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Seufzend erhob er sich, reckte seine müden Glieder und blickte dann auf das Sortiment von Landkarten, das auf dem Tisch ausgebreitet lag. Jede Karte zeigte einen anderen Teil des Westlands; das gesamte erforschte Gebiet, das zum Elfenreich gehörte, sowie die Territorien, die es umgaben, war hier eingezeichnet. Eventine hatte die Karten so gründlich und eingehend studiert, daß er meinte, er könne sie jetzt im Schlaf nachzeichnen. Aus einem dieser Teilgebiete würden die Dämonen anrücken; und dort mußte der Abwehrblock der Elfen errichtet werden. Aber wo? Wo würde die Mauer der Verfemung zuerst abbröckeln? Wo würde die Invasion beginnen?

Der König ließ seine Augen von einer Karte zur anderen wandern. Allanon hatte ihm versprochen, wenn möglich, festzustellen, wo der Durchbruch stattfinden würde, und auf diese wichtige Information wartete nun das Elfenheer. Doch bis dahin…

Er richtete sich auf und ging zur Fenstertür, die in den Park hinausführte; während er dort verweilte und in die dichter werdende Dunkelheit hinausblickte, sah er Andor den Fußweg heraufkommen. Er hielt den Kopf gesenkt gegen den Regen und trug in den Armen einen Stapel von Truppenverzeichnissen und Proviantlisten, die zu beschaffen er beauftragt worden war. Die tiefen Falten, welche die Stirn des alten Königs durchfurchten, glätteten sich. Andor war ihm in diesen letzten Tagen eine unschätzbare Hilfe gewesen. Ihm war die zeitraubende, aber notwendige Aufgabe zugefallen, Informationen zusammenzutragen — eine undankbare Aufgabe, die Arion zweifellos zurückgewiesen hätte. Andor jedoch hatte die Arbeit ohne ein Wort des Widerspruchs auf sich genommen.

Der König schüttelte den Kopf. Sonderbar, doch obwohl Arion der Kronprinz der Elfen war und ihm von seinen beiden Söhnen der nächste, hatte es in diesen letzten Tagen Momente gegeben, in denen er sich selbst gerade in Andor wiedererkannt hatte. Sein Blick schweifte zum bleiernen Abendhimmel hinauf, und er fragte sich plötzlich, ob es Andor manchmal ebenso ging.

Tiefe Kerben der Müdigkeit zeichneten Andor Elessedils Gesicht, als er durch das Portal in das Herrenhaus trat. Er nahm seinen vom Regen durchweichten Umhang ab und ging dann, die Dokumente, die er mitgebracht hatte, fest im Arm, den Korridor hinunter, der zum Studierzimmer seines Vaters führte. Er hatte einen harten Tag hinter sich, und die beharrliche Weigerung seines Bruders, auch nur ein Wort mit ihm zu wechseln, machte die Dinge nicht einfacher, sie setzten ihm arg zu. Seit er sich im Hohen Rat für Amberle entschieden hatte, war es so. Die Kluft, die immer schon zwischen ihnen bestanden hatte, hatte sich zu einem Abgrund geweitet, der sich nicht mehr überbrücken ließ. Die letzte Begegnung mit seinem Bruder hatte das wieder deutlich offenbart. Von seinem Vater beauftragt, die Unterlagen zu beschaffen, die er jetzt bei sich trug, hatte er sich an Arion gewandt, da diesem die Verantwortung für die Mobilmachung und die Ausrüstung des Elfenheeres übertragen worden war. Arion hätte ihm Stunden an Arbeit ersparen können, doch er hatte sich geweigert, auch nur mit ihm zu sprechen, hatte statt seiner einen jungen Offizier geschickt und sich den ganzen Tag nicht blicken lassen. Dieses Verhalten hatte Andor so erzürnt, daß er nahe daran gewesen war, mit Gewalt eine Konfrontation herbeizuführen. Doch in eine solche Auseinandersetzung wäre womöglich auch ihr Vater hineingezogen worden, und der alte König hatte in diesen Tagen schon Sorgen genug. Nur um seinen Vater zu schonen, hatte Andor die Sache auf sich beruhen lassen. Solange die Dämonenhorden das Elfenreich bedrohten, mußten persönliche Dinge zurückstehen.

Er schüttelte den Kopf. Das war zwar vernünftig, aber besser fühlte er sich deshalb nicht.

Vor dem Studierzimmer angekommen, blieb er stehen und stieß die Tür mit der Fußspitze auf. Um seines Vaters willen zwang er sich beim Eintreten zu einem aufmunternden Lächeln. Dann ließ er sich müde in einen Sessel sinken.

»Das ist alles«, sagte er und reichte seinem Vater die Unterlagen.

Eventine legte die Papiere zu den Landkarten auf dem Tisch und musterte seinen Sohn.

»Du siehst müde aus.«

Andor erhob sich und reckte sich. »Das bin ich auch …«

Plötzlich flog eine der hohen Fenstertüren auf, und ein Windstoß fuhr fauchend ins Zimmer. Vater und Sohn wirbelten herum, während Landkarten und Listen knisternd zu Boden flatterten und die Öllampen flackerten. Allanon stand in der Tür. Seine schwarzen Gewänder glänzten feucht, und kleine Wasserbäche rannen von ihnen herab auf den Boden des Studierzimmers. Die kantigen Züge waren starr und abgespannt, die schmale Linie des Mundes hart. In den Händen hielt der Druide einen schlanken hölzernen Stab, der wie Silber glänzte.

Für einen Moment begegneten sich die Blicke des Elfenprinzen und des Druiden, und Andor spürte, wie ihm das Blut in den Adern gefror. Etwas Schreckliches lag im Ausdruck des Druiden, grimmige Entschlossenheit und Machtbewußtsein, eine Vorahnung von Tod und Verderben.

Der Druide wandte sich um und schloß die hohe Tür gegen Wind und Regen. Als er sich dem König und seinem Sohn wieder zuwandte, sah Andor, was es für ein silberner Stab war, den der Druide da in den Händen hielt, und sein Gesicht wurde totenbleich.

»Allanon, was habt Ihr getan!« Die Worte sprangen ihm über die Lippen, noch ehe er überlegen konnte.

Auch sein Vater erkannte es jetzt und stieß einen unterdrückten Entsetzensschrei aus.

»Der Ellcrys! Druide, Ihr habt von dem lebenden Baum einen Ast abgeschnitten!«

»Nein, Eventine«, entgegnete der große Alte leise. »Nicht abgeschnitten. Ich habe dem, der das Leben dieses Landes bedeutet, keine Verletzung zugefügt. Das würde ich nie tun.«

»Aber der Stab —« entgegnete der König und streckte so abwehrend die Hände aus, als verlange man von ihm, glühendes Feuer zu berühren.

»Er ist nicht abgeschnitten«, wiederholte Allanon. »Seht es Euch genau an.«

Er hielt dem König den Stab hin und drehte ihn langsam. Andor und sein Vater neigten sich ganz nahe heran. Beide Enden des Stabes waren glatt und gerundet. Nirgends war ein Riß im Holz zu sehen, nirgends eine Wunde, die von einer Klinge herrührte. Der Stab war völlig frei von Narben und Verletzungen.

Eventine blickte den Druiden voller Verwirrung an.

»Aber wie —?«

»Der Stab wurde mir übergeben, König der Elfen — übergeben vom Ellcrys selbst, als Waffe gegen die Feinde, die sein Volk und sein Land bedrohen.« Die Stimme des Druiden war so kalt, daß die Luft in dem kleinen Zimmer unter ihrem Klang zu gefrieren schien. »Hier ist eine Zauberkraft, um das Elfenheer zu stärken, damit es dem Bösen, das in den Dämonen lebt, widerstehen kann. Dieser Stab soll unser Talisman sein — die rechte Hand des Ellcrys, die uns beschützen wird, wenn die Heere in der Schlacht aufeinanderprallen.«

Den Stab noch immer in den Händen, trat er vor. In den harten Augen im Schatten der hohen Stirn stand ein harter Glanz.

»Heute am frühen Morgen bin ich allein zu dem Ellcrys gegangen, weil ich hoffte, ein Mittel zu finden, das uns befähigen würde, dem Feind zu widerstehen. Der Baum schenkte mir Gehör, und er sprach in den Bildern zu mir, die seine Worte sind. Er fragte mich, warum ich gekommen sei. Ich erklärte ihm, daß den Elfen kein Zauber außer meinem eigenen zur Verfügung steht, mit dem sie der Macht der Dämonen begegnen können; ich erklärte ihm, daß ich fürchtete, dies allein könne nicht ausreichen; daß ich fürchtete, mein Zauber könne versagen. Ich sagte dem Baum, ich suchte eine Waffe gegen die Dämonen, die etwas von dem verkörpert, was er ist, da er ja die Macht besäße, sie in Bann zu halten.

Da tauchte der Baum tief in sein Inneres und brach diesen Stab, den ich jetzt in meinen Händen halte, dieses Glied seines Körpers. Geschwächt wie er ist, dem Tode nahe, konnte er mir dennoch etwas von sich selbst geben, was dem Elfenvolk eine Hilfe sein wird. Ich habe den Ellcrys nicht berührt, ich stand nur wie gebannt vor Ehrfurcht angesichts solcher Willenskraft. Berührt dieses Holz, König der Elfen — berührt es nur!«