Eugalp schlich durch den kleinen Park, berührte hier und dort einen Apfel und murmelte jedesmal ein mächtiges Wort des Schutzes, auf daß die Früchte nicht unter seinen Fingern verschrumpelten oder sich ganze Nester von Gewürm in ihrem Gehäuse einnisteten. Wieder fluchte er auf Duglum, den Siebengehörten, dem es gelungen war, ihn zu unterwerfen. Ihn, Eugalp, der seit Äonen niemandem gehorcht hatte.
Der Wind fuhr ihm durch das löchrige Gewand, doch er empfand keine Kälte. Ebensowenig hätte Hitze ihn aufhalten können. Doch es war gut, daß die Jahreszeit schon so weit fortgeschritten war. So würde die Spur welken Grases, die er durch den kleinen Hain zog, nicht weiter auffallen.
Wieder wallte in ihm der Ärger über Duglum auf. Sein ›Meister‹ hatte seine Dienste an einen Menschen verschachert. Allein die Erzdämonen mochten wissen, was er dafür wohl bekommen hatte! Es war eine Demütigung, Handlanger für einen Menschen zu sein! Aber er würde sich diesen Gamba merken. Duglum hatte dieser nichts würdigen Kreatur seinen Namen genannt, damit dieser Druide ihn beschwören konnte. Dieser sterbliche Wurm ...
Er würde sich auch Gambas Namen merken, und es würde der Tag kommen, an dem er Rache nahm. Der Druide sollte dahinsiechen und bei lebendigem Leib verfaulen. Eugalp grunzte bei dem Gedanken, wie er sich an der jahrelangen Qual dieses vermessenen Sterblichen ergötzen würde.
Wieder dachte er an den übermütigen Tonfall Gambas und die höhnischen Worte, mit denen der Druide ihm befohlen hatte, in diesen Apfelhain zu gehen.
Eugalp machte seiner Wut Luft und trat gegen einen der Baumstämme. Der Stamm zerbarst und stürzte mit dumpfem Schlag auf einige frisch aufgeworfene Gräber. Ein grünlich-brauner Saft quoll aus dem gespaltenen Baum und verschwand in der feuchten Erde. Tausende von Würmern und Asseln purzelten aus dem Holz. Für einen Augenblick musterte er das fahl schimmernde Gewimmel. Morgen würde man denken, der Sturm hätte den offensichtlich morschen Baum stürzen lassen.
»Wer da?« erklang hinter ihm eine Männerstimme. »Im Namen Marcians, ihr seid verhaftet.«
Eugalp hörte, wie der Mann sich unsicheren Schrittes näherte. Licht fiel neben ihm ins Gras. Der Wächter sollte noch ein wenig näher kommen! Dann, als der Mann vielleicht noch zwei Armlängen hinter ihm sein mochte, drehte er sich ruckartig um.
Eugalp genoß, wie dem Soldaten bei seinem Anblick schier die Augen aus dem Kopf quollen. Der junge Bursche riß seinen Mund auf, doch brachte er keinen Ton hervor. Eugalp blinzelte, weil ihn der Lichtstrahl der Blendlaterne genau ins Gesicht traf. Dann ließ der Mann die Laterne fallen.
Eugalp wußte, daß er nun schnell handeln mußte. Der Kerl durfte seine Fassung nicht zurückgewinnen. Er machte einen schnellen Schritt nach vorne und legte ihm seine Hand auf den Mund.
Alles Blut war aus dem Gesicht des jungen Wächters gewichen, und noch bevor er ihn nur gestreift hatte, brach er ohnmächtig zusammen.
Eugalp zögerte. Sollte er ihn zeichnen? Gamba hatte ihm das nicht verboten. Vielleicht mochte auf diese Weise der Plan des Druiden fehlschlagen. Eugalp feixte vor Vergnügen. Alles, was ihm nicht ausdrücklich verboten war, konnte er tun. Er wischte dem Ohnmächtigen mit der Hand übers Gesicht. Einige weißliche Würmer stürzten aus seinem Fleisch und krochen dem Jüngling schnell in Mund und Nase. Eugalp fluchte. Das hätte nicht passieren dürfen. Dieser unvollkommene Körper! Er beherrschte ihn nicht.
Er würde jetzt seinen Auftrag zu Ende bringen. Noch zehn oder zwanzig der Äpfel streifen. Das mußte genügen! Würde er noch mehr mit seiner fauligen Hand vergiften, mochte es vielleicht auffallen. Ließ man die Äpfel noch ein oder zwei Wochen am Baum, wäre sein Auftritt ohnehin unnötig gewesen, denn dann hätte sich genug Leichengift in ihnen gesammelt, um jeden zu vergiften, der davon aß.
»... Glaub mir, Marcian, es besteht kein Anlaß zur Sorge, was die Orks angeht.« Himgi blickte zum Inquisitor hinüber, der nervös auf der Plattform des Burgfrieds umherschritt. »Sie haben nicht mehr genug Krieger, um sich einen Angriff auf unsere Mauern erlauben zu können. Selbst wenn sie wieder beginnen, die Stadt zu beschießen, und es ihnen gelingt, die eine oder andere Bresche in die Mauer zu schlagen, können sie sich keinen Sturmangriff leisten, bevor sie keine Verstärkung bekommen haben.« Marcian antwortete ihm mit Schweigen. Er konnte sich nicht vorstellen, daß das schon alles gewesen sein sollte. Schaudernd dachte er an die Alpträume, die ihn fast jede Nacht heimsuchten.
»Kommandant?« Die Frauenstimme ließ Marcian herumfahren. Ein schlankes, junges Mädchen in langen grünen Gewändern stieg durch die Bodenluke auf die Plattform des Turms. Sie gehörte zum Orden der Therbuniten, der sich aufopfernd um die Verwundeten der Schlachten kümmerten und der seit dem Beginn der Belagerung großen Zulauf hatte.
»Meister Gordunius schickt mich, Herr«, riß ihn die Stimme des Mädchens aus seinen Gedanken.
»Warum kommt er nicht selbst?« entgegnete der Inquisitor gereizt. »Was ist denn los?«
Das Mädchen zuckte zusammen.
»Ein Kranker will Euch sprechen. Meister Gordonius glaubt, daß er nicht mehr lange zu leben hat.«
»Gut, ich werde kommen. Aber vor Mittag habe ich keine Zeit.«
»Aber ...«, setzte das Mädchen an.
»Richte Meister Gordonius aus, daß ich noch ein oder zwei andere Probleme habe, wenn ich mich nicht gerade um die Wünsche seiner Kranken kümmere.«
Scheu wich das Mädchen zurück. »Ich werde es ihm sagen«, flüsterte sie ängstlich.
Die Mittagsstunde war schon lange verstrichen, als Marcian das Siechenhaus der Therbuniten besuchte. Der Inquisitor hatte sich auf einer steinernen Bank im Kreuzgang niedergelassen und blickte auf die Blätter, die zum Spiel des Herbstwindes wurden und in tollkühnen Kapriolen von den Bäumen hinwegtanzten. Firuns Atem zieht übers Land, dachte Marcian. Dann sandte er ein Stoßgebet zum Gott des Winters, auf daß er in diesem Jahr nicht allzu viele Tage bitteren Frostes bringen möge. »Peraine sei gepriesen, daß Ihr doch noch gekommen seid.« Gordonius kam mit eiligen Schritten den Säulengang entlanggelaufen. Er war ein massiger Mann, mit braunem Haar und einem kurzgeschorenen Bart, durch den die ersten weißen Strähnen schossen. Der Therbunit trug ein schlichtes Gewand aus grünem Leinen, und eine schmucklose Brosche hielt einen wollenen, grünen Umhang zusammen, unter dem muskulöse Arme hervorragten.
Das sind die Arme eines Kriegers, dachte Marcian. Doch die Hände standen in eigentümlichem Mißverhältnis zu den klobigen Unterarmen. Sie wirkten zwar durchaus kräftig, doch waren sie lang und schlank. Ganz so, wie die Hände eines Künstlers.
»Laßt uns schnell zu dem Mann hinaufgehen. Vielleicht schenken die Götter ihm noch einmal genug Kraft, um mit Euch zu sprechen.« Gordonius sprach beinahe vorwurfsvoll. Marcian entschloß sich diesen unterschwelligen Ton zu ignorieren.
Gemeinsam stiegen sie die Treppe zu den Krankenzimmern hinauf. Auch im ersten Stock führte ein Kreuzgang um das Geviert des Hofes, und viele Verletze saßen in Decken gehüllt im Freien. Wohl zwanzig Türen mochten auf die Galerie führen. Der Inquisitor dachte erschauernd daran, welche Schrecken und welches Leid sie wohl verbargen.
Gordonius schritt voran, stieg über die Stümpfe Amputierter, die auf dem steinernen Boden hockten und schob zwei junge Therbuniten beiseite, die Marcian mit einem mißfälligen Blick bedachte, weil sie seiner Meinung nach besser in der Bürgerwehr aufgehoben wären.
Dann standen sie vor einer grün gestrichenen Tür, auf die mit weißer Kreide ein Symbol der Peraine und eines des Sonnengottes Praios gemalt war.
»Was sollen diese Schutzzeichen?« fragte Marcian irritiert.
»Das wirst du gleich sehen«, entgegnete Gordonius knapp und schloß die Tür auf. Dann huschte er ins Zimmer und zog Marcian hinter sich her. Ein atemberaubender Gestank schlug den beiden entgegen, und an Stelle eines Grußes war ein schwaches Stöhnen zu vernehmen. Die Vorhänge verdunkelten die kleine Kammer. Es gab gerade genug Platz für ein schmales Bett, einen Tisch und einen Schemel. Dicht neben dem Bett flackerte eine fast herabgebrannte Kerze.