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Manche dachten aber auch an die roten Fahnen, die die Orks in der Schlacht führten, oder die roten Gewänder, die von den Priestern des Blutgottes Tairach getragen wurden. Vielleicht würden diese Götzenanbeter ein schreckliches Blutbad unter den Überlebenden anrichten, wenn die Orks erst einmal die Wälle der Stadt erstürmt hatten.

Die gefährlichste These aber tuschelten manche Betrunkene hinter vorgehaltener Hand. Dann raunte man sich zu, daß Marcian der Totengräber der Stadt sei. Der Oberst trug einen leuchtend roten Umhang, und bei Licht betrachtet hatte seine ›Befreiung‹ der Stadt den Greifenfurtern viel Leid gebracht.

Vielleicht wäre es das beste, den Propheten für immer zum Schweigen zu bringen. Würde Himgi ihn in einer dunklen Ecke auflauern, wäre es ein leichtes, Uriens zu beseitigen. Doch was geschah dann? Womöglich lieferten der Tod oder das plötzliche Verschwinden des Mannes nur Anlaß zu neuen Spekulationen.

Wieder musterte der Zwerg die zerlumpte Gestalt. Uriens schien auf ihn aufmerksam geworden zu sein. Er kam zu seinem Tisch herüber.

Himgi hatte schon viele Kriegsverletzungen gesehen, doch in das Gesicht des verstümmelten Propheten zu blicken fiel ihm schwer. Obwohl die Wunden schon lange verheilt waren, war Uriens noch immer gräßlich entstellt. Der Prophet sah aus, als sei er den Krallen einer Raubkatze zum Opfer gefallen. Seine Nase war eingedrückt, und die Lippen verschlossen den Mund des Mannes nicht mehr, so daß beständig ein dünner Faden von Speichel aus seinem Mundwinkel tropfte.

Unmotiviert fing der Seher an zu lachen. Es war das erschreckende, freudlose Lachen des Wahnsinns. Dann legte er sich vor Himgi auf den Tisch. »Kleiner Mann von Stein, wandert durch Gebein ...«, flüsterte der Irre. Dann erstarb seine Stimme wieder, und er gluckste und kicherte.

Dem Zwergen sträubten sich die Barthaare. Was sollten diese Worte? Eine neue Prophezeiung? Der Legende nach war das Volk der Zwerge aus nacktem Felsgestein geboren worden.

»Kleiner Stein ganz groß, ward zum Todeslos ...«

Himgi schluckte. Er war nicht abergläubisch, aber durch den Irren sprach die Stimme des Schicksals zu ihm, dessen war er sicher. Doch was bedeuteten die rätselhaften Sprüche?

»Der zu deinen Füßen liegt, der hat des Praos Kind bekriegt ...«

Wieder erscholl das hysterische Lachen des Irren.

»Ihr solltet Euch sputen, Ihr Diener des Guten. Sonst werden die Bösen mein Rätsel lösen. Ich kann dir Weisheit schenken! Doch vermagst du zu denken ? Kleiner Stein ganz groß, ward zum Todeslos!«

Uriens rollte vom Tisch und fiel auf den Boden. Dort umklammerte er die Beine des Zwergen. Der Seher begann zu wimmern und krallte seine Finger in Himgis Schenkel.

Mit einem Tritt schleuderte der Zwerg den Irren beiseite. Dummes Geschwätz eines Wahnsinnigen. Himgi erhob sich, um die ›Fuchshöhle‹ zu verlassen. Für heute nacht hatte er genug von diesen Kindergeschichten. Doch kaum war er auf den Beinen, da erstarb das Licht um ihn herum, bis nur noch das unsichere, flackernde Leuchten einer Fackel übrigblieb. Vorsichtig bewegte sich der Zwerg vorwärts. Welcher verfluchte Zauber hatte ihn getroffen?

Zu seinen Füßen lagen bleiche Knochen. Deutlich konnte er eine skelettierte Hand erkennen, die eine altertümliche Zwergenaxt hielt. Daneben lag ein eingeschlagener Schädel mit gewaltigen Hauern. Himgi erschien es, als befände er sich in einem niedrigen Gang.

An den Wänden waren Schädel wie zu Pyramiden aufgeschichtet und mit Symbolen in roter Farbe bemalt. Wenige Schritte weiter schimmerte ein glatter, schwarzer Stein, der den Gang verschloß. Himgi sträubten sich die Haare. Das war kein Stein, der von den Händen eines ehrlichen Handwerkers geschaffen war. Ein böser Zauber lag auf ihm!

Ungläubig kniff der Zwerg die Augen zusammen. Was war das?

Jetzt stand er wieder inmitten des Bordells. Himgi wurde schwindelig. Hastig griff er nach einer Tischkante. Eiskalte Schauer liefen ihm über den Rücken. Hatte er jetzt selber schon das zweite Gesicht?

Wie zum Hohn erscholl hinter ihm das Gelächter des Irren.

Für einen Moment fuhr ihm die Hand zum Griff der Axt an seinem Gürtel. Ein kurzer Schlag, und der Irrsinn hätte ein Ende!

Ein Mord hier in aller Öffentlichkeit? Und sein Opfer ein wehrloser Verrückter? Nein, das durfte nicht sein! War er denn ein ehrloser Meuchler? Himgi rannte auf die Tür der Schenke zu. Er mußte hier raus, sonst würde auch er noch den Verstand verlieren. Hastig stolperte er aus dem Bordell in die Nacht.

Die kalte Luft tat gut. Mit raschem Schritt eilte er auf den Festungsturm in der Südmauer zu, wo er mit anderen Zwergen seines Banners Quartier bezogen hatte.

Wieder gingen ihm die Worte des Propheten durch den Kopf. »Kleiner Stein ganz groß, ward zum Todeslos.«

Als Arthag gemeinsam mit Nyrilla und seinen sieben Leibwächtern Ferdok erreichte, erkannte er die Flußstadt beinahe nicht mehr wieder. Überall wimmelte es von Handwerkern und Soldaten. Dutzende Boote und Schiffe in allen Größen lagen an den Kais, und schwerbeladene Karren verstopften die Straßen der Stadt. Noch bevor sie das Gasthaus erreichten, in dem sie auf der Hinreise nach Xorlosch abgestiegen waren, gab es bereits Ärger. Ein Werber der kaiserlichen Armee hatte unvorsichtigerweise die Angroschim aus Arthags Eskorte angesprochen und gefragt, ob sie nicht der Armee beitreten wollten. Eine ausgemachte Beleidigung für die unabhängigen Elitekrieger. Schnell kam es zu bösen Worten, wie etwa, ob der stinkende Großling vielleicht meinte, herrenlose Söldner vor sich zu haben.

Selbst der Werber sah schnell ein, daß er einen Fehler gemacht hatte. Als ihn die Kämpfer mit Äxten umringten und es von allen Seiten Beleidigungen und Herausforderungen zum Duell hagelte, entschuldigte er sich in geradezu sklavischer Manier. Außerdem bot er an, jedem Beleidigten einen Humpen guter Ferdoker Biers zu spendieren. Das kostete den Werber zwar das ganze Faß, doch dafür würde er den Winter nicht im Krankenquartier verbringen.

Arthag und seine sieben trinkfesten Gefährten waren der Meinung, daß der Großling damit ein sehr gutes Geschäft gemacht hatte. Allein Nyrilla störte bei der Schlichtung dieses Streits empfindlich. Ihr fehlten eindeutig die Ausdauer und der Wille, auf solche Art Frieden zu stiften. Die härteste Prüfung stand Arthag an diesem Tag jedoch noch bevor. Als sie das Gasthaus erreichten, in dem sie vor einigen Wochen schon einmal abgestiegen waren, weigerte sich die Wirtin, ihnen Zimmer zu überlassen. Nicht einmal in der Scheune waren Schlafplätze zu bekommen. Auf den Befehl des Grafen Growin bestimmte in diesem Winter der Quartiermeister des kaiserlichen Heeres, wer wo und für wie lange Unterkunft bekam. Für Zivilisten sei in diesem Winter kein Platz in Ferdok, so lautete die Parole des Militärs. Alle Schenken wurden von der Stadtwache streng kontrolliert. Wer sich nicht an die Anweisung hielt, mußte mit hohen Geldstrafen rechnen.

»Skipperedikt« wurde diese ungeliebte Verordnung von den Bürgern und den Soldaten genannt. Denn es waren in erster Linie Bootskapitäne und Handwerker, die darauf bestanden hatten, daß sie, wenn sie Schiffe und Arbeitskraft für den ganzen Winter zur Verfügung stellten, wenigstens angemessen verköstigt und untergebracht würden.

In den buntesten Farben schilderte die Wirtin der Gruppe, was dieses verfressene Volk den Prinzen kostete. Täglich trafen Wagenzüge mit Lebensmitteln und Baumaterial aus Gareth und den anderen großen Städten der Region ein. Allein die Zahl der Schiffe, die hier in diesem Winter vor Anker lagen, war so groß, daß neue Hafenanlagen gebaut werden mußten. Je länger die Wirtin redete, desto phantastischere Geschichten wußte sie zu erzählen. Als sie schließlich behauptete, Rondra selbst sei schon unter den Soldaten gesehen worden und sie werde die Reiterinnen aus der Garde des Grafen Growin in die Schlacht führen, um die Orks noch, bevor der erste Schnee fiel, bis hinter den Finsterkam zu treiben, wurde es Arthag zu bunt. Mit knappen Worten verabschiedete er sich.

Die Sonne neigte sich dem Horizont zu, als Arthag mit seinem Gefolge das Stadtschloß des Grafen erreichte. Das Gebäude war umringt von Gardesoldaten. Trotz der vorgerückten Stunde herrschte ein ständiges Kommen und Gehen. Meldereiter aus den südlichen Reichsprovinzen hasteten die Stufen des Portals herunter und riefen nach ihren Pferden. Eine Gruppe Seeoffiziere in goldbestickten Uniformen stand auf der breiten Treppe und debattierte.