen Zwecken. Ihr Anwendungsgebiet war durch ihre Farben gekennzeichnet. Blaue Elfensteine, so wie du sie in Besitz hast, waren suchende Steine. Wer die blauen Elfensteine besaß, konnte alles finden, was ihm verborgen war, wenn er es nur kräftig wünschte. So könntest du mit ihrer Hilfe beispielsweise das Blutfeuer finden. Andere Elfensteine besaßen andere Eigenarten. Allen aber war eines gemeinsam: Sie boten ihrem Besitzer Schutz vor anderen Zauberkräften und Dingen, die durch Zauberei und Hexerei geschaffen waren. Jedoch der Umfang dieses Schutzes — ja, der Umfang der Kraft der Steine — hing allein von der Charakterstärke des Besitzers ab. Immer gab es diese Steine in einer Dreiheit, und auch das hatte seinen Grund. Jeder Stein symbolisierte einen Aspekt des Besitzers: ein Stein für das Herz, ein Stein für den Körper, ein Stein für den Geist. Damit die Zauberkraft wirken konnte, mußten diese drei Aspekte in Einklang sein — drei individuelle Kräfte, die sich zu einer einzigen vereinigten. Je besser es einem Besitzer gelang, diese drei Kräfte zu bündeln, desto stärker wirkte die Zauberkraft der Steine.«