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Während er sprach, war Leriellas Ritter wieder an den Abgrund herangekommen. Nur wenige Schritt trennten sie. Alrik grinste ihn erschöpft an: »Nun, wie es scheint, brauchtet Ihr nun wohl Flügel, um mich noch einmal der Gastfreundschaft Eurer Herrin zuzuführen.«

»Triumphiert nicht zu früh, Oberst. Glaubt mir, mir ständen noch ganz andere Mittel zur Verfügung, Euch zu bekämpfen, doch Ihr, Ritter Alrik, seid ein Mann des Schwertes, und deshalb werde ich Euch nur mit der blanken Waffe entgegentreten, so wie es der Ehrenkodex unter Rittern erfordert. Nun schaut, daß Ihr Euer Pferd wiederfindet und in Sicherheit kommt, denn hier seid Ihr nicht annähernd so sicher, wie Ihr glaubt.« Die Worte des Feenritters wurden durch lauter werdendes Hufgetrappel unterstrichen. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis die Verfolgerschar die halb zerstörte Brücke erreichen würde. Alrik hob seine Hand zum Gruß. »Es war mir eine Ehre, mit Euch zu kämpfen, und ich wünschte, daß wir uns unter einem besseren Stern begegnet wären. Nennt mir Euren Namen, Ritter, damit ich weiß, mit wem ich eine Lanze breche, falls wir uns wirklich so schnell Wiedersehen, wie Ihr sagt.«

»Man nennt mich Mandavar vom Walde, Ritter Alrik, doch nun eilt Euch.« Ohne ein weiteres Wort drehte der Feenritter sich um und stieg in den Sattel.

Alrik begann zu laufen, um die nächste Kehre des Weges zu erreichen, bevor die anderen Verfolger eintrafen. Vielleicht führten einige von ihnen Bögen mit sich und hatten eine weniger strenge Auffassung von Ritterschaft.

7

Viele Tage und Nächte hatte Alrik seine Gefährtin gesucht, doch vergebens. Die Jägerin war nicht zu finden. Der Ritter hatte die Klippen am Fuß des steilen Absturzes, den sie hinunterklettern wollte, durchkämmt und in den Wäldern, die den Berg umgaben, nach ihr gesucht, doch Andra blieb verschwunden.

Auch die Bewohner der Felsen und Wälder hatten die Jägerin nicht gesehen. Er war bei den scheuen Waldschraten gewesen, um nach ihr zu fragen, und auch bei Wurzelbolden, die er auf einer Lichtung angetroffen hatte. Fast wäre versehentlich er auf die kleinen Gestalten getreten, denn ihnen wuchsen Blumen und Grasbüschel aus dem Rücken, so daß man sie meist erst bemerkte, wenn man mitten unter ihnen stand. Nur durch Zufall war kein Unglück geschehen, und zunächst hatte er den Wurzelbolden nur Flüche und Beschimpfungen zu hören bekommen, wie man nur so blind über eine Lichtung stolpern könne. Erst als er ihnen ein wenig Brot aus seinem Proviantbeutel geschenkt hatte, beruhigte sich das kleine Volk, und er konnte mit ihnen reden. Doch wußten sie weder, wo Andra zu finden sei, noch kannten sie den Sohn Serleens, von dem die Jägerin erzählt hatte, und so ritt Alrik schließlich enttäuscht weiter.

Alrik verwirrte das Feenreich mit jedem Tag mehr, den er durch die lichtdurchfluteten Wälder und weiten Graslandschaften zog. Ohne die Sonne oder Sterne, die zur Orientierung dienten, war es unmöglich, eine Richtung beizubehalten. Der Ritter hatte das Gefühl, sich immer mehr zu verirren und von seinem eigentlichen Ziel zu entfernen.

Eines Nachts hatte er kleine, leuchtende Wesen mit Schmetterlings- und Libellenflügeln gesehen, die in verwirrendem Reigen um einen Felsen auf einer Lichtung tanzten. Doch obwohl sie von vielen wunderbaren Dingen wie von Schiffen, die über die Wipfel der Bäume glitten, und Reitern, die auf dem Kamm von Wellen galoppierten, zu erzählen wußten, konnten sie ihm bei seiner Suche nicht weiterhelfen.

Wenigstens hatte er in dieser Nacht Andras Hengst wiedergefunden. Noch auf dem Steilpfad in den Felsen hatte der Braune das Seil durchgebissen, an dem der Pfeiler der Brücke hing. Befreit von dieser Last, war er in die Wälder gelaufen und genauso unauffindbar wie seine Herrin gewesen. Doch dann wies eine überaus charmante Nymphe, die der Ritter an einem verborgenen Waldquell getroffen hatte, ihm den Weg zu Andras Pferd. Dabei erzählte sie kokett kichernd, wie der Hengst einen halben Tag lang vergeblich, einem Einhorn hinterhergelaufen war.

So fand er Andras Pferd auf einer Lichtung, wo es zwischen lamentierenden Wurzelbolden friedlich graste. Ohne zu scheuen, ließ es sich einfangen. Doch von Andra fand sich auch hier keine Spur.

Alrik wußte nicht mehr, wie lange er gesucht hatte, als er eines Morgens den Entschluß faßte aufzugeben. Noch einmal blickte er zu dem Berg zurück, auf dem sie sich geliebt hatten. Wolken verbargen den schneebedeckten Gipfel, dort wo Linoschs Höhle lag. Der Ritter seufzte, dann gab er dem Braunen die Sporen. Er mußte von hier fortkommen. Sollte Andra noch leben, würde sie ihn finden, gleichgültig, wohin er ging. Und wenn sie nicht mehr lebte ... Alrik schluckte. Er mochte sich nicht vorstellen, wie seine Geliebte mit zerschmetterten Knochen irgendwo zwischen den Felsen lag.

Wütend trieb er das Pferd zum Galopp. Er wollte den Wind auf den Wangen spüren. Plötzlich hörte er zu seiner Linken das Geräusch von brechenden Ästen. Der Oberst zügelte das Pferd und zog sein Schwert. Er legte dem Hengst die Hand auf die Nüstern und lauschte, als plötzlich eine vertraute Gestalt hinter einem Birkenstamm hervortrat.

»Andra!« Alrik wollte aus dem Sattel springen und sie umarmen, doch die Jägerin hob warnend den Arm.

»Sei leise!« zischte sie und musterte nach einem kurzen Blick auf den Ritter wieder aufmerksam das Dickicht des Waldes. Auch Andra hatte ihr Schwert gezogen.

Die Augen noch immer auf den Waldrand geheftet, kam sie zu Alrik herüber und zog sich hinter ihm in den Sattel.

»Reite jetzt langsam weiter«, wisperte sie ihm ins Ohr.

»Aber ...« Alrik begriff nicht, was das sollte. »Warum machst du so ein Aufhebens? Fürchtest du dich vielleicht vor einem Keiler?«

Statt einer Antwort schnaubte die Jägerin verächtlich und gab dem Braunen einen Klaps, so daß sich der Hengst in Bewegung setzte.

Während sie auf einem schmalen Weg tiefer in den Wald hineinritten, schaute die Jägerin immer wieder zurück. Doch es war weder etwas zu sehen noch etwas zu hören. Sie mochten vielleicht eine Viertelmeile geritten sein, als Alrik das Schweigen brach. »Wovor fürchtest du dich eigentlich?«

»Es gibt in diesem Wald auch weniger freundliche Wesen als Nymphen und Wurzelbolde. Jedenfalls war das, was eben solchen Lärm gemacht hat, kein Keiler. Ich hoffe, es folgt uns nicht.« Wieder blickte Andra den Weg zurück, den sie gekommen waren.

»Wovon redest du?« Alrik wurde allmählich ärgerlich. »Meinst du einen Riesen oder einen Drachen?«

»Nein, Riesen und die Kinder Pyrdracors haben bislang noch keinen Weg in dieses Feenreich gefunden. — Für das, was wir gehört haben, gibt es in deiner Welt keinen Namen. Die Wurzelbolde nennen es ›den Baumbrecher‹, weil dieses Wesen nichts aufhalten kann, wenn es einmal wütend ist.

Die Feen haben ihm einen anderen Namen gegeben. Sie nennen es in diene Sprache übersetzt ›der, der mit dem Wind zieht‹, weil diese Kreatur nie lange an einem Ort bleibt. Doch es scheint kein Interesse an uns zu haben.«

Alrik blieb stumm. Wohl zum tausendstenmal wünschte er sich, diese Welt endlich wieder verlassen zu können. Er würde die Geschöpfe des Feenreiches und die Gesetze, denen sie gehorchten, nie begreifen. Die schöne Leriella, die ihn erst verführte und nun so gnadenlos verfolgen ließ. Die Nymphen, die in so unkeuscher Nacktheit durch den Wald streiften und ihm des Nachts mit flüsternder Stimme eindeutige Angebote gemacht hatten.

»Wie weit ist es denn noch, bis wir diesen Ornaval finden, von dem du erzählt hast?«

»Das ist schwer zu erklären.« Andra schwieg einen Augenblick, so als würde sie nach Worten suchen. »Wir sind jetzt in einem ganz besonderen Wald. In der Welt, die du kennst, würde man ihn einen Zauberwald nennen, doch das trifft die Sache nicht richtig. Die Entfernungen sind hier völlig anders. Ich bin schon oft von unserem Zwergenfreund zu Ornaval geritten. Manchmal habe ich ihn in wenigen Stunden erreicht, doch hat mich der Ritt auch viele Tage gekostet. Es ist wirklich ...«

»Reitet dieser Ornaval von einem Ort zum anderen?« unterbrach sie der Oberst. »Müssen wir ihn erst noch suchen?«