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Manchmal reichte es schon, nur das Blut eines Menschen zu trinken, um Bilder aus dessen Erinnerung in sich aufzunehmen. Doch verblaßte dieses Wissen meist schnell wieder. Allein der Zauber des Schwertes erlaubte Zerwas, den Körper zu wechseln und ein neuer ›Mensch‹ zu werden.

Wieder lächelte der Vampir. Ein Mensch ...

Nein, das war er nun wirklich nicht mehr. Als er Roger tötete, hatte er auch beschlossen, seine letzte menschliche Attitüde abzulegen. Er würde keine Spiele mit irgendwelchen Namen mehr treiben, wie er es früher einmal getan hatte, als er jedesmal, wenn er in neuer Gestalt nach Greifenfurt zurückkehrte, sich an einige Buchstaben aus seinem alten Namen klammerte. Kindlicher Unsinn!

Er hatte sich nicht damit abfinden können, nicht mehr der Sohn eines Schmiedes zu sein, der mit einer Gruppe von Abenteurern vor langer Zeit in den Norden gezogen war.

Der Vampir wußte zwar nicht, was er war, doch ein Mensch war er nicht mehr. Vielleicht der Sklave seines Schwertes? Doch welch süßes Los war es, unsterblich zu sein und über Leben und Tod zu gebieten.

Sicher, er war kein Gott, doch konnte er mit fast göttlicher Allmacht in das Leben der Menschen eingreifen. Er würde dafür sorgen, daß Greifenfurt vernichtet wurde. Die ganze Stadt sollte dafür sterben, daß man ihm dort zweimal seine Geliebte genommen hatte. Er würde Rache nehmen, wie kein Mensch es je könnte!

Doch jetzt mußte er nach Ferdok reiten und die Botschaft überbringen, die man Roger genannt hatte. Answin von Rabenmund, der versucht hatte, dem Prinzen Brin den Thron zu rauben, und damit einen Bürgerkrieg entfesselte, war die Flucht aus den Kerkern der Hauptstadt gelungen. Es sah ganz so aus, als habe der junge Prinz mächtigere Feinde, als er ahnte. Der Vampir lachte laut schallend in die Nacht. Vielleicht würde er noch miterleben, wie Kaiserreich und Inquisition untergingen.

Marcian ging in seinem kalten Turmzimmer auf und ab. Wieder einmal hatten ihm quälende Alpträume den Schlaf geraubt. Im Traum war er Zerwas begegnet; noch immer hallte ihm das schallende Gelächter des Dämons in den Ohren.

Der Inquisitor stand vor einer der weißgetünchten Wände des Turmzimmers. Obwohl die Schießscharten mit hölzernen Läden verschlossen worden waren, zog eisiger Wind durch die Ritzen. Es schien auch unmöglich, das kalte, dicke Gemäuer des Turms richtig warm zu bekommen. War die Kühle des Raums während der Sommermonate noch angenehm gewesen, so entwickelte sie sich im Herbst zu einem Fluch.

Dabei war es erst Mitte Boron. Wie mochte es erst sein, wenn der Firunsmond am Himmel stand und die Breite, die am Fuß des mächtigen Bergfrieds entlangfloß, sich mit Eis überzog?

Eis! Wieder mußte er an die Worte des verrückten Propheten denken. Gestern hatte ein Unbekannter Uriens niedergeschlagen. Jetzt lag er im Lazarett der Garnison. Dieser Verrückte! Mit seinen Prophezeiungen machte er sich mehr und mehr Feinde in der Stadt. Bürger wie Soldaten fürchteten ihn. Hatte er sich doch erdreistet, einigen zu sagen, daß er noch ihre grinsenden Schädel sehen würde. Anderen prophezeite er: ›Vor dem Eis kommt das Feuer und wird des Schiffers Heuer!‹

Auch den Zwergenhauptmann Himgi hatte er schon ganz verrückt gemacht. Albernes Gerede von einem kleinen Stein und einem Todeslos.

Marcian drehte sich um und durchmaß erneut das Zimmer. Er mußte diesen Uriens zum Schweigen bringen. Sobald seine Verletzungen verheilt wären, würde er ihn einkerkern.

Zu seinem eigenen Schutz! Würde der Verrückte noch länger in der Stadt herumlaufen und solchen Unsinn von sich geben, mochte sich jemand finden, der seine Klinge an den Knochen des Propheten wetzte.

Marcian blickte zu Cindira, die träumend im Bett lag. Wie die meisten in der Stadt ahnte sie kaum etwas von seinen Sorgen. Wer wußte denn schon, daß mittlerweile mehr als zwei Dutzend Krieger im Kerker gefangen saßen?

Vor zwei Nächten hatte ihm Odalbert und Riedmar, die letzten seiner Agenten, die jetzt noch in der Stadt waren, ein Komplott aufgezeigt. Einige der Kürassiere aus Blautanns Regiment und etliche Bürger unter der Führung von Gernot Brohm hatten sich verschworen, Rialla und die drei anderen Rebellen aus dem Kerker unter der Garnison zu holen. Statt dessen sollten er und seine getreuesten Gefolgsleute in diesen kalten Gewölben einquartiert werden.

Marcian lachte bitter. Ihr Besuch im Kerker war anders verlaufen, als sich die Rebellen das gedacht hatten. Auf Befehl des Inquisitors hatten sich Himgis Zwerge in den Vorratskammern nahe des Kerkers versteckt. Sie waren die einzigen regulären Soldaten, denen er an diesem Abend noch vertraut hatte.

Gemeinsam mit dem Hauptmann hatten sie zwei Hornissen in ihre Verstecke geschafft und die tödlichen Geschütze in den Gang vor dem Kerker gerollt, als die Verschwörer die Gitter aufbrachen. Den Rückweg hatte Marcian höchstselbst den Verrätern versperrt. Gemeinsam mit Lysandra und Lancorian hatte er die Treppe blockiert, worauf die Verräter ihre Waffen streckten.

Morgen früh mußte er nun über sie richten. Es galt, ein weises Urteil zu fällen. Durch das Schreiben des Prinzen, das ihn zum uneingeschränkten Kommandanten dieser Stadt machte, hätte er zwar das Recht, selbst Adelige zum Tode zu verurteilen, doch mochte ein zu harter Richterspruch nur zu neuen Unruhen führen. Außerdem konnte er es sich kaum leisten, auf zwei Dutzend gute Kämpfer zu verzichten.

Wieder stand Marcian vor einer der Wände des Turmzimmers und musterte geistesabwesend die getünchten Steine.

Auf der anderen Seite konnte er es sich auch nicht leisten, die Verschwörer frei in der Stadt herumlaufen zu lassen. Es wäre nur eine Frage der Zeit, bis sie einen neuen Plan ausgeheckt hätten, um ihn zu beseitigen. Cindira stöhnte unruhig im Schlaf.

Hastig drehte Marcian sich um. Nicht auch noch sie! »Mutter Peraine, halte deine schützende Hand über sie«, flüsterte er und schlug das Zeichen der Göttin.

Es mußte wohl am Hunger liegen und daran, daß sie ihre Toten innerhalb der Stadtmauern beerdigten. Seit Wochen suchten Seuchen die Stadt heim. Er selber hatte etliche Tage mit der Schlachtfeldgilbe im Bett gelegen. Eine Zeit, in der sich Cindira aufopfernd um ihn gekümmert hatte und Tag und Nacht an seinem Lager wachte.

Ob sie nun das tückische Fieber befallen hatte?

Vorsichtig, um die Schlafende nicht zu wecken, fühlte er ihre Stirn. Sie war trocken und heiß. Sie hatte Fieber!

Bei den Göttern! Warum mußte Cindira jetzt dafür büßen, daß sie ihn gepflegt hatte? Hoffentlich war es nicht jene seltsame Krankheit, von der Meister Gordonius ihm in den letzten Wochen immer wieder mit Schrekken berichtet hatte.

Marcian mußte an den Mann denken, den er auf so grauenvolle Art im Haus der Therbuniten hatte sterben sehen. Er war nur der Vorbote einer schrecklichen Epidemie gewesen, die zum Glück bislang nur wenige Bürger befallen hatte.

Zwanzig oder dreißig waren es, die, von allen anderen Kranken und Verletzten isoliert, im Tempel der Peraine lagen. Dem Ältesten der Therbuniten war rätselhaft, worunter sie litten und wie sie sich diese gräßliche Krankheit zugezogen hatten.

Wohl eine Woche nach dem Tod des Wächters waren die ersten zu ihm gekommen und zeigten dem Heiler gräßliche grüne und braune Beulen, die sich überall am Körper bildeten und ihre Gesichter entstellten. Gemeinsam mit Marcian hatte Gordonius beschlossen, die Kranken in den Peraine-Tempel zu bringen. Vielleicht würde die Nähe zur Göttin sich ja gut auf ihre Krankheit auswirken. Doch statt dessen war alles schlimmer geworden. Die Beulen waren aufgebrochen und hatten einen so üblen Gestank verbreitet, daß es selbst die Pfleger kaum noch ertragen können, den Tempel zu betreten und sich um die Kranken zu kümmern. Daraufhin wurde allen außer den Therbuniten verboten, den Tempel zu betreten, und Marcian hatte Wachen rund um das Gebäude aufstellen lassen.

Unruhe war in der Stadt ausgebrochen. Manche hatten gefordert, die Kranken zu verbrennen, damit sie die Gesunden nicht anstecken könnten. Doch bald war es auch nicht mehr nötig gewesen, Wächter aufzustellen, da sich niemand mehr in die Nähe des Tempels wagte.