»Nun«, fuhr Tschubax fort. »Weil Ramoxosch III. ein König mit besonderen militärischen Qualitäten war, brach er nicht etwa nach Saljeth oder zu einer der anderen von Orks besetzten Siedlungen auf, sondern zog mit seiner verwegenen Schar nach Norden, um zunächst das Mutterland der Schwarzpelze zu verwüsten.«
»Entschuldigung, Eure Majestät, aber war es nicht so, daß Ramoxosch eigentlich nach den Schätzen von Umrazim, der versunkenen Zwergenstadt im Orkland, suchte?«
»Junge, du solltest dir merken, daß man einen älteren Zwerg nicht unterbricht, wenn er eine Geschichte erzählt. Einmal will ich dir diese Respektlosigkeit durchgehen lassen, doch beim nächsten Mal breche ich meine Erzählung ab, und du magst sehen, wo du dein Wissen herbekommst. Das Gerücht, daß Ramoxosch eigentlich zur Suche nach Umrazim gerüstet hatte, ist Unsinn. Eine Geschichte, die die Menschen erfunden haben, um den Glanz unseres Sieges zu trüben, so wie sie noch viele andere Dinge taten, damit in Vergessenheit geriet, was damals bei Saljeth wirklich geschah ...
Doch wo war ich stehengeblieben?«
»Bei Ramoxoschs Marsch in den Norden«, entgegnete Arthag, der verlegen auf den steinernen Boden der kleinen Felskammer blickte.
»Ja, so ist es mein Sohn. Ich erinnere mich wieder. Nun, der alte Ramoxosch hatte wohl schon mehr Lederzelte niederbrennen lassen, als Xorlosch Tunnel hat, und mehr Scharmützel geschlagen, als der älteste Zwerg seines Gefolges an Sommern gesehen hatte, da gelang es den Schwarzpelzen, ihm den Nachschub abzuschneiden. Für eine Weile konnte sein Heer noch von denjenigen Söhnen Tulams versorgt werden, die sich, als selbst die Berge noch jung waren, in den Norden begeben hatten, doch dann mußte der König zurück. Er durchquerte die Thaschberge und den Finsterkamm und erreichte schließlich den Quell der Breite. Immer wieder war sein Heer unterwegs von orkischen Wegelagerern aus dem Hinterhalt beschossen worden, doch wie du weißt, mein Sohn, kann nichts außer Angrosch ein marschierendes Zwergenheer aufhalten. Schließlich durchquerte man die Ebene, weil man glaubte, daß sich am Zusammenfluß von Breite und Ange das Hauptheer der Orken sammeln würde.
Doch keiner dieser Räuber ließ sich in diesem Landstrich blicken. So marschierte Ramoxosch, nachdem Nachschub und frische Truppen aus den Koschbergen eingetroffen waren, wieder die Breite hinauf, bis er wenige Meilen vor Saljeth in hügeligem Gelände in einen Hinterhalt geriet. Mehr Orks, als es Grashalme im Yaquirtal gibt, bestürmten den Schildwall, den unsere Ahnen auf einer Hügelkuppe bildeten. Vier Tage lang versuchten sie unsere Armee zu vernichten. Dann endlich waren ihre Verluste so groß, daß sie sich zurückziehen mußten. An diesem ruhmreichen Tag, über den du in keinem der Bücher, die die Menschen auf vergängliches Pergament und Papier schreiben, wirst lesen können, erlitten die Schwarzpelze ihre erste Niederlage, seit sie unter Nargazz Blutfaust ins Reich der Menschen eingefallen waren.«
Tschubax seufzte. Dann stand der Zwerg auf, nahm seinen Bierhumpen vom Tisch, ging zu dem Faß, das in der Ecke der kleinen Kammer stand, und füllte sich reichlich nach.
Arthag war froh, daß der Bergkönig so ins Plaudern geraten war. Der Amboßzwerg wollte mehr über Greifenfurt wissen und nicht Details über einen Feldzug ins Orkland, den Ramoxosch unternommen hatte. Nun sah es wenigstens so aus, als würde der König langsam zum Wesentlichen kommen. Die letzten Abende hatte Tschubax mit ihm über alles mögliche geplaudert. Ihre Gespräche begannen zwar stets mit Greifenfurt und der Geschichte der Menschen, doch über die Interpretation bestimmter vieldeutiger Runen, die Arthag auf den Säulen gefunden hatte, verloren sie sich immer wieder in weitschweifige Gespräche über Angrosch, die Zwölfgötter und die Geschichte des Zwergenvolkes.
Deshalb war Arthag diesmal anders vorgegangen. Er ließ zunächst den König reden. Fragen würde er ihm später stellen.
Inzwischen hatte Tschubax sich wieder auf dem hochlehnigen Sessel niedergelassen, nahm einen langen Zug und fuhr dann in seiner Erzählung fort.
»Nachdem Ramoxosch und seine Mannen den Orks ordentlich das Fell gegerbt hatten, beschlossen sie, den Schwarzröcken in Greifenfurt endgültig den Garaus zu machen. Sie folgten ihren geschlagenen Gegnern, die sich nach Saljeth zurückgezogen hatten. Die Stadt hatte damals noch keine steinernen Mauern, doch sie war durch mehrere hintereinanderliegende Erdwälle gesichert. Auf dem Hügel, der heute wohl inmitten der Siedlung der Menschen liegen muß, hatten die Orks Hunderte von Feldzeichen aufgestellt. Man konnte die zerrissenen Fahnen menschlicher Regimenter sehen und unzählige der mit Schädeln geschmückten roten Banner, die die Orkstämme im Kriege mit sich führen. Der oberste der Orkhäuptlinge war dort und alle wichtigen Schamanen seines Stammes. Doch das focht unsere Ahnen nicht an. Bei der Furt nahe dem Hügel durchquerten sie bis zu den Helmriemen im Wasser die Breite und vertrieben die Orks zunächst von der kleinen Felseninsel, die vor der Stadt liegt. — Heute steht dort die Burg des Markgrafen von Greifenfurt. — Nun ja, noch bevor der Troß mit Verpflegung und Ausrüstung nachgeholt werden konnte, tauchten unzählige Schwarzpelze aus dem hohen Gras westlich des Flusses auf und setzten mit Pfeilen alles in Brand.
Gleichzeitig schwollen auf unnatürliche Weise die Wasser der Breite an, so daß es Ramoxosch und der Hauptmacht unmöglich war, ihrem Troß zu Hilfe zu eilen. Von der Insel mußten sie hilflos mit ansehen, wie Zwerge, Troßknechte und Lasttiere niedergemacht wurden.
Danach traktierten die Schamanen Ramoxosch und seine Mannen mit allerlei götterlästerlichen Zaubern, doch unsere Geoden bereiteten dem Spuk schnell ein Ende.
Wohl oder übel mußte Ramoxosch nun warten, bis die Wasser des Flusses wieder sanken, während die Orks seine Mannen mit Pfeilen überschütteten. Ein törichtes Unternehmen, wurden sie so doch zur Beute unserer Armbrustschützen. Als der letzte Bolzen abgefeuert war, beschlossen Ramoxosch und seine Offiziere, noch die Nacht auszuharren, um im Morgengrauen den Fluß zu überqueren. Der Bergkönig schwor als erster zu gehen, selbst wenn ihm das Wasser des Flusses bis über die Zacken seiner Krone reichen würde.
Als am nächsten Morgen die Sonne so rot über dem Horizont aufstieg, als sei sie glühendes Eisen aus Ingerimms göttlicher Esse, da trat Ramoxosch in den Fluß, dicht gefolgt von den Männern seines Clans.
Noch während der König sich durch die grauen Fluten kämpfte, tauchten überraschend von Westen her Bogenschützen und eine Handvoll Reiter auf, um den Schwarzpelzen in den Rücken zu fallen. Doch in ihrer Verstocktheit wandten sich die Orks nicht etwa den neuen Feinden zu, sondern sie überschütteten unsere Ahnen, die durch die Breite wateten, mit Wolken von Pfeilen, und Oger schleuderten große Felsbrocken in die Schar um Ramoxosch.
Als der Kampf um die Furt schon bis zum Mittag andauerte und der Bergkönig mit seinen Kriegern noch immer nicht recht am anderen Ufer Fuß gefaßt hatte, stieß aus dem grauen Himmel über dem Schlachtfeld, inmitten eines gleißenden Lichtstrahls, ein Greif hinab. Der Götterbote segelte auf Schwingen, groß wie die Flügel eines Drachen über die Furt, und fuhr mitten unter die Orks. Dort tötete er ihren König und verbreitete Panik, so daß es Ramoxosch und seinen Getreuen endlich gelang, über den Fluß zu kommen.
Die Hauptmacht der Orks war damit geschlagen, doch die Häuptlinge und Priester vom Stamm der Ghorinchai zogen sich in ein weitverzweigtes Tunnelgeflecht zurück, das die Schwarzpelze unter dem Erdhügel am Fluß angelegt hatten.
Nur wenige der Elfen und noch weniger Menschen wagten sich in diese Erdhöhlen, in denen die Orks ihren Göttern huldigten. Dort trafen sie auf einen mächtigen Priester, der als Waffe einen Streitkolben in Form einer Dämonenklaue führte. Immer wieder wurden die Angreifer von den Orks zurückgeschlagen. Es wird von Überlebenden berichtet, denen mit der Klaue Wunden geschlagen wurden, die niemals mehr verheilten, so daß sie binnen weniger Tage dahinsiechten. Viele Helden unseres Volkes gingen unter diesem Hügel in den Tod.