Выбрать главу

Er übergab den Stab in Evetines Hände, und diese schlossen sich darum. Die Augen des Königs weiteten sich voller Bestürzung. Da nahm der Druide den Stab wieder aus seinen Händen und reichte ihn wortlos dem Sohn. Der Elfenprinz fuhr zusammen. Das Holz des Stabes war warm, es pulste das Lebensblut durch seine Adern.

»Er lebt!« hauchte der Druide ehrfürchtig. »Er ist von dem Baum ganz abgetrennt und dennoch mit seinem Leben erfüllt. Das ist die Waffe, die ich gesucht habe. Das ist der Talisman, der die Elfen vor dem schwarzen Zauber der Dämonenhorden schützen wird. Solange sie diesen Stab tragen, werden die Kräfte, die in dem Ellcrys wohnen, sie beschützen und für ihr Wohlergehen Sorge tragen.«

Er nahm Andor den Stab aus den Händen, und wieder trafen ihre Blicke einander. Der Elfenprinz spürte, wie etwas Unausgesprochenes zwischen ihnen stand, etwas, das er nicht verstehen konnte; es war so wie an jenem Abend im Saal des Hohen Rates, als er sich an Amberles Seite gestellt hatte.

Die Augen des Druiden richteten sich jetzt auf den König.

»Hört mich an.« Seine Stimme war leise, und er sprach schnell. »In dieser Nacht wird der Regen versiegen. Ist das Heer bereit ?«

Eventine nickte.

»Dann brechen wir bei Morgengrauen auf. Wir müssen schnell handeln.«

»Aber wohin führt unser Marsch?« fragte der König sogleich. »Habt Ihr denn entdeckt, wo der Durchbruch stattfinden wird?«

Die schwarzen Augen des Druiden funkelten.

»Ja. Der Ellcrys hat es mir kundgetan. Er spürt, daß die Dämonen sich an einem einzigen Punkt hinter der Mauer der Verfemung sammeln. Er spürt, wie er selbst dort schwach wird, wo sie sich zusammendrängen. Er weiß, daß dort der Bannfluch zuerst seine Wirkung verlieren wird. Schon einmal ist die Mauer an dieser Stelle durchbrochen worden, nämlich von denen, welche die Erwählten ermordet haben. Die Lücke wurde wieder geschlossen, aber die Wunde ist nicht geheilt. Und an dieser Stelle wird die Mauer der Verfemung schließlich nachgeben. Schon gibt sie ständig nach, kann den Kräften, die gegen sie andrängen, kaum noch standhalten. Von jenem, der ihr Führer ist und dessen zauberische Kräfte den meinen beinahe gleich sind, werden die Dämonen zu diesem Ort gerufen. Dagda Mor heißt der Führer. Mit seiner Hilfe werden die Dämonen eine neue Bresche in die Mauer schlagen, und diesmal wird sie sich nicht wieder schließen.

Doch wir werden auf ihr Kommen vorbereitet sein.« Seine Hand umfaßte den Stab fester. »Wir werden sie erwarten. Wir werden sie überraschen, während sie, gerade erst der Finsternis entronnen, noch verwirrt und uneins sind. Wir werden ihnen den Weg nach Arborlon versperren, solange wir dazu fähig sind. Wir werden Amberle die Zeit geben, die sie braucht, um das Blutfeuer zu finden und hierher zurückzukehren.«

Mit gebieterischer Miene winkte er Andor und dessen Vater.

Dann bückte er sich und hob eine der Landkarten vom Boden auf, breitete sie auf dem Schreibtisch aus.

»Hier wird die Mauer brechen«, flüsterte er leise.

Sein Finger deutete auf das weite Ödland der Rauhen Platte.

27

An eben diesem Nachmittag, als das Tageslicht fast schon ganz verblaßt war, und der Regen in feinen Dunst übergegangen war, ritt die Legionsfreitruppe in Arborlon ein. Die Leute der Stadt, die sie sahen, hielten mitten in ihrem Tun inne und flüsterten tuschelnd. Von den Höhen der Baumpfade bis hinunter zu den Waldwegen pflanzte sich das Stimmengemurmel fort. Die Soldaten der Freitruppe waren nicht zu verwechseln. Andor Elessedil befand sich noch mit seinem Vater und Allanon im Studierzimmer des Herrenhauses — merkwürdigerweise von Allanon festgehalten, der darauf bestand, daß er sich mit den Karten des Sarandanon und den vorgeschlagenen Abwehrplänen vertraut machte —, als Gael die Nachricht von dem Eintreffen der Truppen überbrachte. »Herr, eine Kavallerieeinheit der Grenzlegion aus Callahorn ist eingetroffen«, verkündete der junge Elf. »Unsere Patrouillen sichteten sie vor einer Stunde östlich der Stadt und geleiteten sie dann herein. Sie mußten in wenigen Minuten die Stadt erreichen.« »Die Grenzlegion!« Ein Lächeln unsagbarer Erleichterung breitete sich auf dem müden Antlitz des alten Königs aus. »Das hatte ich nicht zu hoffen gewagt. Welche Einheit ist es, Gael? Wie viele sind ihrer?« »Das ist noch nicht bekannt, Herr. Ein Bote, den der Spähtrupp ausgesandt hatte, überbrachte die Neuigkeit, aber Einzelheiten wurden nicht mitgeteilt.«

»Ganz gleich!« Eventine war aufgesprungen und eilte an die Tür. »Jede Hilfe ist willkommen, ganz gleich —«

»Elfenkönig!« Allanons tiefe Stimme hielt Eventine Elessedil auf. »Wir haben hier eine wichtige Arbeit zu verrichten, die nicht unterbrochen werden sollte. Vielleicht kann Euer Sohn an Eurer Stelle gehen — sei es nur, um die Grenzlegionäre zu begrüßen.«

Überrascht starrte Andor den Druiden an, wandte sich dann fragend an seinen Vater. Der König zögerte. Als er den fragenden Blick in den Augen seines Sohnes sah, nickte er.

»Gut, Andor. Heiße den Befehlshaber der Legion in meinem Namen willkommen und sage ihm, daß ich ihn später am Abend persönlich begrüßen werde. Trage Sorge, daß der Truppe angemessenes Quartier zur Verfügung gestellt wird.«

Erfreut darüber, zur Abwechslung einmal mit einer Aufgabe von einiger Bedeutung betraut worden zu sein, eilte Andor in Begleitung einer Schar von Elfen-Jägern aus dem Herrenhaus. Seine Überraschung über den unerwarteten Vorschlag Allanons schlug rasch in neugierige Verwunderung um. Dies, so fiel ihm auf, war nicht das erste Mal, daß der Druide sich bemühte, ihn in den Gang der Ereignisse einzuschließen. Der Druide hatte auf seiner — Andors — Anwesenheit bestanden, als Eventine von Amberle und dem Blutfeuer berichtet hatte. Vor seinem Aufbruch nach Paranor hatte er Andor die Verantwortung für den Schutz des Königs übertragen. Und er hatte es verstanden, in Andor ein Gefühl der Verbundenheit zu wecken, das allein ihn im Hohen Rat veranlaßt hatte, sich für Amberle zu entscheiden, obwohl alle gegen sie zu sein schienen. Dieses gleiche Gefühl hatte Andor an diesem Nachmittag verspürt, als Allanon seinem Vater den Stab des Ellcrys übergeben hatte. Arion, dachte Andor, hätte bei diesen Anlässen zugegen sein müssen, nicht er. Wie kam es, daß Arion stets abwesend war?

Mit diesen Überlegungen beschäftigt, hatte er gerade das Tor zum Park des Herrensitzes hinter sich gelassen, als die ersten Marschformationen der Grenz-Kavallerie auf der Straße auftauchten, die nach Arborlon hineinführte. Andor machte halt und blickte dem sich nähernden Zug stirnrunzelnd entgegen. Diese Reiter kannte er. Lange graue, scharlachrot gesäumte Umhänge bauschten sich im Wind, und breitkrempige Hüte, mit einer scharlachroten Feder geziert, saßen schräg auf den Köpfen der Reiter. Lange Bogen und breite Schwerter waren an den Sätteln festgemacht, kurze Schwerter schräg über den Rücken der Reiter geschnallt. Jeder hielt eine Lanze, an deren Spitze ein kleiner Wimpel in den Farben Rot und Grau flatterte, und die Pferde trugen leichten Lederharnisch mit Metallspangen. Geleitet von den Elfen-Jägern, die ihrer auf Patrouille östlich der Stadt ansichtig geworden waren, ritten sie in Reih und Glied durch die vom Regen aufgeweichten Straßen Arborlons und blickten weder nach rechts noch nach links in die staunend gaffende Menge.

»Die Freitruppe«, murmelte Andor vor sich hin. »Sie haben uns die Freitruppe geschickt.«

Es gab kaum jemanden, der nicht schon einmal von der Freitruppe gehört hatte, der berühmtesten und umstrittensten Einheit, die der Grenzlegion von Callahorn angehörte. Ihr Name beruhte auf dem Versprechen, das jenen gegeben wurde, die sich dieser Einheit anschlossen — daß sie, ohne Fragen fürchten zu müssen, ohne Erklärungen abgeben zu müssen, alles hinter sich lassen konnten, was bis zu ihrem Eintritt in die Freitruppe Teil ihres Lebens gewesen war. Die meisten hatten viel zurückzulassen. Sie kamen aus verschiedenen Ländern, und jeder hatte eine andere Geschichte, doch die Gründe, weshalb sie kamen, waren einander ähnlich. Es waren Diebe unter ihnen, Mörder und Betrüger, Deserteure, Männer von niederer Geburt und von hoher, Männer von Ehre und Ehrlose, Männer, die auf der Suche waren, Männer, die auf der Flucht waren — alle jedoch hatten sie eines gemeinsam: Sie wollten dem entkommen, was sie waren, sie wollten vergessen, was sie gewesen waren, sie wollten von vorn anfangen. Bei der Freitruppe wurde ihnen diese Chance gegeben. Kein Soldat der Freitruppe wurde je nach seiner Vergangenheit gefragt; sein Leben begann an dem Tag, an dem er zu der Truppe stieß. Was vorher gewesen war, war abgeschlossen; nur die Gegenwart war von Bedeutung und das, was einer aus sich machte, solange er bei der Truppe diente.