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»Aber ich möchte —«

»Nein, Perk«, unterbrach Amberle ihn rasch. »Das, was wir jetzt tun müssen, ist viel zu gefährlich. Da dürfen wir dich nicht mit hineinziehen. Wil und ich müssen in den Wildewald hinein. Du hast selbst gesagt, daß du dorthin nicht darfst. Darum mußt du uns jetzt verlassen. Vergiß nicht, du hast Wil versprochen zu gehorchen.«

Der Junge nickte enttäuscht.

»Aber ich hab’ keine Angst«, murmelte er.

»Das weiß ich.« Amberle lächelte. »Ich glaube, es gibt kaum etwas, wovor du Angst hast.«

Perks Gesicht hellte sich ein wenig auf bei diesem Kompliment, und ein flüchtiges Lächeln huschte über seine Züge.

»Eines kannst du noch für uns tun.« Wil legte dem Jungen eine Hand auf die Schulter. »Wir wissen nicht sehr viel über den Wildewald. Kannst du uns etwas darüber berichten, was uns da unten erwartet?«

»Ungeheuer«, antwortete der Junge, ohne zu zögern.

»Ungeheuer?«

»Ja, Ungeheuer aller Art. Hexen auch, hat mein Großvater immer gesagt.«

Wil wußte nicht, ob er das glauben sollte. Schließlich lag dem Großvater daran, seinen Enkel von einem Ausflug in den Wildewald abzuschrecken; da hatte er in seinen Warnungen vielleicht übertrieben.

»Hast du schon einmal von einem Ort namens Sichermal gehört?« fragte er, einem Impuls folgend.

Perk schüttelte bedauernd den Kopf.

»Das dachte ich mir.« Wil seufzte. »Ungeheuer und Hexen also, wie? Gibt es Straßen und Wege da unten?«

Der Junge nickte. »Ich zeig’s euch.«

Er führte sie aus den Tannen heraus zu einer kleinen Anhöhe, von wo aus sie ins Tal hinunterblicken konnten.

»Seht ihr das da?« fragte er und wies auf ein wirres Chaos umgestürzter Bäume am Fuß des Hangs. Wil und Amberle blickten seinem ausgestreckten Arm nach. »Auf der anderen Seite dieser Bäume verläuft eine Straße, die nach Grimpen Ward führt. Alle Straßen im Wildewald führen nach Grimpen Ward. Das ist ein Dorf, das irgendwo mitten im Wald liegt. Von hier aus kann man es nicht sehen. Mein Großvater hat mir erzählt, daß es ein ganz schlimmer Ort ist, wo nur lauter Banditen wohnen. Aber vielleicht findet ihr dort jemanden, der euch führen kann.«

»Ja, vielleicht.«

Wil lächelte zum Zeichen seines Dankes. Banditen, dachte er bei sich, waren Hexen und Ungeheuern immer noch vorzuziehen. Dennoch war Vorsicht geboten. Selbst wenn alle Banditen und Hexen und Ungeheuer Ausgeburten der Phantasie waren, so mußten sie doch vor den Dämonen auf der Hut sein, die, nur allzu real, sie verfolgten, sie jagten, vielleicht schon auf sie warteten.

Perk war tief in Gedanken versunken. Nach einer kleinen Weile blickte er auf.

»Was habt ihr denn vor, wenn ihr dieses Sichermal gefunden habt?« fragte er.

Wil zögerte. »Nun, Perk, wenn wir Sichermal gefunden haben, dann haben wir auch den Talisman gefunden, von dem ich dir erzählt habe. Dann können wir nach Arborlon zurückkehren.«

Der Junge strahlte. »Dann kann ich doch noch etwas für euch tun«, verkündete er voller Eifer. Er griff in den kleinen Beutel, den er um den Hals trug, und entnahm ihm das silberne Pfeifchen, um es Wil zu reichen. »Perk, was—?« begann Wil, als der Junge ihm das Pfeifchen in die Hand drückte.

»Ich habe noch fünf Tage Zeit, ehe ich in den Rockhort zurückkehren muß«, erklärte der Junge rasch. »Jeden Tag fliege ich zur Mittagszeit einmal über das Tal. Wenn ihr mich braucht, dann gebt mir das Signal mit dieser Pfeife, und ich komme. Der Ton kann von Menschen nicht vernommen werden — nur von den Rocks. Wenn es euch gelingt, den Talisman innerhalb der fünf Tage zu finden, die mir noch bleiben, dann können Genewen und ich euch wieder nach Norden bringen, in eure Heimat.«

»Perk, ich glaube nicht-«, begann Amberle kopfschüttelnd.

»Moment mal«, unterbrach Wil. »Wenn Genewen uns wieder nach Norden fliegen könnte, würden wir viele Tage sparen. Und wir müssen so schnell wie möglich zurück, Amberle, das weißt du doch.« Rasch wandte er sich Perk zu. »Könnte Genewen denn einen solchen langen Flug unternehmen? Könntest du es?«

Der Junge nickte voller Selbstvertrauen.

»Aber er hat doch gerade gesagt, daß ihm der Wildewald verboten ist«, wandte Amberle ein. »Wie soll er dann dort landen?«

Perk ließ sich den Einwand durch den Kopf gehen.

»Nun ja, wenn ich Genewen nur so lange lande, bis ihr aufgestiegen seid — das wäre doch nur ein Moment.«

»Mir gefällt das alles nicht«, erklärte Amberle und blickte Wil stirnrunzelnd an. »Das ist viel zu gefährlich für Perk —, und er verletzt damit das Vertrauen, das man in ihn gesetzt hat.«

»Aber ich möchte euch helfen«, beharrte der Junge. »Außerdem habt ihr mir doch selbst erzählt, wie wichtig das alles ist.«

In seiner Stimme lag so viel Entschlossenheit, daß Amberle zunächst kein weiteres Gegenargument vorbringen konnte. Wil nutzte die Gelegenheit, um sich nochmals einzuschalten.

»Paß auf, machen wir doch einen Kompromiß. Ich verspreche dir, wenn für Perk auch nur die geringste Gefahr besteht, werde ich ihn auf keinen Fall rufen. Was hältst du davon?«

»Aber Wil —«, begann der Junge.

»Und Perk verspricht uns, daß er nach Ablauf der fünf Tage zum Rockhort zurückkehren wird, wie er das seinem Großvater zugesagt hat, ganz gleich, ob ich ihn rufen werde oder nicht«, schloß Wil, ohne den Einwendungen Raum zu lassen, die der Junge erheben wollte.

Amberle überdachte Wils Argumentation, dann nickte sie widerstrebend. »Also gut. Aber ich werde dafür sorgen, daß du dein Versprechen hältst, Wil.« Die Augen der jungen Leute trafen sich.

»Dann ist es abgemacht«, entschied Wil und wandte sich wieder an den Jungen. »Wir müssen jetzt los, Perk. Wir schulden dir großen Dank.«

Er nahm die schwielige Hand des Elfenjungen und drückte sie lange und fest.

»Leb wohl«, sagte Amberle und beugte sich zu Perk hinunter, um ihn auf die Wange zu küssen.

Der Junge errötete und senkte die Lider.

»Leb wohl, Amberle. Viel Glück.«

Mit einem letzten Winken machten sich Wil und Amberle auf den Weg den Hang hinunter in die Wildnis des ausgedehnten Waldes. Perk blickte ihnen nach, bis sie außer Sichtweite waren.

26

In den frühen Abendstunden des zweiten Tages nach dem Aufbruch von Wil und Amberle aus Arborlon saß Eventine allein in seinem Studierzimmer, den Kopf grübelnd über Landkarten geneigt, die aufgeschlagen vor ihm auf dem Schreibtisch lagen. Draußen fiel in langen grauen Schnüren der Regen, so wie er nun schon seit zwei Tagen niederging und die Wälder des Elfenlandes überflutete. Schon stahlen sich die Schatten des Abends ins Zimmer, fielen lang und dunkel durch die hohen Fenster. Manx lag zusammengerollt zu Füßen seines Herrn. Der zottige graue Kopf ruhte auf den Vorderpfoten, der Atem ging tief und regelmäßig. Der alte König hob den Kopf von seiner Arbeit und rieb sich die von Müdigkeit geröteten Augen. Zerstreut blickte er durch das Zimmer, dann rückte er seinen Sessel vom Tisch weg. Allanon mußte eigentlich längst hier sein, dachte er besorgt. Es gab noch so viel zu tun, so vieles, was ohne die Hilfe des Druiden nicht geschafft werden konnte. Eventine hatte keine Kenntnis davon, wo der große Alte sich diesmal hinbegeben hatte; er war am frühen Morgen aufgebrochen und seitdem nicht mehr gesehen worden. Der König starrte in den Regen hinaus. Seit drei Tagen nun arbeitete er mit dem Druiden und den Mitgliedern des Hohen Rates an den Verteidigungsplänen für das Elfenland, denn sie alle wußten, daß eine Verteidigung notwendig werden würde. Die Zeit zerrann ihnen förmlich zwischen den Fingern. Der Ellcrys siechte immer mehr dahin, die Mauer der Verfemung wurde immer brüchiger. Jeden Tag erwartete der König zu hören, daß beide gefallen waren, daß die gefangenen Dämonen sich in Freiheit befanden und die Invasion des Westlandes begonnen hatte. Das Elfenheer war in Alarmbereitschaft versetzt worden: Fußsoldaten und Reiterei; Leibgarde und Schwarze Wache; reguläres Heer und Reservetruppen. Der König hatte gerufen, und alle Männer, die nicht durch Alter oder Gebrechen daran gehindert wurden, waren seinem Ruf gefolgt, hatten ihr Heim und ihre Familien verlassen und waren in Scharen nach Arborlon geströmt, um sich zum Kampfe ausrüsten zu lassen. Doch der König war sich bewußt, daß auch die wilde Entschlossenheit des Elfenheeres nicht ausreichen würde, einem Angriff der Dämonen zu widerstehen, wenn es den Mächten des Bösen einmal gelungen war, sich zu befreien und zum Kampf zu vereinen. Allanon hatte ihm das prophezeit, und Eventine war klug genug, diese Vorhersage des Druiden, so bitter sie sein mochte, nicht in Zweifel zu ziehen. Die Dämonen verfügten über größere körperliche Kräfte als die Elfen; und sie waren den Elfen an Zahl überlegen. Grausame, tollwütige Geschöpfe, von einem Haß getrieben, der am Tag ihrer Verbannung aufgeflammt war und sich auf jene konzentrierte, die die Verbannung herbeigeführt hatten. Jahrhundertelang hatte nur der Haß sie aufrechterhalten, und jetzt würde dieser Haß sich Bahn brechen. Eventine gab sich keinen Illusionen hin. Wenn den Elfen nicht von anderer Seite noch geholfen wurde, würden die Dämonen sie alle vernichten.