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Wie versteinert stand er vor den Flammen, starrte in ihr schmerzverzerrtes Gesicht und hörte ihr Betteln, das immer mehr zu einem tonlosen Winseln wurde. Marcian stand völlig steif, unfähig, sich zu bewegen, doch jedes ihrer Worte stach wie Dolche nach seinem Herzen. Innerlich verfluchte er sich wegen seiner Feigheit. Er hatte die Wahl gehabt, mit ihr zu sterben oder die Fackel an sie zu legen. Er hatte sich für die Inquisition entschieden!

Auf Anraten des Barons war er nicht einmal in Jorindes Zelle gewesen, um mit ihr zu sprechen. Selbst als ein bestochener Wächter ihm einen Brief brachte, in dem sie ihn anflehte, sie noch ein letztes Mal vor ihrem Tod zu besuchen, war er nicht gekommen. Statt dessen hatte er der hochnotpeinlichen Befragung beigewohnt und gesehen, wie die Folterknechte den Körper schändeten, den er so oft liebkosend gestreichelt hatte.

Zum Schluß hatte Jorinde alle Schuld auf sich genommen. Sie hatte behauptet, der Namenlose selbst habe ihr auf getragen, Marcian zu verführen, und so rettete sie das Leben des jungen Inquisitors. Während des ganzen Geständnisses schaute sie ihn mit ihren grauen Augen an, mit diesem Blick voller Liebe, der ihn schon am ersten Tag ihrer ersten Begegnung in seinen Bann geschlagen hatte, als sich Jorinde auf dem Markt von Gareth bemühte, ihm halbverwelkte Herbstblumen zu verkaufen.

Er hatte damals alle Blumen gekauft und ihr anschließend geschenkt, und noch bevor es Nacht wurde, hatte sie ihm verraten, daß sie in einer kleinen Hütte nahe dem Dorf Silkwiesen vor den Toren der Hauptstadt wohnte. Einen Sommer und zwei Winter hatte Marcian sie regelmäßig in der kleinen Hütte besucht, und die Stunden mit ihr waren die glücklichste Zeit seines Lebens gewesen. Er hatte sogar überlegt, seinen Dienst bei der Inquisition aufzugeben, um jeden Tag mit ihr teilen zu können, doch sie war es gewesen, die ihm davon abriet.

Und dann kam die Nacht, die ihrer beider Leben zerstörte. Während Marcian mit leeren Blicken in die Flammen starrte, erstanden die Bilder jener Schreckensnacht wieder vor seinem geistigen Auge. Der Winter war schon weit fortgeschritten gewesen. Der Schnee hatte angefangen zu tauen, und der Inquisitor trieb seinen Hengst in gnadenloser Hatz über die schlammige Straße, um zu seiner Geliebten zu gelangen.

Als er Jorindes Hütte erreichte, war der Braune schaumbedeckt. Er warf seinen Umhang über das zitternde Tier. Dann stutzte er, denn die Tür des kleinen Hauses, das aus massiven Baumstämmen gezimmert war, stand weit offen. Jorindes Namen auf den Lippen, stürmte er hinein. Das Feuer im Kamin, an dem sie sich nach ihren wilden Spielen so oft gewärmt hatten, war erloschen. Die alten Möbel, die schon Jorindes Großmutter gehört hatten, waren zerschlagen. Und all die kleinen Tiegel, die sie auf schmalen Brettern dicht unter der mit trocknenden Kräutern verhangenen Decke gestapelt hatte, lagen in Scherben. Dann legte sich eine Hand schwer auf Marcians Schulter, und eine ihm bekannte Stimme rief: »Im Namen des Praios seid Ihr, Marcian, Inquisitor im Dienste des Lichtboten, hiermit wegen der Buhlschaft mit einer Hure des Namenlosen verhaftet.«

Als Marcian sich umdrehte, blickte er in das boshafte Gesicht Graf Gumberts. Der alte Mann trug eine schimmernde Rüstung, ganz so, als wolle er in die Schlacht reiten, und ein schwerer Umhang aus Wolfspelz fiel von seinen Schultern.

»Packt ihn!« rief der Graf, und Kriegsknechte griffen nach Marcian und zerrten ihn in einen dunklen Gefängniswagen, indem er heimlich nach Gareth gebracht wurde. Das letzte, was er sah, bevor sich die schwere Tür des Wagens hinter ihm schloß, war, wie Soldaten Fackeln auf das Dach der Hütte warfen, um den Ort, an dem er glücklich gewesen war, für immer zu zerstören.

Daß man ihn in der Kaiserstadt nicht in den Kerker warf, verdankte Marcian der Fürsprache Dexter Nemrods. Ihm war auch zuzuschreiben, daß er in dem Prozeß unter der Bedingung freigesprochen wurde, seine Unschuld zu beweisen, indem er selbst die Fackel an den Scheiterhaufen der Hexe Jorinde legte. Er hatte vor den Augen seiner Geliebten diesen Eid geleistet, doch als man sie an ihm vorbei aus dem Gericht führte, flüsterte sie mit fester Stimme: »Ich weiß, daß man dich dazu gezwungen hat, mein Geliebter, und deshalb vergebe ich dir, selbst wenn ich morgen von deiner Hand sterben muß. Und sei dir gewiß, daß ich auch über den Tod hinaus immer bei dir sein werde, um dich zu ...« Ihre letzten Worte konnte er nicht mehr verstehen, denn die Wächter zerrten sie grausam an ihren Ketten von ihm weg.

Ein böiger Wind war aufgekommen und blies in die Flammen des Scheiterhaufens. »Bitte gib mir einen gnädigeren Tod«, röchelte es aus dem Feuer. Marcian konnte Jorinde hinter der Flammenwand kaum noch sehen. Sie schien in ihren Ketten nach vorne gesunken zu sein und keine Kraft zum Schreien mehr zu haben. Nur ein leises Wimmern war noch zu hören, unterbrochen von einem Flüstern, das klang, als bäte sie Satuaria, die Göttin der Hexen, um Erlösung.

Noch einmal ließ eine Windbö den Scheiterhaufen auflodern, dann war es still, und ein schwerer Regen setzte ein, der die Flammen erstickte und den gräßlich entstellten Körper, der grotesk verrenkt in den Ketten vom Pfahl herabhing, den Blicken der Inquisitoren enthüllte.

Es waren längst alle gegangen, als Marcian noch immer vor dem Scheiterhaufen stand und auf das starrte, was einst seine Geliebte gewesen war. Dann packte ihn der Wind. Wild zerrte er an Marcians Umhang und riß den jungen Inquisitor schließlich vom Boden, um ihn in die Luft zu schleudern, worauf er schließlich die Besinnung verlor.

Als er erwachte, befand er sich noch immer in der Luft. Rund um ihn war es finster, und eine Stimme im Wind flüsterte: »Ich weine noch immer um dich, Marcian. Wenn du nicht lernst, auf dein Herz zu hören, wird es dein Schicksal sein, immer einsam zu bleiben, denn siehe, welches Unglück dir eine mögliche Zukunft bringt!«

Und wie aus dem Nichts erstanden vor ihm Flammen, und als sie sich teilten, sah er mitten in dem Feuer Cindira stehen, die verzweifelt nach einem Ausweg sucht, während ihre Haare und ihr Gewand schon Feuer gefangen haben.

Marcian, der schweigend zugesehen hatte, wie vor seinen Augen Jorinde verbrannt war, begann nun zu schreien. Und als er die Götter verfluchte, die solches Unrecht billigten, stürzte er aus dem Himmel.

Als der Inquisitor wieder bei Sinnen war, fand er sich in seinem Zimmer im Bergfried. Er lag in seinem zerwühlten Bett, an seiner Seite Cindira. Er schien nicht wirklich geschrien zu haben, jedenfalls lag seine Geliebte immer noch in tiefem Schlaf. Zärtlich strich er ihr das Haar aus dem Gesicht und betrachtete ihre ebenmäßigen Züge. Wie ein kleines Tier hatte sie sich zusammengerollt, die feine Leinendecke eng um sich geschlungen. Das schwere Wildschweinfell war vom Bett gerutscht. Marcian fröstelte. Obwohl er die hölzernen Läden vor dem Fenster und den Schießscharten geschlossen hatte, zog es unangenehm in dem Zimmer. Die Kohlen in den beiden großen eisernen Becken glimmten nur noch matt und spendeten fast keine Wärme mehr. Das Feuer im Kamin war ganz erloschen. Marcian stand auf, umrundete das Bett und legte vorsichtig das Wildschweinfell über Cindira, die unruhig stöhnte. Sie schien von einem schlechten Traum geplagt zu sein. Einen Moment überlegte er, ob er sie wecken sollte, doch dann ging er zum Fenster hinüber und öffnete den großen hölzernen Laden. Ein Schwall kalter Nachtluft schlug ihm entgegen. Er ging zum Kleiderständer dicht bei dem Kamin und nahm seinen Umhang herunter, um ihn sich um die Schulter zu werfen. Dann ging er zum Fenster zurück und blickte über die schlafende Stadt. Der Monat Travia hatte begonnen, und die Orks hatten sich immer noch nicht von der schweren Niederlage beim Sturmangriff auf die Stadtmauern erholt. Dennoch hielten sie die Belagerung aufrecht. Sie hatten neue Katapulte gebaut und ihre Verteidigungsanlagen weiter gesichert. Diese Sicherungen waren im Grunde überflüssig. Die wenigen guten Einheiten, über die Marcian verfügt hatte, waren bei dem schweren Gefecht aufgerieben worden. Es hatte mehr als dreihundert Tote in Greifenfurt gegeben und noch einmal so viele Verletzte.