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Wil starrte sie nachdenklich an. War das möglich? Er schüttelte den Kopf.

»Ich weiß nicht. Ich bin mir nicht sicher. Es ging alles so schnell.«

»Dann hör mir zu.« Sie neigte sich zu ihm hinüber, so daß ihr Gesicht dem seinen ganz nahe war. »Akzeptiere nicht so rasch als Wahrheit, was nur Mutmaßung ist. Einmal hast du dich der Elfensteine bedient. Da hast du ihre Kraft heraufbeschworen und sie zu deiner eigenen gemacht. Ich glaube nicht, daß einem eine solche Gabe so leicht verlorengeht. Vielleicht hast du sie nur verschüttet. Nimm dir Zeit, sie zu suchen, ehe du sagst, daß sie dir auf immer genommen sei.«

Voll tiefer Verwunderung blickte er sie an.

»Du hast mehr Vertrauen in mich als ich selbst. Wie seltsam! Auf unserer Reise nach Arborlon hegtest du noch große Zweifel an mir. Erinnerst du dich?«

Sie rückte ein Stück von ihm ab.

»Das war falsch von mir. Ich habe Dinge gesagt, wovon ich besser geschwiegen hätte. Ich hatte Angst…«

Einen Augenblick schien es so, als wolle sie noch mehr sagen; doch wie schon bei anderer Gelegenheit, als es den Anschein hatte, als wolle sie ihre Angst erklären, ließ sie das Thema fallen. Wil war klug genug, sich damit zufriedenzugeben.

»Nun, in einer Hinsicht hast du jedenfalls recht gehabt«, meinte er, bemüht, in leichtem Ton zu sprechen. »Diesen Vortrag hätte ich dir halten sollen. Nicht du mir.«

Eine unbestimmbare Wehmut lag tief in ihren Augen.

»Dann denk daran, das zu tun, wenn du siehst, daß ich es brauche. So, kannst du jetzt schlafen?«

Er nickte. »Ja, ich glaube schon — ein Weilchen wenigstens.«

Sie tauschten den Platz, und er streckte sich auf dem Boden des Kahns aus, seinen zusammengerollten Umhang als Kissen unter dem Kopf. Gedanken an die Elfensteine huschten aufreizend durch seinen Geist. Er schloß die Augen und hüllte solche Gedanken in Schwärze. Glaub an dich selbst, hatte Allanon zu ihm gesagt. Hatte er diesen Glauben? War dieser Glaube stark genug?

Die Gedanken verwirrten sich. Er versank in tiefen Schlaf.

Es war schon später Nachmittag, als Wil erwachte. Mit steifen, schmerzenden Gliedern stemmte er sich von dem harten Boden des Bootes in die Höhe und erhob sich vollends, um Amberle am Ruder abzulösen. Er war hungrig und durstig, doch sie hatten nichts zu essen und nichts zu trinken. Sie hatten alles auf ihrer Flucht durch den Pykon verloren.

Nach einiger Zeit verengte sich der Lauf des Flusses, und die Zweige der Bäume zu beiden Seiten des Ufers schlossen sich wie ein Baldachin über ihnen. Die Schatten auf dem Wasser wurden länger, und im Westen hing die Sonne jetzt schon tief über der Wand des Steinkamm-Gebirges. Ihr goldenes Licht färbte sich mit dem Nahen des Abends zu roter Glut. Eine Folge von Stromschnellen schüttelte das kleine Boot wild hin und her, doch Wil gelang es, die gefährlichen Felsbrocken zu meiden, und er hielt mit eiserner Hand den Kurs, bis sie die gefährlichen Strudel und Untiefen hinter sich gelassen hatten. Als der Fluß auf seiner langen Wanderung nach Callahorn wieder nach Osten schwenkte, steuerte Wil den Kahn an Land, und sie stiegen aus.

Die Nacht verbrachten sie im Schutz einer ausladenden alten Weide, mehrere hundert Schritte vorn Flußufer entfernt. Nachdem sie das Boot im Gebüsch versteckt hatten, sammelten sie Früchte und Kräuter für ein karges Nachtmahl und machten sich auf die Suche nach Trinkwasser. Doch sie fanden nirgends eine Quelle und mußten sich schließlich mit der harten Nahrung begnügen. Bald nach dem Essen schliefen sie ein.

Der Morgen zog hell und freundlich herauf, und Wil und Amberle brachen zeitig auf, um den Marsch zum Steinkamm in Angriff zu nehmen. In zügigem Tempo wanderten sie durch den frühen Morgen, während sie mit herzhaftem Appetit die Früchte verspeisten, die vom vergangenen Abend übrig waren. Die Stunden verflogen rasch. Am späten Vormittag entdeckten sie einen Bach mit einem sprudelnden Wasserfall und stellten fest, daß das Wasser genießbar war. Sie tranken gierig und ausgiebig, doch da sie keinen Behälter hatten, konnten sie nichts mitnehmen.

Der Tag wurde älter, und immer näher rückte hinter der grünen Mauer der Wälder das Steinkamm-Gebirge, eine gewaltige Kette gezackter Spitzen, die sich über den westlichen Horizont dehnte. Nur im Süden, wo das öde, undurchdringliche Totenmoor lag, waren keine Berge. Dort war die Luft von dichten grauen Nebeln verschleiert, die wie Rauchwolken aus dem Moor aufstiegen.

Zum erstenmal, seit sie dem Pykon entronnen waren, machte sich Wil Gedanken darüber, wie ihre Reise weitergehen sollte. Ihr Entschluß, dem Mermidon bis zu den Wäldern am Fuß der Bergkette zu folgen, war durchaus naheliegend gewesen. Jetzt aber, da sie hier waren, fragte er sich, wie sie es je schaffen sollten, diese gigantischen Gipfel zu überwinden. Sie kannten beide dieses Gebiet nicht; sie wußten beide nicht, ob es Pässe gab, die einigermaßen gefahrlos über das Gebirge hinwegführten. Wie sollten sie es jetzt, ohne die Führung der Elfen-Jäger, verhindern, daß sie hoffnungslos in die Irre gingen?

Als die Sonne unterging, standen sie unmittelbar am Fuß des Steinkamms und blickten Tausende von Fuß hinauf zu einem Wald nadelspitzer Felsgipfel, der nirgends eine Lücke zeigte, nirgends einen Durchgang bot. Sie ließen den Wald hinter sich und erklommen die unteren Hänge des unmittelbar vor ihnen sich auftürmenden Berges. Die weiten grünen Matten waren mit leuchtenden blauen Glockenblumen und rotem Tausendgüldenkraut übersät. Die Sonne war beinahe hinter dem Horizont verschwunden, und sie sahen sich nach einem Lagerplatz um. Bald hatten sie einen Bach gefunden, der munter aus den oberen Felshängen herabsprang; an einem kleinen Teich im Schutz einer Gruppe von Föhren ließen sie sich zur Nacht nieder. Wieder gab es nur frische Früchte und Kräuter zum Nachtmahl, doch Wil hungerte nach Fleisch und Brot und aß das, was sie hatten, ohne viel Appetit. Sie wünschten einander gute Nacht, wickelten sich in ihre Umhänge und schlossen die Augen.

Wil überlegte noch immer, wie es ihnen gelingen sollte, das Gebirge zu überwinden, als der Schlaf ihn übermannte.

Als er erwachte und die Augen aufschlug, saß ein Junge neben ihnen im Gras und musterte ihn. Es war früh am Morgen, und die Sonne stieg wie in einem Glorienschein dunstverschleierten, goldenen Lichts aus den fernen Wäldern empor. Auf den weiten, offenen Hängen des Berges, die sich über ihnen dehnten, öffneten sich die Blüten der wilden Blumen, und Tautropfen schimmerten im Gras.

Wil blinzelte überrascht. Im ersten Moment glaubte er, seine Augen spielten ihm einen Streich, und wartete darauf, daß der Junge wieder in den Gefilden seiner Phantasie untertauchen würde. Doch der Junge blieb, wo er war. Mit gekreuzten Beinen hockte er vor Wil im Gras und betrachtete diesen schweigend. Es war also kein Trugbild, sagte sich Wil und richtete sich ein wenig auf.

»Guten Morgen«, sagte er endlich.

»Guten Morgen«, antwortete der Junge feierlich.

Wil rieb sich den Schlaf aus den Augen und nahm sich Zeit, um den Jungen zu mustern. Er war ein Elf, ziemlich groß, mit zerzaustem, sandblondem Haar, das ihm in sein Gesicht fiel. Auf der Nase saßen ein paar Sommersprossen. Der Junge trug eine Hose und ein Wams aus Leder, und um seinen Hals sowie an seinem Gürtel hing eine Vielzahl von Beuteln und Säcken. Er war sehr jung, viel jünger noch als Wil und Amberle.

»Ich wollte Euch nicht wecken«, erklärte der Junge.

Wil nickte. »Du warst sehr leise.«

»Ich weiß. Ich kann mich durch einen Wald schleichen, ohne daß mich jemand hört.«

»Tatsächlich?«

»Ja. Und ich kann mich an einen Fuchsbau heranpirschen, ohne daß der Fuchs was merkt. Das hab’ ich schon einmal gemacht.«