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»Dilph!« flüsterte er rauh.

Sogleich war der Elf neben ihm. Nur einen Moment hielt er inne, das Schreckliche aufzunehmen, dann stürzte er an den Rand der Lichtung und pfiff schrill. Rin tauchte aus dem Wald auf, Bestürzung auf den Zügen. Von der Höhe der Eichen blickte Kian herab. Wie ein Rasender winkte Dilph sie zurück.

Doch da verschwand Kian plötzlich. Es war, als griffe etwas nach ihm und risse ihn in die Finsternis. So plötzlich geschah es, daß der verblüffte Wil den Eindruck hatte, der Elf hätte sich einfach in Luft aufgelöst. Doch da gellte der Schrei durch die Stille, kurz und erstickt. Dann stürzte Kians Körper aus den Bäumen, fiel wie ein abgebrochener Ast durch den Regen und schlug leblos auf den durchweichten Boden auf.

»Lauft!« schrie Dilph und hetzte in den Wald.

Wil war einen schrecklichen Augenblick lang wie gelähmt. Kian war tot. Mit ziemlicher Sicherheit war die gesamte Besatzung des Elfen-Stützpunktes im Drey-Wald ebenfalls tot. Seine Gedanken überschlugen sich in heller Panik — nur einer blieb beherrschend: Wenn er nicht rechtzeitig zu Amberle kam, dann würde auch sie getötet werden. Da lief er los, jagte wie ein gehetztes Reh durch das Dickicht des Waldes, sprang über Büsche und Gestrüpp, nur ein Ziel vor Augen, das Schiff zu erreichen und das arglose Elfenmädchen zu warnen, dessen Leben er beschützen sollte. Irgendwo zu seiner Rechten konnte er Dilph hören, der floh wie er, und weiter zurück Rin. Er wußte instinktiv, daß etwas sie alle verfolgte. Er konnte es nicht sehen und konnte es nicht hören, aber er spürte es, schrecklich und schwarz und erbarmungslos. Regen peitschte ihm ins Gesicht und rann ihm in die Augen, so daß er kaum noch etwas sah, während er krampfhaft versuchte, umgestürzten Baumstämmen und Dornengestrüpp auszuweichen. Einmal stürzte er, raffte sich jedoch gleich wieder auf, hastete weiter, ohne nachzulassen, nur das eine im Sinn, den Abstand zwischen sich und dem unsichtbaren Verfolger zu vergrößern. Die Brust wollte ihm schier bersten vor Anstrengung, und seine Beine schmerzten. Selten in seinem Leben hatte er Angst gehabt, jetzt aber trieb ihn Todesangst an.

Rins Schrei zerriß gellend die Stille. Das Ungeheuer hatte ihn eingeholt. Wil biß die Zähne zusammen. Vielleicht waren die Elfen am Schiff jetzt gewarnt. Vielleicht würden sie gleich ablegen, so daß wenigstens Amberle entkommen würde, selbst wenn er wie Rin eingeholt werden sollte.

Äste und Zweige hielten ihn fest wie zupackende Hände. Er suchte Dilph, doch der Elf war nicht mehr zu sehen. Allein rannte er weiter.

Rasch senkte sich der Abend über den Drey-Wald, und der graue Nachmittag wurde zur Nacht. Der Nieselregen, der den ganzen Tag in stetiger Monotonie niedergegangen war, wurde plötzlich zum strömenden Guß, und der Wind begann in stürmischen Böen zu tosen, als eine neue Zusammenballung schwarzer Gewitterwolken sich über den Himmel schob. Die Elfen-Jäger und das Mädchen, das ihrer Obhut anvertraut war, zogen die wärmenden Umhänge fester um sich.

Dann drang aus den Tiefen des Waldes der Schrei, hoch und dünn, so flüchtig, daß er im Toben des Windes beinahe untergegangen wäre. Einen Moment lang standen alle wie versteinert und starrten auf die finstere Mauer der Bäume. Dann brüllte Crispin mit scharfer Stimme Befehle, schickte Amberle aufs Schiff, in die Verborgenheit der kleinen Kabine, rief Ped und Cormac zu sich. Mit gezogenen Waffen wichen die drei Jäger bis zum Ende des Stegs zurück, während sie mit durchdringenden Blicken das von Nebeln durchzogene Gewirr des Waldes absuchten. Katsin, der aufs Schiff zurückbeordert worden war, machte die Taue los und wartete nur auf den Befehl abzulegen.

Amberle hockte zusammengekauert in der Dunkelheit der Kabine und lauschte dem Prasseln des Regens und dem Heulen des Windes. Dann sprang sie auf, schlug die Klappe vor der Kabinenöffnung zur Seite und trat wieder an Deck hinaus. Gleichgültig, was für Folgen es hatte, sie konnte sich nicht in dieser Kabine verkriechen, ohne zu wissen, was um sie herum vorging. An den aufgetürmten Kisten entlang tastete sie sich zum Steg. Katsin, die Schiffstaue fest in den Händen, aber bereit, sie jederzeit loszulassen, warf ihr einen strengen Blick zu, doch Amberle achtete nicht auf ihn. Am Ufer, mehrere Schritte vom Steg entfernt, standen mit gezogenen Waffen die übrigen Jäger. Das Metall ihrer Schwertklingen schimmerte matt im Regen.

Plötzlich brach keine fünfzig Schritte flußabwärts eine keuchende Gestalt aus dem Wald hervor, stolperte und stürzte der Länge nach hin. Als die Gestalt sich wieder aufgerappelt hatte, sahen sie, daß es Dilph war.

»Weg!« schrie er warnend. »Schnell, weg hier!«

Er rannte zu ihnen hin, stürzte wieder.

Doch Crispin war schon in Aktion. Mit einem gebieterischen Wort sandte er Ped und Cormac aufs Schiff, während er dem geschwächten Dilph zu Hilfe eilte. In vollem Lauf beinahe riß er den Elf vom Boden in seine Arme, schwang ihn über seine Schulter und war schon auf dem Rückweg zum wartenden Schiff.

Amberle spähte durch Dunst und Regen in die Bäume. Wo war Wil Ohmsford? »Ablegen«, brüllte Crispin.

Katsin ließ die Taue fahren und stieß Amberle dann hastig aufs Schiff, wo Ped und Cormac schon warteten. Eine Sekunde später war auch Crispin mit Dilph an Bord, und das schwere Fahrzeug begann davonzugleiten.

Da tauchte plötzlich Wil Ohmsford auf, sprang wie ein gehetztes Wild aus dem Dunkel des Waldes und hielt auf den Steg zu. Amberle sah ihn, wollte rufen, erstarrte. Im Schatten der Bäume hinter dem fliehenden Talbewohner bewegte sich ein riesiges Wesen, das ihn verfolgte.

»Gib acht!« rief sie warnend.

Von ihrem Ruf angespornt, gewann Wil den Steg mit einem einzigen großen Sprung raste, ohne innezuhalten, die Holzbohlen hinunter und schnellte sich ab, um mit einem gewaltigen Satz das davontreibende Schiff noch zu erreichen. Nur mit einem ausgestreckten Fuß berührte er das Deck und wäre ins Wasser gestürzt, hätten nicht die Elfen-Jäger ihn gepackt und hochgezogen.

Das Schiff glitt ins offene Wasser des Singenden Flusses hinaus, und die Fahrt wurde schneller. Erschöpft sank Wil zu Boden, und Amberle streifte rasch ihren Umhang ab und hüllte Wil fest darin ein. Neben ihnen beugte sich Crispin über Dilph. Der Wind und das Rauschen des Flusses zerfetzten seine Worte.

»… tot — alle… zerschmetterte Glieder… wie die Leute von dem Spähtrupp in Arborlon, wie die Erwählten.« Mit weit geöffnetem Mund schnappte er nach Luft. »Kian auch — und Rin. Beide tot… der Dämon hat sie eingeholt… er erwartete uns…«

Das übrige hörte Amberle nicht mehr. Ihr Blick traf sich mit dem Wils. Mit schrecklicher Gewißheit erkannten sie beide die Wahrheit.

Der Dämon hatte sie erwartet.

Allanon hatte ihm einen Namen gegeben. Er hatte ihn den Raffer genannt.

23

Es war Mitternacht, als Crispin das Schiff wieder anlegen ließ. Unmittelbar unterhalb vom Drey-Wald schwenkte der Singende Fluß auf seinem langen, gewundenen Weg zum Innisbore-See nach Westen. Als die Elfen das Schiff in einen schmalen, von dichtem Wald umgebenen Seitenarm steuerten, befanden sie sich am nördlichsten Zipfel des Wirrnismoors, Meilen von dem Punkt entfernt, wo sie ursprünglich beabsichtigt hatten, den Fluß zu verlassen. Die prasselnden Wolkenbrüche waren wieder zu einem feinen Sprühregen verebbt, der wie ein zarter Dunstschleier in der kühlen Luft hing. Dicke Wolkenmassen verdunkelten Mond und Sterne, und die Nacht war so schwarz, daß selbst die Elfen nicht weiter als ein Dutzend Schritte sehen konnten. Der Wind hatte sich völlig gelegt, und feiner Nebel hatte sich über das ganze Land gesenkt.

Die Elfen-Jäger fuhren das Schiff auf einer flachen Sandbank am oberen Ende des stillen Wassers auf Grund, zogen es mit vereinten Kräften ganz aus dem Fluß und machten es fest. So lautlos wie Katzen erkundeten sie dann das Gelände in einem Umkreis von mehreren hundert Schritten und kehrten nach einer Weile zu Crispin zurück, um ihm zu melden, daß sie nichts Bedrohliches entdeckt hatten. Der Hauptmann der Elfen-Jäger war der Meinung, es sei sinnlos, in dieser Finsternis zu versuchen, die Reise fortzusetzen, und befahl Wil und Amberle, bis zum Morgen in ihrer Kabine zu bleiben. In warme Decken gehüllt, zum erstenmal seit zwei Tagen vom Stampfen und Schlingern des Schiffes erlöst, fielen die beiden augenblicklich in tiefen Schlaf. Die Elfen bewachten in Schichten das Schiff und seine schlafenden Passagiere, und Crispin machte es sich neben der Kabinenöffnung so bequem wie möglich.