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Eventine ließ sein Heer halten, um kurz mit seinen Offizieren zu beratschlagen. Unterhalb des Ostzugangs zum Paß dehnten sich mehrere Meilen offenen Landes, das sich südlich am Waldrand hinzog. Wenn es den Dämonen gelingen sollte, einen Weg zu finden, um das Grimmzacken-Gebirge unterhalb des Halys-Jochs zu überqueren, konnten sie durch die Waldgebiete nordwärts ziehen und das Elfenheer im Paß einschließen. Eine Nachhut mußte ein solches Manöver verhindern. Am besten konnte eine Kavallerie-Einheit diese Aufgabe übernehmen; die Kavallerie würde innerhalb des engen Passes ohnehin nicht von großem Nutzen sein.

Andor sah, wie der Blick seines Vaters flüchtig zu Stee Jans wanderte, sich dann wieder entfernte. Kavallerie-Einheiten des Elfenheers würden die Nachhut bilden, verkündete der König.

Nachdem der Befehl dazu erteilt war, löste sich die Kavallerie vom Gros des Heeres und verteilte sich über die Ebene. Auf ein Signal von Eventine hin nahm das übrige Heer den Marsch zum Halys-Joch in Angriff.

Schroffe Felswände blickten düster auf die Elfen herab, während diese durch den breiten, schattigen Einschnitt zwischen den Bergen marschierten. Beinahe augenblicklich begann das Gelände anzusteigen, und der Weg führte die Soldaten im kahlen Fels immer höher hinauf. Rasch kühlte die Luft ab, und der Klang von Hufeisen und Stiefeln, die auf nackten Stein schlugen, brach sich in gespenstischem Echo. Das Gelände stieg weiter an, und der Weg wurde immer beschwerlicher. Der Boden war von Geröll übersät, und Spalten und Risse klafften auf Schritt und Tritt. Männer und Pferde stolperten und rutschten immer wieder, und das Tempo verlangsamte sich.

Dann kam der Zug jäh zum Halten. Vor dem Heer gähnte plötzlich eine schier bodenlose Kluft, ein gewaltiger Spalt, der sich, den Paß auf Hunderten von Schritten der Länge nach sprengend, in schwarzem Nichts verlor. Zur Linken schwang sich der Weg breit und eben an der Bergflanke entlang abwärts, um am Ende der Kluft in einen Hohlweg zu münden. Auf der rechten Seite zog sich ein schmaler Sims am Rand des Abgrunds entlang, ein unsicherer, bröckeliger Pfad, der mit Müh und Not einem einzelnen Reiter Platz bot. Blickte man aufwärts, so hatte man den Eindruck, daß die kahlen Felswände sich emporstrebend nach innen neigten, so daß vom Himmel nur ein dünnes, ausgefranstes blaues Band zu sehen war. Das Heer schwenkte nach links, um den breiteren Weg hinunter zu marschieren. Durch den Hohlweg gelangte es in eine Schlucht, die erhellt war vom Sonnenlicht des Nachmittags. Grün leuchteten niedrige Büsche und kurzes grobes Gras, und zwischen den Felsbrocken, die auf dem Boden der Schlucht verstreut lagen, schlängelte sich ein dünnes Bächlein hindurch, um dann in einer kleinen, von Büschen beschatteten Mulde einen Teich zu bilden. Kaninchen sprangen auf und jagten davon, als das Heer in die Schlucht eindrang, und eine Schar Vögel, die am Bachrand getrunken hatte, ergriff flügelschlagend die Flucht.

Die Elfen marschierten bis an das andere Ende der Schlucht. Von dort führte der Paß in Windungen durch eine breite Klamm in die weite Einsamkeit der Rauhen Platte hinunter. Mit scharfer Geste hob Eventine die Hand zum Zeichen, daß das Heer halt machen sollte. Aufmerksam schweifte sein Blick durch die Klamm, über Felsnischen und steile Hänge, dann nickte er. Hier würde das Heer sich dem Ansturm der Dämonen entgegenstellen.

Der Abend stahl sich ins Grimmzacken-Gebirge, graues Zwielicht verdunkelte die Sonne, die im Untergehen den Himmel über der Rauhen Platte in funkelndes rotgoldenes Feuer tauchte. Hinter der Bergkette stieg die silberne Scheibe des Mondes über den Wäldern auf, und schon blitzten die ersten Sterne am Himmel. Das Halys-Joch lag in tiefe Stille getaucht.

Andor Elessedil stand allein auf einer kleinen Anhöhe etwa in der Mitte der Klamm, die zur Rauhen Platte hinunterführte. In den Armen hielt er den silberweißen Stab des Ellcrys. Während sein Blick über die Reihen der Elfen-Jäger und der Freitruppen-Soldaten schweifte, überdachte er zum wiederholten Male während der letzten halben Stunde die Taktik, die sein Vater zur Verteidigung des Passes ersonnen hatte. Ein breiter Hügelrücken zog sich mehrere hundert Schritte von der Öffnung des Passes entfernt quer durch die Klamm, ein Felsplateau, das auf einen von Krüppelbüschen überwucherten und mit Geröll übersäten Hang hinunterblickte. Hier wollte das Heer der Elfen die Dämonen erwarten. Vorn würde das Plateau mit Bogenschützen bemannt werden, die ihre Pfeile auf die Dämonen abschießen würden, sobald diese von der Rauhen Platte her durch die Öffnung des Halys-Joch-Passes drangen, um den Hang hinaufzuklettern. Wenn die Dämonen dann so nahe herankamen, daß die Schützen mit ihren langen Bogen nichts mehr ausrichten konnten, würde eine Phalanx von Lanzern und Pikenieren sie ablösen, um sich der Wucht des Angriffs entgegenzustemmen. Eine zweite Schlachtenreihe würde in Reserve gehalten werden, um der ersten Verstärkung zu geben. Die Verteidiger würden das Plateau so lange wie möglich halten, dann mehrere hundert Schritte zurückweichen und neuerlich Stellung beziehen. Wenn die Klamm verloren war, würden sie bis zum Eingang in die Schlucht zurückweichen. Wenn auch der verlorenging, würde die Schlucht selbst verteidigt werden — und so weiter, bis schließlich das Heer ganz aus dem Paß hinausgedrängt wurde. Es war ein trefflicher Plan. Leicht, sagte sich Andor, würde der Paß von den Dämonen nicht zu nehmen sein. Die Verteidigungspositionen waren gut gewählt; und wenn der Angriff erfolgte, würde er die Elfen nicht unvorbereitet treffen.

Er hob den Blick und spähte zur Rauhen Platte hinaus. Nichts rührte sich. Verlassen und still lag das Land. Von den Dämonen war nirgends eine Spur zu entdecken.

Doch sie würden kommen, dessen war Andor sicher. Seine Hände glitten langsam über das glatte Holz des Ellcrys-Stabs, und seine Finger zeichneten die Maserung der Rinde nach. Eventine hatte den Stab in seine Obhut übergeben, während er selbst den Hang hinuntergestiegen war, um die Abwehrstellungen der Elfen zu inspizieren. Tief sog Andor die Nachtluft ein. Würde der Stab die Elfen wirklich beschützen? Würde er seine Zauberkraft jenen verleihen, die nurmehr Sterbliche waren, und nicht mehr Geschöpfe der Geisterwelt, wie es ihre Vorväter einst gewesen waren? Er betrachtete den silbernen Stab, während er ihn mit beiden Händen fest umfaßte und versuchte, Kraft und Mut aus ihm zu ziehen. Allanon hatte gesagt, daß die Macht des Ellcrys über die Dämonen in diesem Stab geborgen war und daß sie die Bösen schwächen und sie verletzlich machen würde für die Waffen der Elfen. Doch Zweifel trübten Andors Zuversicht. Die Dämonen stellten eine unbegreifliche Macht des Bösen dar, aus einer Welt geboren, die längst vergangen war, die keiner außer ihnen je gesehen hatte, die kein anderer sich auch nur vorstellen konnte.

Er hielt inne in seinem Gedankenfluß. Keiner außer Allanon, verbesserte er sich, und Allanon selbst war vielleicht ein Teil dieser dunklen, vergessenen Welt.

Sein Vater, der König, tauchte plötzlich aus der Finsternis auf und trat an seine Seite. Stumm reichte Andor ihm den Ellcrys-Stab zurück. Müdigkeit und Besorgnis zeichneten das Antlitz des alten Mannes, spiegelten sich in seinen Augen wider. Andor zwang sich, den Blick abzuwenden.

»Ist alles in Ordnung?« fragte er nach einem kurzen Schweigen.

Der König nickte verschlossen.

»Alle Verteidigungsstellungen sind planmäßig bezogen.«

Sie schwiegen wieder. Andor hatte das Bedürfnis, mehr mit seinem Vater zu sprechen. In ihm machte ein Unbehagen sich breit, das sich nicht beruhigen ließ und den Wunsch in ihm weckte, seinem Vater nahe zu sein. Dann hätte er ihm das begreiflich gemacht. Doch aus irgendeinem Grund fiel es ihm schwer, mit seinem Vater über solche Dinge zu sprechen. Sie hatten sich beide noch nie sehr gut darauf verstanden, einander ihre Gefühle auszudrücken.