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Der Zwerg Linosch war ziemlich aufgeregt. Er wollte auf keinen Fall, daß die Fee sie bei ihm fand, und bemühte sich, sie so schnell wie möglich aus der Höhle zu komplimentieren.

»Nichts für ungut, Kinder, aber wer hier lebt, kann es sich nicht leisten, sich schlecht mit Leriella zu stellen ...«

Durch die Höhle hüpfte ein großer schwarzer Rabe und tat sich an den Resten des Frühstücks gütlich.

»Kroah wird euch begleiten und warnen, wenn die Fee und ihre Häscher euch zu nahe kommen. Sobald ihr den Berg verlaßt, wird er allerdings zu mir zurückkehren.«

Alrik wollte nach einigen Resten vom Frühstück greifen, doch Linosch packte ihn am Ärmel und zerrte ihn in die Eishöhle. Auf seinen Rücken geschnallt hatte der Zwerg einen großen, runenverzierten Rundschild dabei.

Draußen erwartete sie ein klarer Himmel. Ihr Atem bildete kleine Dampfwölkchen; es war schneidend kalt.

»Ihr müßt über die Eisbrücke kommen, bevor Leriellas Häscher sie erreichen. Von dort gibt es viele Abstiege in die Seitentäler. Am besten haltet ihr euch in nördlicher Richtung. Entschuldigt, wenn ich das Gastrecht so grob mißachte, aber ich weiß nur zu gut, was denjenigen erwartet, den der Zorn der Fee trifft.«

Linosch trat verlegen von einem Fuß auf den anderen, während Andra schon den Braunen am Zügel gepackt hatte und das Schneefeld hinabstieg. »Warte noch einen Moment, Ritter.« Der Zwerg hatte Alrik am Arm gepackt.

»Paßt mir gut auf die Kleine auf, hörst du? Sie ist manchmal etwas übermütig und unbedacht. Seid vorsichtig, wenn ihr Leriellas Elfenfreunden begegnet. Sie sind zwar miserable Schwertkämpfer, aber dafür tödliche Bogenschützen. Kroah hat mir erzählt, daß es nicht mehr lange dauern wird, bis die ersten das Schneefeld erreichen. Nimm diesen Schild mit, und reite du das Pferd.«

Linosch schnallte sich den großen Rundschild vom Rücken. »Er ist ein kostbares Erbstück aus der Zeit, als wir Zwerge noch mit dem Elfenvolk und deiner Welt im Krieg lagen. Seine magische Kraft ist fast erschöpft, aber für dieses eine Mal wird er hoffentlich noch nutzen. Wann immer Bogenschützen auf dich anlegen, hebe den Schild und rufe laut ›Schütze mich‹, dann wird er alle Pfeile abfangen, die auf dich, dein Reittier und jeden, der hinter dir im Sattel sitzt, abgeschossen werden ...«

»Kommst du endlich!« rief Andra, die mit dem Pferd am Zügel schon ein ganzes Stück ins Schneefeld abgestiegen war. »Oder hast du beschlossen, dort oben auf deine Fee zu warten?«

»Mach dich auf den Weg, Ritter, und viel Glück! Ihr werdet es brauchen.« Der Zwerg schneuzte sich. »Na los, steh hier nicht weiter rum, und glotz mich nicht an wie ein Kalb. Verdammt kalt hier draußen.«

»Vielen Dank!« Alrik hob den Schild, den er sich um den Arm geschnallt hatte zum Gruß und rannte dann hinter Andra den verschneiten Hang hinab.

Kroah war die Bergflanke hinabgeflogen, um Ausschau nach den Häschern der Fee zu halten. Jetzt zog er enge Kreise über ihren Köpfen.

Vor Alrik und Andra lag bläulich schimmernd die Eisbrücke.

»Es kommen mehr Krieger, als ich Krallen habe«, krächzte der Rabe vom Himmel.

»Und wie weit sind sie noch entfernt?« rief die Jägerin.

»Bis zum Eis, das den Himmel durchspannt, haben sie noch zwei Flügelschläge, und sie tragen Äste mit Federn bei sich ...«

»Sprich mit einem Vogel, und du erhältst immer eine klare Antwort«, lamentierte Alrik.

»Jedenfalls können sie nicht mehr weit fort sein.« Die Jägerin war aus dem Sattel gesprungen und musterte die andere Seite der Schlucht. Alles schien ruhig, doch konnten sich zwischen den Felsbrocken und mannshohen Schneeverwehungen auf der anderen Seite leicht ein paar Dutzend Krieger verborgen haben.

»Vielleicht solltest du mir einfach mal die Führung überlassen?« Alrik saß immer noch im Sattel und blickte zu Andra herab. »Schließlich bin ich ein Krieger, und wir sind jetzt in einer Lage, die einen Krieger erfordert. Vertrau mir, ich hole uns schon hier raus.« Der Ritter streckte die Hand nach ihr aus.

Andra blickte ihn zweifelnd an.

»Komm schon, uns bleibt nicht mehr viel Zeit.« Der Hengst begann unruhig zu tänzeln. Schließlich ergriff die Jägerin seine Hand und schwang sich hinter ihm in den Sattel.

»Vertrau mir«, rief Alrik noch einmal und gab dem Pferd die Sporen. Wie von Dämonen getrieben, preschte der Braune auf die Brücke, so daß das Eis bedenklich unter seinen Hufen knirschte.

»Bist du wahnsinnig?« kreischte Andra. »Laß mich sofort runter! Du bringst uns noch um.«

»Klammer dich an meine Hüfte, ich werde gleich beide Hände brauchen«, erwiderte der Ritter kühl. Dann zog er den Schild vom Rücken auf den Arm, nahm die Zügel zwischen die Zähne und zog mit der Rechten sein Schwert.

Als sie die Mitte der Brücke passiert hatten, begann der Braune auf dem Eis zu rutschen. Starke Windböen drohten ihn aus der Balance zu bringen, und der Hengst stieg wild wiehernd auf seine Hinterbeine. Alrik hörte, wie Andra hinter ihm angefangen hatte, leise zu den Göttern zu beten. Krampfhaft hielt sie sich mit beiden Armen an ihm fest.

Mit beruhigenden Worten und leichtem Schenkeldruck versuchte der Ritter das scheuende Pferd unter Kontrolle zu halten. Der Hengst hatte wieder Halt gefunden.

Unmittelbar vor ihnen lag die schmälste Stelle der Brücke. Dort war ein großes Stück aus dem Eisbogen herausgebrochen. Wenn sie das erst hinter sich hatten, dann wäre es geschafft, dachte Alrik. Dort war die Gefahr am größten, daß die Brücke brach.

»Komm, mein Brauner, bringen wir es hinter uns«, flüsterte er dem Pferd ins Ohr.

»Das kannst du dir sparen. Schau mal ans Ende der Brücke«, erklang Andras Stimme hinter ihm. »Dort marschieren die Krieger deiner Freundin auf.«

Alrik hob den Kopf. Eine Handvoll Elfen blockierte das vor ihnen liegende Ende der Brücke.

»Mach dir keine Sorgen, daß ist kein wirkliches Problem«, brüllte Alrik, um das Getöse des Windes zu übertönen.

»Wie kommt es nur, daß ich immer bei diesen Worten anfange, mir Sorgen zu machen?«

Statt einer Antwort gab der Ritter dem Pferd die Sporen. »Für den Prinzen!« schrie er aus vollem Halse, während der Hengst mit einem gewaltigen Satz über die Engstelle hinwegsetzte. Unter ihnen krachte und knirschte das Eis. Große Stücke brachen aus der Brücke und stürzten in den bodenlosen Abgrund. Ein Netzwerk feiner Risse durchzog das Eis. Alrik schloß die Augen und trieb das Pferd gnadenlos vorwärts.

Dann hatten sie es geschafft. Das gefährlichste Stück der Brücke lag hinter ihnen. Alrik öffnete die Augen und vermied es, in den Abgrund zu blicken. Bis zu den Kriegern am anderen Ende mochten es jetzt vielleicht noch zwanzig Schritt sein. Sie schienen damit zu rechnen, daß er sich ergeben würde. Dumm ...

»Attacke!« brüllte der junge Oberst aus vollem Halse und ließ sein Schwert über dem Kopf kreisen.

Die Elfenkrieger vor ihm rissen eilige Bögen von der Schulter und legten auf ihn an.

Für gut gezielte Schüsse würde ihnen keine Zeit mehr bleiben. »Schütze mich«, murmelte der Ritter und schob den Schild vor seine Brust.

Krachend schlugen zwei Pfeile in den Runenschild.

Dann hatten Alrik die Elfen erreicht. Den vordersten zerschmetterten die Hufe des gewaltigen Hengstes. Einen anderen traf Alrik mit dem Schwert. Doch statt in alle Richtungen davonzustieben, versuchten die Krieger ihn und Andra vom Pferd zu zerren.

»Folge der Felsspalte nach Westen«, schrie die Jägerin, während sie den Schwerthieb eines Elfen parierte.

Alrik ließ den Hengst steigen, so daß ihre Widersacher ängstlich vor den Hufen zurückwichen. Dann brach er durch die Linie der Feinde und galoppierte nach Norden.

Zischend flogen ihnen Pfeile um die Ohren. Doch schon nach wenigen Augenblicken hatte das kräftige Pferd sie aus der Reichweite der Bogenschützen getragen. Rund um sie spritzte der Schnee in weißen Fontänen auf, während sich der kräftige Hengst unermüdlich vorwärts arbeitete. Als keine Gefahr mehr bestand, noch von einem Pfeil getroffen zu werden, stieß Linoschs Rabe wieder zu ihnen. »Pferdemänner kommen. Mehr als gestern Wolken am Himmel waren. Sie sind schnell.«