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Der Therbunit hob den Stummel auf und entzündete daran einen fünfarmigen Leuchter, der auf dem Tisch stand. Die Gestalt im Bett hatte sich die Decke über den Kopf gezogen und wimmerte leise.

Marcian atmete nur flach und zog die Luft durch den Mund ein. Je länger er in dem Raum war, desto beklommener fühlte er sich. Er bewunderte Gordonius, dem dieser Geruch scheinbar nichts ausmachte.

»Ich bitte Euch, beherrscht Euch«, flüsterte ihm der Therbunit ins Ohr. »Ich werde nun die Decke lüften, denn sonst können wir nicht verstehen, was er sagt, falls er überhaupt noch in der Lage ist, ein Wort von sich zu geben.«

Marcian mußte würgen, als er das Gesicht des Mannes erblickte. Sein Schädel war kahl; büschelweise lagen Haare im Bett, so als seien sie ihm erst in den letzten Stunden ausgefallen. Der Kopf wirkte seltsam deformiert. Große Beulen wölbten sich unter der Haut. Ein breiter Streifen von eitrigen Entzündungen zog sich in einem vielleicht handbreiten Streifen quer über das Gesicht. Den schrecklichsten Anblick bot allerdings die Nase. Sie war in den Schädel eingefallen, so daß in der Mitte des Gesichts ein rot entzündetes großes Loch klaffte.

In unregelmäßigen Abständen hustete der Mann.

Angeekelt wich Marcian zurück. Als Gordonius die Decke zurückgezogen hatte, war ein neuer Schwall übelsten Gestanks ins Zimmer gezogen. »Wer ist das?« flüsterte Marcian.

»Armand, der Sohn des Schusters in der Webergasse. Er hat in der letzten Nacht im Apfelhain Wache gehalten. Heute morgen hat man ihn dort bewußtlos gefunden. Zu dem Zeitpunkt hatte er nur einige Entzündungen im Gesicht. Doch seit er hier ist, verfällt er zusehends.«

»Was ist das für eine Krankheit?« Marcian zitterten die Hände. Lieber den grausamsten Schlachttod erleiden, als wie dieser Kerl bei lebendigem Leib verrotten. »Ist das ansteckend?«

Der Therbunit zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. So etwas habe ich in meinem Leben noch nicht gesehen. Was mich allerdings am meisten beunruhigt, ist der Geruch. Es riecht wie auf einem Totenfeld. Es stinkt nach Verwesung!« Gordonius' Stimme war zu einem Flüstern abgesunken, damit der Kranke nicht hören konnte, was sie besprachen. Der Mann im Bett röchelte. Er schien bei Bewußtsein zu sein. Seine Lippen erzitterten, ganz so, als wolle er etwas sagen.

»Eigentlich müßte der Mann schlafen. Vor einigen Stunden hat er angefangen, wie wahnsinnig zu schreien und seine Hände auf die Schläfen gepreßt. Er schien unerträgliche Schmerzen zu haben. Doch obwohl ich ihm ein hochwirksames Schlafmittel gegeben habe, ist er nicht wirklich eingeschlafen. Er bleibt halbwach.«

Armand wurde von einem Hustenkrampf geschüttelt und richtete sich ein wenig auf. Seine Augen waren glasig, so als könne er nicht mehr sehen. Würgend spie er aus. Marcian mußte sich abwenden. Er konnte den Anblick dieses entstellten Gesichts nicht mehr ertragen.

Armand röchelte.

»Er flüstert Euren Namen.« Der Therbunit blickte Marcian erwartungsvoll an. »Hört Ihr es nicht?«

Der Inquisitor konnte dem Blick des Therbuniten kaum standhalten. Es war ihm unmöglich, noch näher an das Bett heranzugehen. Es kostete ihn schon alle Kraft, überhaupt noch in diesem Zimmer zu bleiben. Doch sein Ohr dicht an den Mund des Sterbenden zu bringen, seinen fauligen Atem auf dem Gesicht zu spüren, das war mehr, als er ertragen konnte. Er blickte zu Boden. Dann sagte er leise. »Ich kann nicht. Bitte geht an meiner Stelle ans Bett.«

Gordonius lief rot an. »Ihr werdet einem Sterbenden doch nicht den letzten Wunsch abschlagen? Was seid Ihr für ein Mann?« Er packte ihn am Arm und zerrte ihn zum Bett.

Marcian fühlte sich wie gelähmt. Es war ihm unmöglich, sich zu wehren. In Gedanken sah er sich selber schon in einem Krankenbett liegen und bei lebendigem Leib verfaulen.

»... der dünne Mann ...«, flüsterte Armand.

Marcian versuchte nicht zu atmen. Er wollte diesen unheimlich verfärbten Lippen nicht zu nahe kommen.

»Kommandant, sein Gesicht...« Wieder schüttelte den Mann ein Hustenkrampf. Zitternd richtete er sich im Bett auf, starrte mit leeren Augen den Inquisitor an. »Der Apfelhain ... Tod ...«

Armand klammerte sich an den Umhang des Inquisitors.

Dann begann sich der Soldat zu erbrechen, und Marcian warf ihn zurück in die Kissen und sprang in blinder Panik auf. In zwei Schritten war er an der Tür. Gordonius machte erst gar keinen Versuch, ihn aufzuhalten. Der Inquisitor klammerte sich an das Geländer des Kreuzgangs und blickte auf den kleinen Garten hinab. Er wußte, daß die Kranken auf dem Gang ihn beobachteten, doch im Moment war ihm alles egal. Er brauchte frische Luft und bat die Götter um Vergessen. Er wollte sich nicht mehr an dieses schrecklich entstellte Gesicht erinnern. Nicht an den gräßlichen Gestank und am allerwenigsten an das, was er zuletzt gesehen hatte. Dieses gräßliche, sich windende Gewürm, das Armand erbrochen hatte, als Eiter und Blut ihm aus Mund und Nase schossen.

Marcian hatte schon viel in seinem Leben gesehen. Er hatte miterlebt, wie starke Männer am Schlachtfeldfieber verreckten, doch das hier übertraf alles.

Nach einer Weile hörte er, wie sich hinter ihm die Tür zu diesem verfluchten Krankenzimmer schloß.

»Er ist tot.« Gordonius stellte sich neben ihm an die Brüstung und sog begierig die frische Luft ein.

»Was hat er gehabt?« fragte Marcian mit tonloser Stimme.

»Ich weiß es nicht.« Der Therbunit schwieg.

»Wir sollten diesen Fall geheimhalten und seinen Leichnam noch in dieser Nacht verbrennen. Wenn bekannt wird, wie Armand gestorben ist, haben wir eine Panik in der Stadt.« Marcian hatte Gordonius gepackt. Wieder spürte er die Panik in sich aufsteigen.

Der Therbunit murmelte etwas Unverständliches und schüttelte ihn ab. Dann drehte er sich um und malte ein weiteres Bannzeichen auf die grüne Tür des Krankenzimmers und ein Boronsrad, das Symbol des Todes. »Fällt das den anderen Kranken nicht auf«, raunte ihm Marcian zu. »Der Tod ist bei uns beinahe täglich zu Gast. Niemand wird sich wundern, wenn solche Zeichen auf einer Tür sind, und es wird auch niemand Fragen stellen, wenn wir heute nacht einen Unbekannten in einem Leichtentuch heruntertragen. Besorgt mir genügend Brennholz, und wir werden ihn im Keller eines der zerstörten Häuser verbrennen.«

»Ihr werdet bekommen, was Ihr benötigt. Aber sagt, Gordonius, hat er Euch noch etwas über seinen Tod verraten?«

»Nein, sein letztes Wort war Apfelhain, doch wen wundert das, war dies doch offensichtlich der Ort, an dem er diesem dünnen Mann begegnet ist, von dem er faselte. Vielleicht hatten die Krankheit und das Fieber aber auch nur seine Sinne verwirrt.«

»Ja, vielleicht. « Marcian rieb sich nachdenklich das Kinn. An diesem Morgen war er nicht einmal dazu gekommen, sich zu rasieren. Dann wandte er sich zu Gordonius um. »Bis Sonnenuntergang werde ich einen Karren mit Holz schicken.« Der Therbunit nickte ihm zu und ging dann.

Marcian blieb noch einen Augenblick stehen. Er blickte an seinen Kleidern herab. Überall waren eingetrocknete Flecken vom Auswurf des Toten. Er würde die Sachen verbrennen, sich baden und zu Peraine beten, auf daß sie ihn und die Stadt vor dem Übel, das Armand befallen hatte, bewahren würde.

4

Obwohl sie nun schon eine ganze Weile zusammen mit Arthag unterwegs war, hatte Nyrilla sich noch immer nicht an das Aufsehen gewöhnt, daß sie beide in friedlicheren Landstrichen erregten. Kinder zeigten mit Fingern auf sie, und die Erwachsenen steckten die Köpfe zusammen.

Den Grund für dieses Gerede hatte ihr bislang aber noch niemand genannt. Schließlich schob es die Elfe einfach darauf ab, daß die Menschen halt badoc seien, was heißt, daß sie zu einfach im Geiste sind, um die wirklich wichtigen Dinge zu begreifen und sich dafür um so intensiver mit Unwichtigem beschäftigen.