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Meist war diese Zeitspanne kurz. Die Freitruppe war die Stoßtruppe der Legion; als solche wurde sie als entbehrlich betrachtet. Ihre Soldaten ritten als erste in die Schlacht und starben als erste. Bei jeder Auseinandersetzung seit Gründung der Freitruppe vor etwa dreißig Jahren waren ihre Verlustzahlen stets am höchsten gewesen. Ihre Soldaten konnten zwar die Vergangenheit hinter sich lassen, handelten sich jedoch dafür eine höchst ungewisse Zukunft ein. Doch die meisten fanden, das sei ein fairer Tausch. Im Leben hatte schließlich alles seinen Preis, und dieser Preis war nicht zu hoch. Er war, im Gegenteil, den Soldaten, die ihn bezahlten, eine Quelle des Stolzes; er verlieh ihnen ein Gefühl von Bedeutung, eine Identität, die sie unter allen übrigen Soldaten der Vier Länder heraushob. Es gehörte zur Tradition der Freitruppe, daß ihre Soldaten den Tod in der Schlacht fanden. Die Männer der Freitruppe fürchteten das Sterben nicht; der Tod gehörte zu ihrem täglichen Leben, und sie betrachteten ihn wie einen alten Bekannten, mit dem sie mehr als einmal in Tuchfühlung gekommen waren. Nein, das Sterben war nicht wichtig; wichtig war nur, heldenhaft zu sterben.

Sie hatten ihren Mut und ihre Tapferkeit oft genug unter Beweis gestellt. Jetzt, so schien es, waren sie nach Arborlon gesandt worden, um sie von neuem zu beweisen.

Vor dem schmiedeeisernen Tor machte die Kompanie halt, und ein hochgewachsener Mann, der an der Spitze des Zuges ritt, schwang sich von seinem Pferd. Nachdem er die Zügel einem anderen Reiter übergeben hatte, schritt er dem Elfenprinzen entgegen. Vor ihm blieb er stehen und zog den breitkrempigen Hut.

»Ich bin Stee Jans«, sagte er, sich verneigend, »der Befehlshaber der Legionsfreitruppe.«

Aufs höchste erstaunt über die Erscheinung des Befehlshabers, antwortete Andor nicht gleich. Groß und mächtig wie ein Turm stand Stee Jans vor dem Elfenprinzen. Sein von Wind und Wetter gegerbtes, dennoch jugendliches Gesicht war von zahllosen Narben bedeckt. Rostrotes Haar fiel dem Befehlshaber in festgeflochtenen Zöpfen auf die Schultern. In einem Ohr blinzelte ein großer goldener Ring. Nußbraune Augen, so hart, daß sie wie aus Stein gemeißelt schienen, fixierten den Elfenprinzen.

Andor ertappte sich dabei, daß er diesen Mann entgeistert anstarrte, und faßte sich hastig.

»Ich bin Andor Elessedil — Eventine ist mein Vater.«

Er streckte dem anderen zum Gruß die Hand entgegen. Der Druck von Stee Jans’ schwieliger, knorriger Hand war eisenhart. Andor entzog ihm rasch die seine und blickte die lange Reihen grauer Reiter hindurch. Doch vergebens suchte er nach anderen Einheiten der Legion.

»Der König hat mich gebeten, Euch in seinem Namen willkommen zu heißen und Euch ein angemessenes Quartier zu beschaffen. Wann können wir die anderen Einheiten erwarten ? «

Ein dünnes Lächeln glitt über das narbige Gesicht des Befehlshabers.

»Es kommen keine anderen Einheiten, Herr. Nur die Soldaten der Freitruppe.«

»Nur die —« Andor brach verwirrt ab. »Und wie viele sind Euer, Befehlshaber?«

»Sechshundert.«

»Sechshundert!« Es gelang Andor nicht, seine Enttäuschung zu verbergen. »Aber was ist mit der Grenzlegion? Wann wird die geschickt werden?«

Stee Jans schwieg einen Moment.

»Herr, ich denke, ich sollte unverblümt zu Euch reden. Es kann sein, daß die Legion überhaupt nicht geschickt wird. Der Rat der Städte hat noch keine Entscheidung getroffen. Wie den meisten Räten fällt es ihnen leichter, über Entscheidungen zu diskutieren, als welche zu fällen. Euer Gesandter hat überzeugend gesprochen, wie ich hörte, doch im Rat sitzen viele, die zur Vorsicht mahnen, und manche, die sich auf nichts einlassen wollen. Der König unterwirft sich den Beschlüssen des Rates; der Rat schielt immer mit einem Auge nach Süden. Die Föderation ist eine Gefahr, die der Rat real sehen kann; Euere Dämonen sind kaum mehr als ein Mythos.«

»Ein Mythos!« Andor war entsetzt.

»Ihr könnt von Glück sagen, daß man Euch wenigstens die Freitruppe zu Hilfe gesandt hat«, fuhr der hochgewachsene Mann unerschüttert fort. »Und nicht einmal die hätte man ausgeschickt, läge dem Rat nicht daran, sein Gewissen zu beruhigen. Den guten Willen wenigstens müsse man den Elfen zeigen, hieß es. Da war die Freitruppe gerade recht — wie immer, wenn jemand geopfert werden muß.«

Die Worte waren eine schlichte Feststellung, ohne Groll und ohne Bitterkeit vorgebracht. Die Augen des Befehlshabers blieben undurchdringlich und ausdruckslos. Andor errötete.

»Ich hatte nicht gedacht, daß die Männer von Callahorn so einfältig sind!« stieß er ärgerlich hervor.

Stee Jans musterte ihn abschätzend einen Augenblick lang.

»Soweit ich unterrichtet bin, baten die Grenzländer die Elfen um Unterstützung, als Callahorn von den Heeren des Dämonen-Lords angegriffen wurde. Doch Eventine wurde vom Dämonen-Lord gefangengenommen, und in seiner Abwesenheit war der Hohe Rat der Elfen unfähig zu handeln.« Er machte eine kurze Pause. »So ähnlich liegen die Dinge jetzt in Callahorn. Die Grenzgebiete haben Führer; diese haben seit Balinors Tod keinen Führer mehr.«

Andor musterte den anderen mit einem kritischen Blick, und sein Zorn verrauchte langsam.

»Ihr seid ein offener, freimütiger Mann, Befehlshaber.«

»Ich bin ein ehrlicher Mann, Herr. Das erlaubt mir, die Dinge klarer zu sehen.«

»Was Ihr mir da berichtet habt, wird einigen Leuten in Callahorn vielleicht nicht gefallen.«

Der Grenzländer zuckte die Schultern.

»Vielleicht ist das auch der Grund, weshalb ich hier bin.«

Ein Lächeln breitete sich langsam auf Andors Gesicht aus. Stee Jans gefiel ihm — sowenig er im Augenblick über ihn wußte.

»Befehlshaber, ich wollte Euch nicht im Zorn empfangen. Mein Zorn hat nichts mit Euch zu tun. Bitte versteht das. Die Freitruppe ist hier höchst willkommen. Jetzt laßt mich für eine Unterkunft für Euch sorgen.«

Stee Jans schüttelte den Kopf.

»Das ist nicht nötig; ich schlafe dort, wo meine Soldaten schlafen. Herr, wie ich höre, beabsichtigen die Elfen morgen in aller Frühe aufzubrechen.« Andor nickte. »Dann wird auch die Freitruppe aufbrechen. Wir brauchen nur die eine Nacht Rast.

Bitte richtet das dem König aus.«

»Ich werde es ihm sagen«, versprach Andor.

Der Befehlshaber der Freitruppe salutierte, dann machte er kehrt und schritt zu seinem Pferd zurück. Nachdem er sich wieder in den Sattel geschwungen hatte, nickte er den Reitern der Elfenpatrouille, die ihn und seine Leute begleiteten, kurz zu, und der lange graue Zug schwenkte wieder nach links, die schlammige Straße hinunter.

Mit einer Mischung aus Bewunderung und Ungläubigkeit blickte Andor den Soldaten nach. Sechshundert Mann! Und die Dämonen werden zu Tausenden über das Elfenreich herfallen! Er fragte sich, was sechshundert Südländer da noch ausrichten konnten.

28

Singend zogen die Elfen bei Tagesanbruch unter Pfeifenklang und Trommelschlag aus Arborlon hinaus. Die Banner ihrer Regimenter flatterten bunt vor einem bleigrauen und wolkenverhangenen Himmel. Eventine Elessedil ritt an der Spitze seines Heeres. Das graue Haar fiel auf das Kettenhemd hinunter, das aus blauem Eisen geschmiedet war, und in seiner rechten Hand hielt er fest den silberweißen Stab des Ellcrys. An seiner Seite ritt Allanon, einem geisterhaften Schatten gleich, schwarz und gewaltig auf dem Rücken Artaqs, und es war, als sei der Tod aus den Tiefen der Erde emporgefahren, um über die Elfen zu wachen. In zweiter Reihe folgten die Söhne des Königs — Arion ganz in Weiß, die Kriegsflagge der Elfen tragend, einen herabstoßenden Adler auf scharlachrotem Fell; Andor ganz in Grün mit dem Banner des Hauses Elessedil, einer Krone, die über einer mächtigen Eiche schwebte. Nach dieser Spitzengruppe kamen Dardan, Rhoe und drei Dutzend kampfgestählter Elfenjäger, die Leibwache des Hauses Elessedil; danach die grauen Reiter der Legions-Freitruppe, sechshundert Mann stark. Pindanon ritt allein an der Spitze des Heeres, eine hagere, gebeugte Gestalt auf seinem kampferfahrenen Pferd. So mager war er, wirkte so asketisch, daß man den Eindruck gewann, er müsse die Rüstung tragen, um seinen Körper zusammenzuhalten. Ihm folgte, gewaltig und furchterregend, sechs Kolonnen breit und viele tausend Mann stark, das Heer der Elfen. Es bestand aus drei Reiterkompanien, die Soldaten mit Lanzen bewehrt, die wie ein Eisenwald in den Himmel ragten; aus vier Kompanien von Fußsoldaten, die mit Spießen und Schilden ausgerüstet waren; dazu zwei Kompanien von Bogenschützen, welche die gewaltigen Langbogen der Elfen trugen. Alle schützte die traditionelle Rüstung des Elfen-Kriegers — Kettenhemd und Lederschutz —, die Schnelligkeit und Wendigkeit nicht beeinträchtigte.