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Führte er es wirklich? Manchmal war er sich nicht mehr sicher. Er hatte den Beratern vertraut und war enttäuscht worden. Oder hatten sie die Niederlage vielleicht absichtlich herbeigeführt, um ihn zu vernichten? Sharraz richtete sich auf seinem mit gewundenen Leibern verzierten Lehnstuhl auf. »Wir brauchen dringend einen Erfolg«, brummte er, ohne dabei jemanden in der Runde anzuschauen.

Alle Stammeshäuptlinge, Schamanen und Tairach-Priester, sowie Kolon der Zwerg und Gamba der Druide waren in seiner großen Jurte versammelt. Vor zwei Tagen hatte sie sein riesiges, rundes Lederzelt mit einem Wagenzug erreicht, der Lebensmittel und Ausrüstung über den Finsterkamm brachte.

Das Zelt gehörte schon seit Generationen den Häuptlingen seines Stammes. Es war aus Mammutfellen gefertigt, und angeblich hatte sein Urahne Gerimmoi dreißig Winter lang jagen müssen, um mit Brazoraghs Hilfe die Felle zusammenzubekommen. Aus den mächtigen Stoßzähnen der Mammuts waren die tragenden Stangen der Zeltkuppel gefertigt worden. Das Zeltdach war so hoch, daß selbst ein Berittener in dieser Jurte seinen Kopf nicht beugen mußte. Ein Gittergeflecht aus federnden Hölzern verlieh dem Zelt Stabilität. Seit Gerimmoi hatte jede Generation diese Jurte um einige Kostbarkeiten bereichert. Es waren wunderbar geschmiedete Feuerpfannen hinzugekommen, die seine Großväter in geplünderten Tempeln erbeutet hatten. Pelze von fast allen Tieren, die man in den Bergen und Steppen des Orkslands erjagen konnte, schmückten den Boden, und sogar Teppiche und Kissen aus der fernen Kohm, die Sharraz vor Jahren in der Nähe von Phexcaer einer Handelskarawane abgenommen hatte, fehlten nicht.

»Wir brauchen einen Erfolg«, brummte Sharraz immer wieder vor sich hin, und dann schrie er es heraus. Alle Unterhaltungen im Zelt verstummten auf der Stelle, und die Sklaven erzitterten. »Wir brauchen schnell einen Erfolg!« brüllte Sharraz erneut. »Sonst werden wir den ganzen Winter vor dieser Stadt sitzen, wenn uns nicht vorher Sadrak Whassoi die Köpfe abschlagen läßt.« Sharraz blickte zu Gamba. Doch den Druiden schienen die Worte nicht sonderlich beeindruckt zu haben. Böse grinste er den General der Orks an.

»Dir werden deine Frechheiten noch vergehen. Sei dir nicht zu sicher, daß dir nichts geschehen kann!«

Doch Gamba lächelte weiterhin. »War es vielleicht meine Schuld, daß der Angriff mißglückte? Ich habe über die Magier der Stadt triumphiert. Dein Teil war es, ihre Krieger zu vernichten.«

Sharraz erwiderte nichts. Er schaute den Menschen verbittert an. Wäre Gamba kein Zauberer, hätte er ihn schon längst erschlagen. Aber Sharraz fürchtete sich vor dem, was dann geschehen mochte, hatte er doch schon miterlebt, wie Gamba selbst Dämonen gebot.

»Diese Streitereien bringen doch nichts«, erhob der Zwerg Kolon sein Wort. »Wir haben immer noch die besseren Karten in diesem Spiel. Die Greifenfurter hatten genauso schwere Verluste in den letzten Gefechten wie wir. Sie werden keinen Ausfall mehr gegen uns wagen. Solange die Straßen aber noch nicht unpassierbar sind, können wir Bauholz für neue Belagerungsmaschinen heranschaffen und unsere Verluste ersetzen. Sie können nichts ersetzen, was sie einmal verloren haben, und die kaiserlichen Truppen, die der Stadt zu Hilfe kommen sollten, haben sich Dutzende Meilen entfernt von hier in ihre Winterquartiere zurückgezogen. Außerdem haben wir in der letzten Schlacht mehrere bis unter die Giebel gefüllte Vorratshäuser in Brand gesetzt. Vielleicht bricht der Hunger noch schneller den Widerstand der Greifenfurter als wir!«

»Du vergißt die Boten, die sie durch unsere Linien gebracht haben«, warf einer der Kriegshäuptlinge ein. »Erinnere dich an den Baumstamm, den unsere Wachen aus dem Fluß gezogen haben? An seiner Unterseite war die Ausrüstung eines Zwergenkriegers festgenagelt. Wer weiß, wie viele solcher Boten unterwegs sind?«

»Na und?« Der Zweig lachte laut auf. »Glaubt ihr, daß nur ein einziger kaiserlicher Offizier im Winter einen Kriegszug beginnen wird. Ich kenne dieses Pack besser als jeder andere hier, und ihr könnt mir glauben, daß die den ganzen Winter über hinter ihren warmen Feuern hocken bleiben. Selbst wenn Prinz Brin irgendwelche tollkühnen Pläne ausarbeitet, wird ihn sein Marschall Haffax schon zurückhalten.«

»So, wie es aussieht, werden wir aber auch nicht viel anderes tun können«, warf Sharraz zynisch ein.

»Da irrst du!« Kolon hatte sich zu seiner vollen Größe aufgerichtet und war in die Mitte der Jurte geschritten. Mit dem Knauf seiner Axt schob er einige Felle beiseite, so daß der blanke Erdboden freilag. Dort zeichnete er einen großen Kreis. »Das ist Greifenfurt mit seiner Mauer. Und hier sind wir.« Er ergänzte die Zeichnung um einige Kreuze außerhalb des Kreises. »Um die Mauern zu berennen, haben wir wirklich nicht mehr genug Krieger. Aber was ist, wenn wir die Mauern umgehen?«

»Willst du vielleicht fliegen?« rief einer der Orkschamanen höhnisch in die Runde.

»Genau das Gegenteil«, entgegnete der Zwerg ernst. »Wir werden uns einen Weg in die Stadt graben. Ich brauche nur genug Bauholz, um die Tunnel abzustützen, und ausreichend Sklaven.«

»Meine Männer werden nicht wie Maulwürfe durch die Erde kriechen«, schrie einer der Kriegshäuptlinge erbost.

»Dann wird im Frühling eben jeder sagen können, daß deine Krieger feige wie Steppenhasen sind und keinen Anteil an unserem Sieg hatten.« Ein unruhiges Raunen machte sich im Zelt breit. Der Gedanke, in einem dunklen Tunnel arbeiten zu müssen, machte den meisten ganz offensichtlich Angst.

Sharraz beobachtete heimlich Gamba. Der Druide war ihm unheimlich. Während der ganzen Debatte um die Tunnel hatte er ruhig auf seinem Platz gesessen und finster vor sich hin gelächelt, ganz so, als würde er wieder über einem seiner schrecklichen Zauber brüten.

Gerade war das Madamal hinter den Wolken verschwunden, Eugalp schritt unter den Apfelbäumen zwischen den frischen Gräbern. Obwohl der Wind die Äste aneinanderschlagen ließ, konnte er doch den Geruch von Tod und Verwesung wahrnehmen. Immer wieder hörte man das dumpfe Geräusch von Äpfeln, die ins Gras oder auf frisch aufgeworfene Erde fielen. Ein Wächter mit einem Hörn war postiert, um die Bäume zu hüten. In der Stadt herrschte Hunger. Es sollte verhindert werden, daß der Apfelhain ausgeplündert wurde. Der Wächter war jetzt am anderen Ende des kleinen Parks und würde Eugalp von dort aus nicht sehen können.

Eugalp griff nach einem der Äpfel, die noch am Baum hingen. Seine dürren Finger umklammerten eine Frucht, ohne sie zu pflücken. Er konnte das Leichengift spüren, das durch den Baum aus den Gräbern aufgenommen wurde und sich schließlich in den Äpfeln konzentrierte. Ärgerlich spuckte er aus, und das Gras erstarb unter seinem fauligen Atem. Es war noch nicht genug Gift in den Äpfeln. Sie mochten allenfalls ein leichtes Unwohlsein bewirken.

Stöhnend streckte Eugalp seine Glieder. Jede Faser seines Körpers schmerzte. Er blickte an sich hinab und musterte seine lange, hagere Gestalt, die in ein fleckiges Gewand aus verrottendem Stoff gehüllt war. Die Sterblichen erschraken sich zu Tode, wenn sie ihn sahen. Er fand die Erscheinung, die er annahm, wenn man ihn in diese Welt schickte, nur lächerlich. Schrecklich sah er aus, wenn er seine wahre Gestalt hatte. Aber so ... Vier bräunliche Hörner stachen aus seinem Rücken. Und dieses Gewimmel in seinem Fleisch kitzelte ihn unangenehm und ließ sich nicht abstellen. Nicht so lange er in dieser Sphäre verweilte, in die ihn sein Herr hineingezwungen hatte.