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Als Alrik erwachte, konnte er sich verschwommen an Frauengesichter erinnern. Das Spiel einer Flöte hatte ihn geweckt. Ungläubig schaute er sich um. Er lag in einem hellen Raum mit hoher, geschwungener Decke. Das Zimmer schien zu einem Palast zu gehören. Beunruhigt blickte er auf seine Decke. Sie war aus roter Seide, und die weichen Kissen waren mit weißem Satin bezogen. Die Wände des Raumes waren mit Gemälden von ausgelassenen Jagdszenen geschmückt. Ungewöhnliche Bilder, dachte er. Der Künstler hatte Geschmack am Extravaganten. Einhörner, Mantikore und Pegasi tummelten sich auf den Wänden, und prächtig gewandete Jäger waren samt und sonders Elfen. Wahrscheinlich sollte irgendein Feenmärchen illustriert werden, doch für diese Kindergeschichten hatte sich Alrik nie sonderlich interessiert; so fiel ihm auch nicht ein, um welche Geschichte es sich hier wohl handeln mochte.

Dann dachte er wieder darüber nach, wie er wohl in diesen Palast gekommen war. Er erinnerte sich nur noch daran, daß er vor dem Häuptling der Olochtai durch den Wald flüchtete. Ob ihn die Kaiserlichen gefunden hatten? Die Pracht rund um ihn herum mochte zum Palast in Gareth passen.

Über einem Stuhl nahe dem Bett hingen Gewänder, die man wohl ihm zugedacht hatte. Der Oberst richtete sich auf, um sein Lager zu verlassen, doch kaum saß er aufrecht, da wurde ihm schwindelig. Ein stechender Schmerz meldete sich in seiner linken Seite. Stöhnend sank er in die Kissen zurück.

Zum Flötenspiel hatte sich inzwischen eine wunderschöne Frauenstimme gesellt, die ein trauriges Lied sang; jedenfalls klang es so, denn die Worte konnte Alrik nicht verstehen. Während er lauschte, wurde er immer müder. Und noch bevor das Lied geendet hatte, schlief der junge Ritter wieder.

Das nächste Mal erwachte der Oberst vom Duft einer Fleischbrühe. An seinem Bett saß eine schöne Frau, mit schlankem, blassem Gesicht, aus dem ihn zwei dunkle Mandelaugen anblitzten. Ihre Haare waren zu einer kunstvollen Frisur aufgetürmt. Alrik wünschte sich, den Rest seines Lebens nichts anderes mehr zu tun zu haben, als ihre Schönheit zu bewundern.

»Ihr müßt essen, edler Ritter.« Die Stimme der Frau war melancholisch, aber irgendwie fremd. Nicht, daß sie die Worte falsch betonte, doch klangen sie auf eigentümliche Art anders als gewohnt. Alrik versuchte sich aufzurichten, die Fremde drückte ihn jedoch sanft wieder in die Kissen zurück.

»Bleibt liegen. Eure Wunde ist noch nicht ganz verheilt. Wenn Ihr jetzt aufsteht, könnte sie wieder aufbrechen, und all meine Mühe wäre vergebens gewesen.«

»Was für eine Wunde?« fragte Alrik verstört.

»Nun, es sieht ganz so aus, als hättet Ihr Euch dem Jagdspeer eines Orks in den Weg gestellt. Ganz zu schweigen von Euren alten Verletzungen. Ich möchte Euch ja nicht zu nahe treten, Ritter, aber mir scheint, als seien Eure Wunden von einem Stümper behandelt worden.«

Alrik schwieg und ließ sich fallen, wie die Frau ihn mit der Fleischbrühe fütterte. Doch schon nach wenigen Löffeln siegte erneut seine Neugier. »Wie bin ich hierhergekommen, und was ist das für ein Ort?«

»Meine Diener haben Euch aus Eurer Welt geholt«, sagte die Frau mit zuckersüßer Stimme. Alrik schluckte. Plötzlich hatte er einen dicken Kloß im Hals. Eine andere Welt? Das erklärte alles? Er war tot! Was sonst konnten ihre Worte bedeuten?

Unsicher blickte sich der Ritter um. Das kostbar eingerichtete Zimmer, die wunderschöne Frau. Das alles paßte zusammen. Und doch war er enttäuscht. Insgeheim hatte er immer gehofft, an Rondras Ehrentafel aufgenommen zu werden. Sein ganzes Leben war der Göttin des Krieges geweiht gewesen. Immer hatte er versucht, sich tugendhaft und ritterlich zu verhalten. Aber jetzt war er an einem Ort, von dem er nicht einmal wußte, welchem der Zwölfgötter er diesen Platz zuordnen sollte.

»Wo bin ich hier?« fragte er seine hübsche Krankenpflegerin.

»In Sicherheit vor Euren Verfolgern«, antwortete die Frau und lächelte hintersinnig, wie es Alrik schien.

Die Unbekannte stellte die halbleere Suppenschüssel auf den Boden und strich ihm über die Brust. Dann wanderten ihre schlanken Hände langsam tiefer.

»Bald werdet Ihr wieder gesund sein. Ich freue mich, Euch hier zu haben. Ihr ahnt gar nicht, wie langweilig ein schier ewiges Leben sein kann. — Übrigens, habe ich Euch schon gesagt, daß Ihr ein außerordentlich schöner Mensch seid?«

Alrik schluckte wieder. Die Liebkosungen der Fremden waren aufreizend und erregend. Der junge Oberst überlegte. Bislang hatte er sich Rahja, die Göttin der Liebe, immer ganz anders vorgestellt.

Die Frau stand auf und blickte ihn auf eine Art an, daß er sich wie berauscht fühlte. Dann griff sie nach etwas, das auf dem Boden stehen mußte. Sie hob einen schwarzen Pokal.

»Trink, mein Ritter.«

Und gierig leerte Alrik den Kelch.

»Ihr werdet jetzt schlafen. Wenn Ihr wieder erwacht, werden Eure Wunden verheilt sein, und Ihr habt genug Kraft, um dieses Gefängnis aus Seide und Satin zu verlassen.«

Die Stimme klang jetzt wie von fern. Alrik sah der schönen Fremden nach. Er wollte, daß sie an seiner Seite blieb, doch noch bevor sie das Zimmer verlassen hatte, war der junge Ritter schon wieder eingeschlafen.

Alrik war völlig geheilt. Er fühlte sich so stark und unbesiegbar wie nie zuvor in seinem Leben. Jeden Abend labte er sich am kraftspendenden Nektar des schwarzen Kelches. Er gab ihm Kraft und verschönerte die Nächte, die er mit der geheimnisvollen Fremden verbrachte. Zuerst hatte er sich noch über die vielen Elfen an ihrem Hof gewundert. Nicht ein Mensch war ihm in all den Tagen begegnet, obwohl er mit seiner Geliebten weite Ausritte unternommen hatte. Doch eine Göttin zu fragen, war eines Sterblichen nicht würdig. Mit jedem Tag wurden seine Zweifel geringer. Erlittene Qualen erschienen ihm so fern, daß er sich ihrer kaum noch erinnerte.

Ständig neue Wunder hielten ihn gefangen, wobei er so begeistert und verblüfft war, daß er nichts von allem hinterfragte. Es wunderte ihn nicht, daß es in dieser Welt keine Sonne und weder das Madamal noch Sterne gab. Statt dessen erhellte der Himmel ein gleichmäßiges, blaues Licht, das in einem Tag- und Nachtrhythmus von einem tiefen, samtigen Blau bis hin zu einem blendend hellen Ton reichte.

Die Pflanzen trieben üppige Blüten in allen nur erdenklichen Farben, doch waren ihre Blätter dafür von einem fahlen, silbrigen Grün.

Höhepunkte des Tages waren die großen Bankette in den frühen Abendstunden. Sie wurden in einer Halle abgehalten, deren Abmessungen so gewaltig waren, daß Alrik in dem blauen Licht, das hier noch intensiver als draußen war, die Decke des gewaltigen Saales nicht erkennen konnte. An den Wänden bewegten sich in leichtem Wind Gobelins, die so hoch hinauf reichten, daß man die höchsten Türme Gareths hinter ihnen hätte verstecken können.

Die Gesellschaft, die sich hier versammelte, war ein bunter Reigen aus eleganten Rittern und schönen, grazilen Damen. Unablässig wurde Musik gespielt. Beeindruckt war der Oberst auch von den Reden, die bei Tisch geführt wurden. Es herrschte ein leicht ironischer Ton, und selbst die Spaße enthielten stets einen Hauch von Boshaftigkeit. Doch zu ihm war man freundlich. Alrik thronte am Kopf der Tafel, gleich neben der schönen Unbekannten, die ihn gepflegt und geheilt hatte. Sie schien die Herrin dieses Schlosses zu sein.