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Bei Tagesanbruch verstaute die kleine Truppe Proviant und Waffen und löste dann die Vertäuung des Schiffes, so daß der Fluß es forttragen konnte. Es trieb rasch davon, und Wil und Amberle brachen mit den Elfen-Jägern zu ihrem Marsch durch das Wirrnismoor auf.

Das Moor war eine sumpfige Niederung, von Gestrüpp und verkrüppeltem Buschwerk überwuchert, von stillen, schlammigen Tümpeln überzogen. Es spaltete die weiten Wälder des Westlands von den Ufern des Singenden Flusses bis zur gewaltigen Felswand des Steinkamm-Gebirges, eine unwegsame Wildnis, in die nur wenige Menschen sich hineinwagten. Jene, die das Wagnis dennoch auf sich nahmen, liefen ständig Gefahr, sich in den nebelumwallten Sümpfen und dem verwilderten Buschland zu verirren. Schlimmer noch, sie mußten mit unliebsamen Begegnungen mit den unleidlichen Bewohnern des Moors rechnen, bösartigen, hinterhältigen Geschöpfen, die bei der Wahl ihrer Opfer keine Unterschiede machten.

»Wenn es eine andere Möglichkeit gäbe, hätten wir diesen Weg gewiß nicht gewählt«, sagte Crispin zu Wil, als er einen Augenblick nach hinten kam, um seine Gedanken mit dem Talbewohner auszutauschen. »Wenn alles wie geplant verlaufen wäre, wären wir vom Stützpunkt aus mit Pferden am westlichen Rand des Wirrnismoors entlang zum Mermidon geritten, und dann weiter nach Westen in den Steinkamm. Aber die Geschehnisse im Drey-Wald haben das unmöglich gemacht. Jetzt darf sich unsere Sorge nicht darauf beschränken, was vor uns liegen mag, sondern muß auch die Frage einschließen, was uns noch bevorsteht. Der einzige Vorteil dieses Marsches durch das Moor liegt darin, daß man hier unsere Spur nicht finden wird.«

Wil schüttelte zweifelnd den Kopf.

»Ein Ungeheuer wie der Raffer gibt sicher nicht so leicht auf.«

»Nein, er wird uns weiter jagen«, stimmte der Elf zu. »Aber ein zweites Mal wird er uns nicht so aus heiterem Himmel überraschen. Er erwartete uns im Drey-Wald, weil er wußte, daß wir kommen. Ich weiß nicht, woher er seine Kenntnis hatte, aber er wußte es.« Er warf einen Blick auf Wil, doch der hüllte sich in Schweigen. »Auf jeden Fall weiß er nicht, wo wir uns jetzt befinden. Wenn er uns wieder aufstöbern will, muß er erst unsere Spur finden. Das wäre ihm vielleicht ganz leicht möglich gewesen, wenn wir in den Wäldern geblieben wären; hier aber wird es ihm schwerfallen. Zuerst muß er nämlich einmal herausbekommen, wo wir den Fluß verlassen haben; das allein könnte ihn Tage kosten. Dann muß er uns ins Moor folgen, nur wird er da keine Anhaltspunkte finden. Die Sümpfe verschlucken jede Spur innerhalb von Sekunden. Und wir haben den Vorteil, daß wir Katsin bei uns haben, der in dieser Gegend aufgewachsen ist und das Moor schon früher durchquert hat. Der Dämon hingegen, mag er noch so große Kräfte besitzen, befindet sich auf fremdem Gebiet. Er muß sich ausschließlich auf seinen Instinkt verlassen. Damit sind wir ganz entschieden im Vorteil.«

Wil Ohmsford konnte dem Hauptmann nicht beipflichten. Allanon hatte geglaubt, die Dämonen würden seine Spur nicht finden, als er nach Paranor geritten war. Doch sie hatten sie aufgenommen. Wil hatte geglaubt, sie würden ihn und Amberle nicht wiederfinden, nachdem der König vom Silberfluß sie zu den Gestaden des Regenbogen-Sees gebracht hatte. Doch sie hatten sie gefunden. Warum sollte es diesmal anders sein? Die Dämonen waren Geschöpfe eines anderen Zeitalters; ihre Kräfte waren die Kräfte eines anderen Zeitalters. Allanon selbst hatte das gesagt. Und er hatte auch gesagt, daß der, welcher die Dämonen führte, ein Zauberer war. Konnte es für diese Wesen so schwierig sein, eine Handvoll Elfen-Jäger, ein junges Mädchen und einen jungen Talbewohner aufzustöbern?

Wil seufzte. Das waren Überlegungen, die zu nichts führten, denn es war ja nichts zu ändern. Crispin hatte schon die richtige Entscheidung getroffen. Die Elfen-Jäger waren fähige junge Männer; vielleicht würden sie ihre Schutzbefohlenen sicher und wohlbehalten ans Ziel bringen.

Viel mehr Sorge machte Wil eine andere Möglichkeit, und seit der Begegnung mit dem Raffer im Drey-Wald war ihm die Sache nicht aus dem Kopf gegangen. Der Raffer hatte gewußt, daß sie zu diesem Elfen-Stützpunkt kommen würden. Er mußte es gewußt haben, denn er hatte ihnen ja aufgelauert. In dieser Hinsicht hatte Crispin recht. Aber nur auf eine Weise konnte der Dämon von ihren Plänen erfahren haben — durch den Spion, der sich im Lager der Elfen verbarg, durch eben jenen Spion, den zu täuschen Allanon sich solche Mühe gegeben hatte. Und wenn die Dämonen von ihrem Vorhaben gewußt hatten, im Drey-Wald Station zu machen, was wußten sie dann noch alles über diese Reise? Es war durchaus möglich, sagte sich Wil, daß ihnen alles bekannt war.

Das war eine beängstigende Möglichkeit, mit der er sich am liebsten nicht näher befaßt hätte, die aber bei genauerer Betrachtung der Umstände immer greifbarer wurde. Allanon war sicher gewesen, daß sich im Lager der Elfen ein Spitzel verbarg. Irgendwie war es diesem Spitzel gelungen, ihr Gespräch in Eventines Studierzimmer zu belauschen. Wil konnte sich nicht vorstellen, wie er das zuwege gebracht haben sollte, doch es war ihm gelungen, soviel stand fest. Man hatte über den geplanten Aufenthalt im Drey-Wald gesprochen; daher der Raffer. Aber man hatte auch vom Wildewald gesprochen, und das hieß, daß die Dämonen genau wußten, wohin Wil und Amberle vom Drey-Wald aus zu reisen gedachten; und wenn die Dämonen das wußten, dann konnte die kleine Truppe noch so geheime Wege wählen und noch so schlaue Täuschungsmanöver anwenden, um die Verfolger abzuschütteln, sie würden im Wildewald doch von den Dämonen erwartet werden.

Diese Vorstellung quälte Wil Ohmsford den ganzen Tag über, während die kleine Truppe beherzt durch die sumpfigen Niederungen des Moors marschierte. Dorniges Gestrüpp zerrte bei jedem Schritt an ihren Kleidern, weiße Nebel umhüllten sie mit Kälte und Feuchtigkeit, die ihnen in alle Glieder kroch, Schlamm und brackiges Wasser sickerten durch die Nähte ihrer Stiefel und raubten ihnen mit ihrem üblen Geruch den Atem. Sie marschierten einzeln, wechselten kaum ein Wort miteinander, während sie scharf durch dünnen Sprühregen und wogenden Nebel spähten, die das ganze Land mit einem eintönigen grauen Vorhang verschleierten.

Als die Nacht hereinbrach, waren sie todmüde und erschöpft. Im Schutz einiger dürrer Büsche am Fuß eines niedrigen Hügels schlugen sie ihr Lager auf. Ein Feuer zu machen, wäre zu gefährlich gewesen; sie wickelten sich deshalb fest in Decken, die klamm waren von der Kälte und Feuchtigkeit des Moors.

Die Elfen-Jäger hatten ihr Mahl rasch beendet und teilten nun die Nachtwachen ein. Wil hatte eben den letzten Bissen Dörrfleisch mit einem Schluck Wasser hinuntergespült, als Amberle zu ihm kam und sich neben ihn niedersetzte. Ihr kindliches Gesicht blickte aus den Falten der Decke zu ihm auf, die sie sich über den Kopf gezogen hatte. Ein paar lockige Strähnen ihres kastanienbraunen Haares fielen ihr in die Augen.

»Wie fühlst du dich?« fragte er.

»Es geht mir gut.« Sie sah aus wie ein Kind, das nicht weiß, wohin es gehört. »Aber ich muß unbedingt mit dir reden.«

»Ja?«

»Ich hab’ den ganzen Tag über etwas nachgedacht.«

Er nickte stumm.

»Der Raffer hat uns im Drey-Wald erwartet«, sagte sie leise. »Ist dir klar, was das heißt?«

Er antwortete nicht. Er wußte, was sie als nächstes fragen würde. Es war, als hätte sie seine Gedanken gelesen.