Schließlich mußten Ramoxosch und Tasilla Abendglanz, der König der Elfen, einsehen, daß dieser Priester und seine Getreuen nicht zu besiegen waren. So machte sich dann eine kleine Gruppe mit dem Greifen auf, um die Höhlen auf immer zu verschließen. Der Erzzwerg Furgal führte sie, und als sie auf den Priester der Orks trafen, stellte sich ihm der Greif zum Kampf. Furgal blies inzwischen in sein Hörn, so daß die Gänge erbebten, während der Elfenmagier einen Zauberstein legte, um den Eingang zu der Kulthöhle der Orks auf immer zu verschließen.
So jedenfalls war der Plan. Keiner weiß, was im Hügel wirklich geschah, denn Furgal, der Elf und der Greif wurden nie mehr gesehen. Als der Zwergenheld sein Hörn blies, erbebte der Erdhügel, als habe ihn Angroschs Faustschlag getroffen, und alle Eingänge, bis auf einen, wurden verschüttet.
Als die Schrecken der Schlacht noch frisch waren, schloß Ramoxosch mit den Elfen einen Pakt, die Orks so lange zu bekriegen, bis das Reich der Menschen wieder frei sei. Zum Gedenken an Furgal und die anderen toten Helden errichteten die Zwerge einen Turm, der der Torturm genannt wurde und den letzten unverschütteten Eingang in den Hügel versperrte. Die Geoden legten einen mächtigen Zauber auf das Gemäuer, daher war es unmöglich, es vom Inneren des Hügels her aufzubrechen.
Das Elfenvolk errichtete einen kleinen, aber fein gemeißelten Torbogen, der zwei Dryaden zeigt. Durch diese Pforte sollen jene toten Helden zurückkehren, die nicht den Weg ins Jenseits gefunden haben, um die Orks zu strafen, wenn jemals wieder ein Schamane die Dämonenwaffe führt. Die Menschen aber erbauten einen Altarstein auf der Mitte des Hügels, den sie zum Gedenken an den Greifen ihrem obersten Gott Praios weihten.
Als die Völker der Elfen und Zwerge in diesem Krieg ihre Waffen niederlegten, waren die Gebiete der Menschen wieder befreit und die Schwarzpelze bis weit in den Norden zurückgetrieben. Vom Stamme der Ghorinchai, der einst der mächtigste unter den Orks war, hat man bis auf den heutigen Tag nichts mehr gehört. Es mag sein, daß es noch einige Wegelagerer mit dem Blut dieses Volkes gibt, doch unsere Ahnen haben sie lange durch alle Länder des Nordens verfolgt und so sehr in alle Winde zerstreut, daß sich nie mehr genügend Ghorinchai fanden, um einen neuen Stamm zu gründen.«
Tschubax machte eine Pause in seiner Erzählung. Wieder strich er nachdenklich durch seinen Bart.
Arthag wagte nicht, ihn anzusprechen; er war sich jedoch nicht sicher, ob die Geschichte nun endete.
Nach langem Schweigen fuhr Tschubax schließlich fort. »Sehr lehrreich für alle Zwerge ist die Art, wie uns von den Menschen gedankt wurde. Die Schlacht von Saljeth ist unter ihnen kaum bekannt, obwohl sie den Wendepunkt in der Herrschaft der Orks über den Norden markiert. Die wenigen Quellen, in denen überhaupt von der Schlacht die Rede ist, behaupten ein Greif, den Praios geschickt habe, hätte die Orks fast alleine vernichtet, und ohne seine Hilfe seien sowohl unsere als auch die Truppen der Elfen geschlagen worden.
Aus diesem Grunde haben Praios-Priester den Ort später in Greifenfurt umbenannt und ihrem Gott zu Ehren einen großen Tempel auf der Mitte des Hügels errichtet, unter dem einst das Ork-Heiligtum lag. Unsere Mahnmale an die Schlacht aber sind verschwunden. Man sagt, der Torturm wurde zu einem Teil der Stadtmauer, wohingegen der Bogen, den die Elfen errichteten, wohl von den Großlingen zerschlagen wurde.
Wie du siehst, mein Sohn, ist es töricht, sich allzusehr in die Belange der Menschen einzumischen, denn eines wirst du dadurch gewiß nicht erringen; ihren Dank und ihre Achtung. Vielleicht sind die Menschen aber auch zu kurzlebig, denn um solche Gefühle wirklich zu entwickeln, braucht es Zeit, wie unser Volk weiß.«
Erneut herrschte Schweigen in der kleinen Kammer. Vieles von dem, was Tschubax erzählte, hatte Arthag in den letzten Tagen schon selbst herausgefunden. Doch eine Frage brannte noch immer in ihm, so heiß wie das Feuer in der Esse des göttlichen Angrosch. Lange wartete er, bis er es endlich wagte, den Bergkönig anzusprechen.
»Immer wieder habe ich heute ein Schriftzeichen gefunden, das einen Dämon zeigt, der in jeder Hand ein Herz trägt. Was bedeutet diese Hieroglyphe?«
»Sag mir erst, was du denkst, mein Sohn. Du weißt, daß die Deutung dieser Schrift sehr stark von dem abhängt, was man in ihr lesen will. Ich habe mir schon vor vielen Jahren meine Meinung zu dem Zeichen gebildet. Deshalb rede nun erst du.«
Arthag räusperte sich etwas verlegen, ehe er schließlich begann. Lange hörte der Zwergenkönig ihm zu, und immer häufiger schüttelte er unwillig das Haupt. Der Zwerg sprach zwar nicht ungebührlich zu seinem König, doch war das, was er von der Belagerung Greifenfurts zu berichten hatte, gepaart mit den Schlußfolgerungen, die er aus dem Runentext gezogen hatte, so schreckenerregend, daß Tschubax dem Zwerg noch an diesem Abend auftrug, so schnell wie möglich mit der Elfe in die belagerte Stadt zurückzukehren.
Zu ihrem Schutze befahl er den sieben erfahrensten Schülern aus der Schule des Drachenkampfes, aus der schon unzählige Helden hervorgegangen waren, Nyrilla und Arthag auf ihrem Weg zurück nach Greifenfurt zu begleiten, um sich mit ihnen den Gefahren zu stellen, die sie in den verfallenen Höhlen tief unter der Stadt erwarten mochten.
Wieder in seinen königlichen Gemächern setzte Tschubax ein Schreiben an den Prinzen Brin auf und erläuterte darin, warum um jeden Preis verhindert werden mußte, daß Greifenfurt noch einmal von den Orks erobert wurde und welche Gefahr für alle kultivierten Volker Aventuriens tief unter diesen Mauern liegen mochte.
Schweren Herzens schrieb er dann noch einen zweiten Brief an Arombolosch, Sohn des Agam und Bergkönig von Waldwacht. Allein Arombolosch hätte die Macht und das Ansehen, um Tschubax, Sohn des Tuagel, den Titel eines Hochkönigs und obersten Heeresmeisters aller Zwerge streitig zu machen. Nach Recht und Tradition stand Tschubax, dem Herrscher des ältesten Zwergenvolks und Königs der wichtigsten Stadt aller Angroschim, dieser Titel zu. Doch wußte er selbst nur zu gut, daß seine Ansprüche selbst von den Zwergen seines eigenen Volkes belächelt wurde.
Allein in seinem Palastgemach, nahm Tschubax die Krone ab, die ihm nach dem Gesetz des Blutes zugefallen war. Er hatte die Herrschaft nie angestrebt, und jeder sah in ihm mehr den Gelehrten als den Krieger und Herrscher. Doch er würde seine ererbten Rechte hüten. Und wenn es nötig war, auch darum streiten. In diesen Zeiten brauchte das Volk der Zwerge einen Hochkönig, der um die Geheimnisse der Vergangenheit wußte und nicht irgendeinen Krieger und meisterhaften Schmied so wie Arombolosch. Vielleicht würde der König der Amboßzwerge dies ja einsehen? Doch die Aussichten darauf waren gering. Tschubax verfiel in tiefes Grübeln und fand in dieser Nacht keine Ruhe mehr.
10
Als Alrik erwachte, lag er in einem kleinen, hell getünchten Zimmer. Durch ein schmales Fenster konnte er das Madamal am Nachthimmel sehen.
Nicht weit von seinem Bett entfernt saß Andra in einem Stuhl zusammengesunken und schlief.
Dicht neben seinem Lager standen auf einem Schemel ein Krug mit Wasser und ein Stück Brot. Mühsam versuchte Alrik sich aufzurichten. Sein ganzer Körper schmerzte. Als er die Decke bei Seite stieß, sah er frische Verbände an seinen Armen und Beinen.
Bei dem Versuch, Wasser aus dem Krug in einen kleinen Bronzebecher zu gießen, versagten seine Kräfte. Der Krug fiel aus seinen Händen und zerschellte am Boden.
Mit einem Ruck richtete sich Andra im Sessel auf, blickte zu ihm herüber und lächelte. »Ich werde dir neues Wasser holen, warte einen Moment.« Leichtfüßig verließ die Jägerin das Zimmer. Sie trug ein neues Kleid. Es war aus einfachem Leinen, dennoch sah sie darin aus wie eine Fürstin. Neugierig blickte Alrik sich in dem Zimmer um. Aus der Einrichtung konnte er nicht schließen, wo er sich befand. Nur eins war sicher: In einem Feenschloß hielt er sich hier nicht auf, denn die Möbel waren schlicht, ihnen fehlte der Glanz und die kostbaren Schnörkel, die im Feenreich selbst die einfachsten Dinge wie Kunstwerke aussehen ließen.