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Crispin winkte sie vorwärts. Es war ein langer und recht beschwerlicher Abstieg. Die Stufen waren schmal und glitschig vom Regen, so daß man bei jedem Schritt darauf achten mußte, nicht abzurutschen. Ein rauhes, teilweise zerfranstes Seil, das lose von Pfosten zu Pfosten hing, diente als Führung, und Wil und Amberle hielten sich vorsichtig daran fest, während sie Stufe um Stufe abwärts stiegen.

Hunderte von Stufen tiefer erreichten sie wiederum einen Pfad, der in ein Föhrenwäldchen mündete. Irgendwo vor sich konnten sie das träge Glucksen des vom Regen angeschwollenen Flusses hören. Sein Rauschen vermischte sich mit dem tiefen Heulen des Windes, der von den Höhen des Carolan herunterwehte.

Als sich mehrere hundert Schritte weiter der Wald lichtete, sahen sie, daß sie sich am Ufer einer kleinen Bucht befanden, die im Schutz mächtiger alter Trauerweiden und Zedern lag. Hier schaukelte, an einem morschen, langsam verrottenden Steg festgemacht, ein kleines Schiff auf den Wellen. Auf seinem Deck stapelten sich Kisten und Säcke, die mitÖlzeug überdeckt waren.

Crispin gab ein Zeichen zum Anhalten. Die Jäger hinter ihm verschwanden unter den Bäumen wie Gespensterwesen. Er blickte sich aufmerksam um und ließ dann wiederum einen schrillen Pfiff hören. Vom Schiff kam sogleich Antwort, und wenig später ertönte auch von der anderen Seite der Bucht ein Erwiderungspfiff. Crispin nickte Wil und Amberle zu und trat aus dem Schutz des Waldes heraus. Die Köpfe eingezogen, um der Gewalt des Windes zu trotzen, hasteten die drei den Steg entlang. Dumpf klang das Poltern ihrer Stiefel auf dem nassen Holz. Dann sprangen sie an Bord des wartenden Schiffes. Ein Jäger tauchte plötzlich unter dem Ölzeug hervor, zog eilig ein Stück des Tucheszurück, um eine Öffnung zwischen den aufgetürmten Kisten freizugeben. Crispin bedeutete Wil und Amberle einzutreten. Beinahe geräuschlos fieldas Ölzeug hinter ihnen wieder herab.

Drinnen war es warm und trocken. Die Finsternis verwirrte sie anfangs, und sie blieben unsicher stehen, während sie das Schwanken des Schiffes unter ihren Füßen spürten. Doch durch einen Spalt an jener Stelle, wo das Öltuch zum Deck herabfiel, sickerte etwas Licht, und langsam gewöhnten sich ihre Augen an die Dunkelheit. Sie entdeckten, daß man hier inmitten der gestapelten Kisten eine Art Kabine für sie eingerichtet hatte. Nahrungsmittel und Decken lagen an einer Wand bereit, und in einer Ecke warteten Waffen in Lederhüllen. Sie streiften ihre Umhänge ab und breiteten sie auf dem Boden zum Trocknen aus. Dann setzten sie sich nieder und harrten der Dinge, die da kommen sollten.

Wenig später spürten sie, wie das Schiff von dem alten Steg abstieß und sacht auf der Strömung davonglitt. Ihre Reise in den Wildewald hatte begonnen.

Diesen und den folgenden Tag verbrachten sie im Versteck ihrer kleinen Kabine, da Crispin ihnen untersagt hatte, auch nur einen Schritt an Deck zu tun. Es regnete ohne Unterlaß, und Land und Himmel blieben grau und dunstig. Ein gelegentlicher Blick nach draußen zeigte ihnen die Landschaft, durch die diese erste Etappe ihrer Reise sie führte — weite Wälder und sanft gewellte Hügel. Nur einmal zwängten mehrere Stunden lang schroffe Felswände den Singenden Fluß ein, auch sie verhangen im Nebel und Regen, der alles in ein sanftes graues Licht tauchte. Der Fluß, der von den Regenfällen angeschwollen war und auf dessen Wasser abgebrochene Äste und viel anderes Strandgut dahintrieben, schüttelte und rüttelte das kleine Schiff gründlich durch.

Schlaf zu finden war unmöglich. Sie mußten sich mit kurzen Ruhepausen begnügen, aus denen sie unausgeschlafen erwachten. Meist brauchten sie ein paar Augenblicke, ehe sie sich erinnerten, wo sie waren. Muskeln und Gelenke wurden steif und begannen zu schmerzen. Das ständige Schlingern des Schiffes raubte ihnen den Appetit.

Endlos schien die Zeit sich hinzuziehen. Meist waren sie allein miteinander. Nur ab und zu kamen Crispin oder einer der anderen Elfen herein, um sich etwas aufzuwärmen. Wann die Elfen aßen und schliefen, war ein Rätsel; es hatte den Anschein, als seien sie dauernd mit ihrer Arbeit an Bord und mit der Überwachung ihrer beiden Passagiere beschäftigt. Immer stand mindestens ein Elf vor dem Eingang zu der verborgenen kleinen Kabine Wache. Mit der Zeit wurden Wil und Amberle die Namen geläufig, weil sie sie immer wieder im Gespräch hörten. Einige Namen konnten sie auch mit Gesichtern in Verbindung bringen, wie im Fall von Dilph, dem kleinen dunklen Elf mit den verschmitzten Augen und den kräftigen Händen, oder wie bei Katsin, dem grobknochigen Burschen, der kaum je ein Wort sprach. Das waren die, die ab und an in die Kabine kamen. Andere, wie Kian, Rin, Cormac und Ped, blieben gesichtslose Stimmen.

Crispin bekamen sie häufiger als die anderen zu Gesicht. Er schaute nämlich regelmäßig herein, um sich nach ihrem Befinden zu erkundigen und sie über den Fortgang der Reise zu unterrichten. Doch er blieb nie länger als ein paar Minuten, hatte es stets eilig, zu den Leuten zurückzukehren, die seinem Oberbefehl anvertraut waren.

Die Gespräche, die sich mit der Zeit zwischen ihnen entspannen, waren es schließlich, die das Eingesperrtsein, die Monotonie und die Einsamkeit erträglich machten. Sie ergaben sich, dachte Wil, aus einem beiderseitigen Bedürfnis heraus, wenn sie auch mit aller Vorsicht und einiger Verlegenheit begonnen wurden, da sie sich beide noch mit einem starken Gefühl von Unsicherheit gegenüberstanden. Wie es kam, daß Amberle sich aus dem Schneckenhaus herauswagte, in das sie sich seit Anfang ihrer Reise in Havenstead zurückgezogen hatte, wußte Wil nicht zu sagen; doch ihre Haltung schien sich auf erstaunliche Weise zu verändern. Anfangs hatte sie sich nur widerstrebend auf einen Austausch mit Wil eingelassen; jetzt hingegen schien sie ganz versessen darauf, sich mit ihm zu unterhalten, wollte alles über seine Kindheit in Shady Vale hören, als seine Eltern noch am Leben gewesen waren, und über seine späteren Jahre, als er mit seinem Großvater und seinem Großonkel Flick zusammengelebt hatte. Sie wollte wissen, wie es ihm bei den Stors ergangen war, und wie er sich seine Arbeit vorstellte, wenn er Storlock wieder den Rücken kehrte, um als Heilkundiger ins Südland heimzukehren. Ihr Interesse an ihm war echt und tiefgehend, und es entsprang einem inneren Bedürfnis.

Aber nicht nur um ihn drehten sich ihre Gespräche. Sie sprachen auch von ihr, von ihrer Kindheit als Enkelin des Königs der Elfen, von ihrer Jugend als einziges Kind des verstorbenen Sohnes von Eventine. Sie erzählte Wil viel über die Lebensweise der Elfen und ihren unerschütterlichen Glauben, daß man dem Land, das einen genährt hatte, etwas von seinem eigenen Leben zurückgeben müsse. Sie tauschten ihre Vorstellungen darüber aus, wie die verschiedenen Rassen den Bedürfnissen der anderen und den Bedürfnissen der Erde besser gerecht werden könnten. Sie plädierten beide für gegenseitiges Verständnis, Mitgefühl und Liebe, und entdeckten verwundert, daß sie in vielem gleicher Ansicht waren.

Behutsam, Schritt um Schritt, knüpften sie das Band zwischen sich. Absichtlich vermieden sie es, auch nur mit einem Wort den Auftrag zu erwähnen, der ihnen aufgegeben war, und sie sprachen auch nicht von dem schrecklichen Unglück, das das Elfenvolk bedrohte, und von ihrer eigenen Verantwortung dafür, dieses Unglück zu verhindern. Auch des uralten, geheimnisvollen Baumes mit Namen Ellcrys gedachten sie mit keinem Wort. Dazu blieb später noch Zeit; diese Wartezeit konnte nutzbringender verbracht werden. Nicht durch Worte kamen sie zu dieser Auffassung, sondern durch stillschweigendes Einverständnis. Sie wollten offen von der Vergangenheit und von der Zukunft sprechen; von der Gegenwart aber wollten sie nichts sagen.