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Wil Ohmsford erhaschte nur einen flüchtigen Blick auf das massige Ungeheuer. Dann packte er Amberles Hand und zog das Elfenmädchen hinter sich her, während er hinter Ped und Cormac durch den Nebel hetzte. Hinter sich hörte er das Keuchen von Katsin, Dilph und Crispin und riskierte einen hastigen Blick zurück, um zu sehen, ob das Ungeheuer sie verfolgte. Genau in diesem Moment verfing sich sein Fuß in einer losen Wurzel, und er stürzte zu Boden.

Der Sturz, bei dem er Amberle mit sich zog, rettete ihnen das Leben. Aus dem wallenden Nebel nämlich stieß jetzt das gewaltige Ungeheuer empor und schob sein weit aufgerissenes Maul über die schmale Brücke wie einen Kescher. Angstschreie kamen von Ped und Cormac, als das Monstrum sie packte und in den See riß. Der massige Leib sank erneut ins Wasser und verschwand.

Wil war wie versteinert vor Entsetzen, während er dort, wo das Ungeheuer verschwunden war, in den Nebel spähte. Dann sprang Crispin zu ihnen hin, zog Amberle hoch und schwang sie sich über die Schulter, um mit ihr das sichere Ufer zu erreichen. Katsin hievte Wil über seine Schulter, ehe der noch ans Aufstehen dachte, und jagte Crispin nach. Dilph folgte als letzter mit gezogenem Schwert.

Sekunden später stolperten sie durch Dickicht und Gestrüpp und ließen sich schließlich weit vom Ufer entfernt auf die schlammige Erde niederfallen. Keuchend vor Anstrengung lauschten sie. Aber sie vernahmen nichts. Sie wurden nicht verfolgt. Das Ungeheuer hatte sich zurückgezogen.

Doch jetzt waren ihrer nur noch fünf.

24

Mit zarten Schleiern grauen Zwielichts glitt die Nacht über das Westland, und der kühle Hauch des Abends ließ sich in den Wäldern nieder. Die Wolken, die beinahe sieben Tage lang den sommerlichen Himmel verhüllt hatten, öffneten sich, so daß im verblassenden Sonnenlicht schmale Streifen von Blau aufleuchteten. Im Westen färbte sich der Horizont zu einem glühenden Scharlachrot, und der Widerschein des strahlenden Lichts fiel sanft über die regennassen Wälder. Aus den Nebelschleiern, die das Wirrnismoor verdunkelten, tauchten jene fünf auf, die von dem kleinen Trupp, der in Arborlon aufgebrochen war, noch übrig waren. Wie verlorene Seelen, die der Unterwelt entkommen sind, glitten sie ins Licht. Abgespannt und erschöpft waren sie, ihre Gesichter und Hände voller Schwielen und Kratzer, ihre Kleider schmutzverkrustet und zerfetzt. Sie sahen aus wie zerlumpte Bettler. Nur ihre Waffen verrieten, daß sie etwas anderes waren. Schwerfällig stapften sie durch den letzten schlammigen Graben, an den letzten dornigen Büschen vorüber, kletterten mühsam zu einer kleinen Anhöhe hinauf und machten schließlich schweratmend vor den Zwillingstürmen des Pykon halt. Es war ein ehrfurchtgebietender, großartiger Anblick. Zu beiden Seiten des breiten Mermidon, der sich glitzernd zum ostwärts gelegenen Grasland von Callahorn wand, erhoben sich in majestätischer Würde die beiden gewaltigen Felsspitzen des Pykon, der ein natürliches Tor zu der weitläufigen, buckeligen Bergkette bildete, die die Elfen den Steinkamm nannten. Einsam und unzugänglich ragten die beiden Felstürme in den Himmel hinein, schweigenden Wächtern gleich, die das Land zu ihren Füßen behüteten. Ihre Felswände waren von Rissen und Wülsten gezeichnet wie das Gesicht eines Greises von den Linien des Alters. Am Nordfuß des Berges leuchtete grün ein Fichtenwald, der sich nach oben hin lichtete, immer dünner wurde, bis schließlich nur noch vereinzelte Krüppelkiefern blieben und wilde Blumen, die dem dunklen Fels farbenfrohe Glanzlichter aufsetzten. Noch weiter oben funkelten Schnee und Eis. In aller Eile hielt Crispin eine Beratung ab. Auf ihrem Marsch durch die Wildnis des Wirrnismoores waren sie weiter nach Osten geraten, als in seiner Absicht gelegen hatte, so daß sie nun hier, am Pykon, angelangt waren, statt wie geplant an den Ausläufern des Steinkamms. Das Naheliegende wäre nun gewesen, den Pykon zu umgehen und am Mermidon flußaufwärts zu marschieren bis zum Steinkamm. Doch sie hätten diesen langen Marsch zu Fuß unternehmen müssen und mindestens zwei weitere Tage gebraucht, um die Strecke zu bewältigen. Außerdem — und das war ein wesentlicher Gesichtspunkt — hätten sie eine leicht zu verfolgende Spur hinterlassen.

Der Hauptmann der Elfen-Jäger meinte, er hätte eine bessere Möglichkeit zu bieten. Tief im Inneren des Pykon, eine gewaltige Felsspalte in der näher liegenden Spitze überbrückend, stand eine Festung der Elfen, die seit dem Zweiten Krieg leer und verlassen lag. Crispin war vor drei Jahren einmal dort gewesen, und wenn er sie wiederfinden konnte, dann konnte er ihnen auch die Wege zeigen, die von der trutzigen alten Burg durch die Felswüste des Berges abwärts führten zum Mermidon. Am Fluß gab es einen Schiffsanlegeplatz und vielleicht auch ein Boot; wenn nicht, so war auf jeden Fall Holz genug da, um eines zu bauen. Der Mermidon floß von dieser Stelle aus anfangs noch ein Stück nach Osten, ehe er abschwenkte und südwärts zum Steinkamm strebte. Wenn sie sich des Flusses bedienten und von seinen Wassern tragen ließen, konnten sie die Reise in der Hälfte der Zeit bewältigen, die sie zu Fuß brauchen würden — an einem Tag also etwa. Und, fügte Crispin hinzu, es gab noch einen anderen Grund, diesen Weg einzuschlagen. Der Fluß würde alle Spuren auslöschen.

Dieses letzte Argument bestimmte ihre Entscheidung. Keiner hatte die Begegnung mit dem Raffer im Drey-Wald vergessen. Es war anzunehmen, daß der Dämon noch immer nach ihnen suchte, und sie wollten alles tun, um ihm die Suche zu erschweren. Sie waren sich schnell einig darüber, daß es am besten wäre, den von Crispin vorgeschlagenen Weg zu gehen.

Ohne weitere Zeit zu verlieren, nahmen sie den Aufstieg zum Pykon in Angriff. Den Fichtenwald am Fuß des Berges hatten sie schnell durchquert und erreichten die unteren Hänge, als die Nachmittagssonne hinter dem bewaldeten Horizont unterging. Die Nacht senkte sich über das Land, und im Osten ging mit sanftem Glanz der Mond auf. Sterne funkelten am tiefen Blau des Himmels und erhellten den Weg der fünf Wanderer, die stetig aufwärts stiegen. Es war eine stille, friedliche Nacht, von süßen Düften erfüllt, die ein milder Südwind aus den Wäldern mitbrachte. Sie fanden einen breiten, viel begangenen Trampelpfad, der sich zwischen Felsbrocken hindurchwand und an zerklüfteten Abgründen vorüberführte, während er sich im Schatten des Berges aufwärts schlängelte. Die Wälder dahinter versanken allmählich in der Tiefe, und sie konnten weit auf das dunkle Wirrnismoor hinaussehen, das sich wüst und öde nach Norden dehnte bis zur feinen Linie des Singenden Flusses.

Es war fast Mitternacht, als endlich die Elfenfestung in Sicht kam. Das massige alte Kastell war tief in eine gewaltige Felsspalte hineingebaut, mit seinen Zinnen und Türmen, seinen Schießscharten und Wehrgängen eine eindrucksvolle Silhouette vor dem mondhellen Felsen des Berges. Eine lange, gewundene Treppe führte den Steilhang hinauf zu einem gähnenden Tor im äußeren Schutzwall der Burg. Die schweren, eisenbeschlagenen Torflügel, die rissig und verwittert in den rostigen Angeln hingen, waren der Nacht geöffnet. Wachtürme kauerten wie vierschrötige Raubtiere auf wuchtigen, aus Steinquadern errichteten Mauern, deren schmale Fensterhöhlen schwarz und leer waren. Eisendornen bewehrten die Brüstungen. Hoch oben im Wald spitzer Türme schlugen Eisenketten, an denen einst die Banner der Elfenkönige befestigt waren, klirrend gegen eiserne Masten. Aus den Tiefen des Berges hoch über der Festung scholl der durchdringende Ruf eines Nachtvogels, schwoll an, bis er vom gellenden Pfeifen des Windes nicht mehr zu unterscheiden war, verlor sich dann in vielfältigem Echo. Die fünf, die von der kleinen Truppe aus Arborlon geblieben waren, kletterten keuchend die Treppe zum Tor der verlassenen Festung hinauf und traten vorsichtig ins Innere. Ein hoher, geschlossener Gang führte zu einer zweiten Mauer. Unkräuter hatten sich durch die Risse in dem Stein gebohrt, der den Gang pflasterte. Dumpf hallten die Schritte der fünf Wanderer durch die Stille. Fledermäuse flatterten mit wild schlagenden Flughäuten aus der Dunkelheit auf. Kleine Nagetiere huschten flink über den brüchigen Stein. Spinnweben hingen in feinen Schleiern von der Decke und hefteten sich in langen bleichen Fäden an die Kleider der Wanderer.