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Die Gespräche vermittelten ihnen ein Gefühl von Geborgenheit. Draußen fiel unablässig der Regen, und graue Nebelschwaden wallten über das Land, während der Singende Fluß all seine Lieder vergessen zu haben schien und mit mürrischem Gurgeln sich nach Süden ergoß. Eingesperrt in Finsternis, von Wind und Regen bedrängt, ohne Schlaf und ohne Appetit, hätten sie vielleicht schnell Furcht und Zweifeln nachgegeben. Doch die Gespräche gaben ihnen Trost und Kraft, die gemeinsamen Empfindungen und gegenseitigem Verständnis entsprangen. Jedem vermittelte die Gegenwart des anderen ein Gefühl von Sicherheit, verdrängte zumindest teilweise das beängstigende Gefühl, daß ihre Welt im Untergehen begriffen war, und daß sich mit diesem Untergang ihr Leben auf immer verändern würde. Jedem schenkte die Gegenwart des anderen, das Gespräch mit ihm, Hoffnung. Ganz gleich, was in den kommenden Tagen auf sie einstürzen würde, sie würden ihm gemeinsam ins Gesicht blicken. Keiner würde allein stehen müssen.

Irgendwann im Laufe dieser grauen, bleischwer dahinsickernden Stunden geschah Wil Ohmsford etwas Seltsames. Zum erstenmal seit jener Nacht in Storlock, als er sich bereit erklärt hatte, mit Allanon ins Westland zu ziehen, empfand er eine tiefe herzliche Sorge um Amberle Elessedil.

Am späten Nachmittag des zweiten Reisetags erreichten sie den Drey-Wald. Die schweren Regenfälle waren zu dünnem Nieselregen abgeflaut, und die Luft war mit dem Nahen der Nacht plötzlich bitterkalt geworden. Graues Zwielicht hüllte den Wald ein. Aus Westen wälzte sich eine neue dunkle Wand drohender Wolken heran.

Der Drey-Wald überzog mit dichtem Baumbestand eine Kette niedriger Hügel, die vom linken Ufer des Singenden Flusses nach Osten führten zu einem zackigen Kamm schroffer Felsspitzen. Ulmen, Eichen und rauhborkige Hickory-Bäume breiteten ihre ausladenden Äste über einem wirren Geschlinge von Gestrüpp und toten Büschen aus, und der ganze Wald roch modrig und faul. Nur ein paar Dutzend Schritte landeinwärts vom Fluß war nichts mehr als tiefe, undurchdringliche Schwärze. Das feine Rauschen des Regens, der in dünnen Schnüren in die Bäume fiel, war das einzige Geräusch in der Stille.

Die Elfen-Jäger steuerten das Schiff in eine seichte Bucht, wo eine Schlippe vom Ufer herausragte. Die Wellen der Bucht brachen sich an den Pfählen, auf denen sie errichtet war, und spülten über ihre Holzbohlen hinweg. Am Ufer, dicht am Waldrand, stand eine verwitterte Blockhütte, deren Tür und Fenster mit Läden verschlossen waren. Nachdem die Elfen-Jäger das Schiff an den Pfählen festgemacht hatten, sprangen sie an das Ufer.

Crispin holte Wil und Amberle aus ihrer Kabine, nicht ohne sie vorher ermahnt zu haben, ihre Umhänge überzuwerfen und die Kapuzen aufzusetzen. Froh, endlich ihre Glieder wieder strecken zu können, folgten ihm die beiden auf die Schlippe hinaus. Das Wasser des Singenden Flusses leckte an ihren Füßen, und sie eilten rasch ans Ufer.

Dilph trat zu der Blockhütte, öffnete die Tür, blickte sich flüchtig um und zog sich zurück. Mit einem Kopfschütteln sah er Crispin an. Der Hauptmann runzelte die Stirn.

»Ist etwas nicht in Ordnung?« fragte Wil.

Crispin sah ihn nicht an.

»Eine Vorsichtsmaßnahme. Der Hauptstützpunkt ist eine halbe Meile landeinwärts auf der Höhe eines Hügels, wo man rundum das Land überblicken kann. Ich hätte angenommen, daß die Jäger, die dort stationiert sind, uns hätten kommen sehen müssen. Aber vielleicht war das bei diesem Wetter nicht möglich.«

»Und was ist das hier für eine Hütte?« wollte Wil wissen.

»Das ist eines von mehreren Wachhäuschen, die zu dem Stützpunkt gehören. Im allgemeinen ist es besetzt.« Er zuckte die Schultern. »Aber bei dem miesen Wetter hat der Befehlshaber des Stützpunktes vielleicht alle seine Leute zurückgezogen. Er wurde ja von unserem Kommen nicht unterrichtet, hatte daher keinen Grund, uns zu erwarten.« Er richtete den Blick wieder auf den Wald. »Entschuldigt mich einen Augenblick, bitte.«

Er winkte den anderen Elfen, zu ihm zu kommen, und sie steckten in flüsternder Beratung die Köpfe zusammen.

Amberle trat näher zu Wil heran.

»Glaubst du ihm?« wisperte sie.

»Ich weiß nicht recht.«

»Ich vertraue ihm jedenfalls nicht. Vielmehr glaube ich, hier ist etwas nicht in Ordnung.«

Wil antwortete nicht. Schon war die Besprechung beendet. Katsin kehrte zur Landungsschlippe zurück und nahm nahe beim festgemachten Schiff Aufstellung. Cormac und Ped hatten am Waldrand Posten bezogen. Crispin sprach jetzt mit Dilph, und Wil rückte näher heran, um hören zu können, was vor sich ging.

»Erkunde mit Rin und Kian zusammen den Hauptstützpunkt.« Der Hauptmann warf einen Blick zurück über die Schulter auf Wil. »Wenn alles in Ordnung ist, dann gebt uns ein Zeichen.«

Wil faßte einen schnellen Entschluß.

»Ich komme mit«, verkündete er und trat vor.

Crispin verzog das Gesicht.

»Ich sehe keinen Grund dafür.«

Wil gab nicht nach.

»Ich glaube, den kann ich Euch nennen. Nicht nur Ihr, sondern auch ich trage die Verantwortung für Amberles Sicherheit; weil ich sie beschützen soll, hat Allanon mich zum Begleiter für sie bestellt. Wie man sich dieser Pflicht entledigt, ist Ansichtssache, Crispin, ich jedenfalls bin der Ansicht, daß es meine Pflicht ist, mit Dilph zusammen das Terrain zu sondieren.«

Crispin ließ sich das durch den Kopf gehen, dann nickte er.

»Gut, aber Ihr müßt Euch strikt an Dilphs Befehle halten.«

Wil wandte sich wieder Amberle zu.

»In Ordnung?«

Sie nickte und blickte ihm stumm nach, als er den Elfen-Jägern in die Finsternis der Bäume folgte und aus ihrem Blickfeld verschwand.

Wie Geister glitten die vier durch die Schatten der Bäume, und ihr Schritt war lautlos auf dem feuchten Boden. Nebel umwob sie in dichten, wasserschweren Girlanden, und leise und sacht fiel der Regen. Endlose Reihen dunkler Stämme glitten an ihnen vorüber, während sie sich durch dichtes Gestrüpp schlugen, immer aufwärts, steile Hänge hinauf und Hügelrücken entlang. Die Minuten verrannen, und Wil spürte, wie ihm immer unbehaglicher wurde.

Dann trennten sich Kian und Rin von ihnen und verschwanden in den Bäumen. Wil war mit Dilph allein. Eine Lichtung tauchte plötzlich aus den Dämmerschatten auf, und Dilph ging in die Knie, wobei er Wil bedeutete, das gleiche zu tun. Dann wies er in die Bäume hinauf.

»Da!« flüsterte er.

Hoch im verschlungenen Geäst zweier mächtiger Eichen befand sich der Stützpunkt der Elfen. Regen und Nebel verschleierten die Hütten und Gänge, die sie miteinander verbanden. Weder Öllampen noch Fackeln brannten im Inneren. Nichts rührte sich. Kein Laut war zu hören. Es war, als sei der Stützpunkt verlassen.

Doch das durfte nicht sein.

Dilph kroch vorsichtig ein kleines Stück vorwärts, spähte nach links in die Düsternis, bis er Rin erblickte, dann nach rechts, bis er Kian fand. Beide knieten im Schutz der Bäume, jeder etwa fünfzig Schritte von ihnen entfernt, und beobachteten den Stützpunkt, der völlig ohne Leben war. Dilph pfiff leise, um ihre Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Als sie zu ihm herüberblickten, bedeutete er Kian, sich naher heranzuschleichen, während er Rin aussandte, den Umkreis der Lichtung zu erkunden.

Wil sah, wie Kian zum Fuß der Eichen rannte, die den Stützpunkt trugen, wie er die versteckten Stufen in dem gewaltigen Stamm fand und aufwärts zu klettern begann. Dann erhob sich Dilph, und Wil folgte ihm, als er sich, im Schatten der Bäume am Rand der Lichtung bleibend, nach rechts wandte, um mit scharfen Blicken nach einer Spur der verschwundenen Elfen zu suchen. Es war lichtlos und grau im Wald, und durch das Dickicht war kaum etwas zu sehen.

Wil blickte zurück zu dem Stützpunkt. Kian hatte den untersten Unterschlupf fast erreicht, eine niedrige Hütte unmittelbar unterhalb des Haupthauses. Rin war nirgends zu sehen. Wil hielt noch nach ihm Ausschau, als er plötzlich über eine Unebenheit stolperte und bäuchlings über die grauenvoll zerfetzte Leiche eines Elfen-Jägers stürzte. Von Entsetzen gepackt, sprang er auf, während sein Blick schon fieberhaft die Finsternis rundum durchstreifte. Links von ihm lagen noch zwei tote Elfen mit zerschmetterten Knochen und verrenkten Gliedern.